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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Deutschenhaß bei unsern Nachbarn

s ist i
n den deutschen Zeitungen besonders in neuester Zeit
so viel von dem Deutschenhaß die Rede gewesen, der sich
überall in Frankreich und Rußland zeigen soll, daß es der Mühe
lohnt, diese Behauptung einmal etwas näher zu prüfen. Wir
sind zwar längst davon zurückgekommen, für solche Landsleute
Partei zu nehmen, die in Pariser Kaffeehäusern wegen allzu aufdringlicher
Äußerung ihres Deutschtums unfreundliche Behandlung erfahren haben, wir
ereifern uns auch nicht mehr, wenn wir lesen, daß in den westlichen Gou¬
vernements des russische" Reichs Deutsche ausgewiesen worden sind, weil sie
versäumt haben, die russische Unterthanenschaft zu erwerben; aber wir fahren
ruhig fort, über Deutschenfresserei bei unsern östlichen und westlichen Nachbarn
zu schimpfen, weil wir annehmen, der Deutschenhaß sei eine bei ihnen all¬
gemein herrschende, von der Negierung geschützte, von den Gebildeten gut¬
geheißene und vertretene Regung der öffentlichen Meinung. Daß wir dadurch
die Kluft zwischeu uns und ihnen, die ja leider groß genug ist, und die selbst
der begeistertste Kosmopolit nicht leugnen kann, nur größer und unüberwind¬
licher machen, daß wir durch maßlose Kritik den Nationalhaß nur steigern,
ist selbstverständlich. Aber gerade das scheint von manchen Zeitungen beab¬
sichtigt zu werden; sie meinen erst dann echt deutsch und volkstümlich zu
sein, wenn sie nach dem Beispiel gewisser französischen und russischen Blätter
recht auf die feindlichen Nachbarn losziehn.

Es ist natürlich für den einzelnen sehr schwer, sich ein Urteil über eine
Nation zu bilden. Aber ich darf vielleicht annehmen, daß die Erfahrungen,
die ich in Frankreich und Rußland gesammelt habe, von vielen meiner Lnnds-
leute bestätigt werden können. Sie würden aber gewiß zur Verbreitung einer


Grciizbotcn I 18W


Der Deutschenhaß bei unsern Nachbarn

s ist i
n den deutschen Zeitungen besonders in neuester Zeit
so viel von dem Deutschenhaß die Rede gewesen, der sich
überall in Frankreich und Rußland zeigen soll, daß es der Mühe
lohnt, diese Behauptung einmal etwas näher zu prüfen. Wir
sind zwar längst davon zurückgekommen, für solche Landsleute
Partei zu nehmen, die in Pariser Kaffeehäusern wegen allzu aufdringlicher
Äußerung ihres Deutschtums unfreundliche Behandlung erfahren haben, wir
ereifern uns auch nicht mehr, wenn wir lesen, daß in den westlichen Gou¬
vernements des russische» Reichs Deutsche ausgewiesen worden sind, weil sie
versäumt haben, die russische Unterthanenschaft zu erwerben; aber wir fahren
ruhig fort, über Deutschenfresserei bei unsern östlichen und westlichen Nachbarn
zu schimpfen, weil wir annehmen, der Deutschenhaß sei eine bei ihnen all¬
gemein herrschende, von der Negierung geschützte, von den Gebildeten gut¬
geheißene und vertretene Regung der öffentlichen Meinung. Daß wir dadurch
die Kluft zwischeu uns und ihnen, die ja leider groß genug ist, und die selbst
der begeistertste Kosmopolit nicht leugnen kann, nur größer und unüberwind¬
licher machen, daß wir durch maßlose Kritik den Nationalhaß nur steigern,
ist selbstverständlich. Aber gerade das scheint von manchen Zeitungen beab¬
sichtigt zu werden; sie meinen erst dann echt deutsch und volkstümlich zu
sein, wenn sie nach dem Beispiel gewisser französischen und russischen Blätter
recht auf die feindlichen Nachbarn losziehn.

Es ist natürlich für den einzelnen sehr schwer, sich ein Urteil über eine
Nation zu bilden. Aber ich darf vielleicht annehmen, daß die Erfahrungen,
die ich in Frankreich und Rußland gesammelt habe, von vielen meiner Lnnds-
leute bestätigt werden können. Sie würden aber gewiß zur Verbreitung einer


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[0267] [Abbildung] Der Deutschenhaß bei unsern Nachbarn s ist i n den deutschen Zeitungen besonders in neuester Zeit so viel von dem Deutschenhaß die Rede gewesen, der sich überall in Frankreich und Rußland zeigen soll, daß es der Mühe lohnt, diese Behauptung einmal etwas näher zu prüfen. Wir sind zwar längst davon zurückgekommen, für solche Landsleute Partei zu nehmen, die in Pariser Kaffeehäusern wegen allzu aufdringlicher Äußerung ihres Deutschtums unfreundliche Behandlung erfahren haben, wir ereifern uns auch nicht mehr, wenn wir lesen, daß in den westlichen Gou¬ vernements des russische» Reichs Deutsche ausgewiesen worden sind, weil sie versäumt haben, die russische Unterthanenschaft zu erwerben; aber wir fahren ruhig fort, über Deutschenfresserei bei unsern östlichen und westlichen Nachbarn zu schimpfen, weil wir annehmen, der Deutschenhaß sei eine bei ihnen all¬ gemein herrschende, von der Negierung geschützte, von den Gebildeten gut¬ geheißene und vertretene Regung der öffentlichen Meinung. Daß wir dadurch die Kluft zwischeu uns und ihnen, die ja leider groß genug ist, und die selbst der begeistertste Kosmopolit nicht leugnen kann, nur größer und unüberwind¬ licher machen, daß wir durch maßlose Kritik den Nationalhaß nur steigern, ist selbstverständlich. Aber gerade das scheint von manchen Zeitungen beab¬ sichtigt zu werden; sie meinen erst dann echt deutsch und volkstümlich zu sein, wenn sie nach dem Beispiel gewisser französischen und russischen Blätter recht auf die feindlichen Nachbarn losziehn. Es ist natürlich für den einzelnen sehr schwer, sich ein Urteil über eine Nation zu bilden. Aber ich darf vielleicht annehmen, daß die Erfahrungen, die ich in Frankreich und Rußland gesammelt habe, von vielen meiner Lnnds- leute bestätigt werden können. Sie würden aber gewiß zur Verbreitung einer Grciizbotcn I 18W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/267>, abgerufen am 27.04.2024.