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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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fürstenghmnasinm, zwei Oberlehrer von einer höhern Töchterschule unter den
Gestalten, den Kommerzienrnt Treibet nicht mit gerechnet, der auch fürs
Leben gern zitirt. Wir können Unrecht haben, aber wir meinen, die Grund¬
stimmung, aus der "Grete Minde" und "Bor dem Sturm" hervorgingen,
hätte derartige Geschmacklosigkeiten nicht gestattet.

Daß der Traum poetischer "Unsterblichkeit" auf immer kürzere Fristen
zusammenschrumpft, mag mit dem vielzitirten Ende des Jahrhunderts zusammen¬
hängen, aber Geistreichigkeiten, die in zehn Jahren keiner mehr lesen kann,
ohne den Mund bis an die Ohren zu verziehen, gönnen wir andern Schrift¬
stellern, als dem prächtigen und tüchtigen Fontane, Im übrigen bleibt es
gewiß: wenn einmal der Drang, bittere Wahrheiten zu sagen, die Lust an
fröhlicheren Fabuliren verdrängt hat, so sind diese Wahrheiten der Menschen-
gattung gegenüber am besten am Platze, der die Frau Kommerzienrätin Jenny
Treibet angehört.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zum Aufstand der Bergleute

geht uns von einem gut unterrichteten
Mitarbeiter noch folgendes zu: Der Verfasser des Artikels in Ur. 5, dessen Be¬
denken gegen die Verstaatlichung des Kohlenbergbaues ich teile, legt der ersten
Hälfte seiner Ausführungen die Angaben der Bergbehörden zu Grunde. Um ein
richtiges Urteil über das Ereignis zu gewinnen, müßte man aber auch den andern
Teil hören. Das ist nun für den Fernstehenden einfach unmöglich. Beim großen
Aufstand von 1689, wo sich der Kaiser persönlich der Bergleute annahm und die
Zentrumspartei einerseits noch halb Oppositionspartei, andrerseits der Gefolgschaft
der katholischen Bergleute noch sicher war und die Gelegenheit, die Partei der
rheinischen Großindustriellen zu schwächen, willkommen hieß, da brachten die meisten
großen Zeitungen die Beschwerden der Bergleute zur Kenntnis des Publikums.
Diesmal waren die Streitenden von Gott und der Welt verlassen. Die Regierung
hat eine Schwenkung halb rechts gemacht, die Zentrumspartei ist Regierungspartei
geworden und ist außerdem empfindlich darüber, daß sich die heranwachsende "Knltnr-
kampfjngend" des Saarreviers nicht viel aus Pfarrern und Kaplänen macht, und
fo siud längere zusanmienhängende Berichte, die deu Verlauf der Sache im Sinne
der Bergleute dargestellt hätten, in keinem den Ausstandsgebieten fernstehenden Blatte
erschienen, nicht einmal im Vorwärts. Erst später hat das Hauptorgan der Sozial¬
demokraten angefangen, seine Leser durch Abdruck längerer Berichte und Aktenstücke
aus Blättern der beiden Ausstandsgebiete etwas genauer zu unterrichten. Weder
ein ultrcnnvntaner noch ein svzialdemvkratischer Abgeordneter hat diese Ausstauds-
gebiete besucht, um die Lage mit eignen Augen zu Prüfen. Die spottbillige Berliner
Morgenzeituug, die in 140 000 Exemplaren in allen Teilen Deutschlands ver¬
breitet ist und mit demokratischen Köder für die Deutschfreisinuigen fischt, hat eine


fürstenghmnasinm, zwei Oberlehrer von einer höhern Töchterschule unter den
Gestalten, den Kommerzienrnt Treibet nicht mit gerechnet, der auch fürs
Leben gern zitirt. Wir können Unrecht haben, aber wir meinen, die Grund¬
stimmung, aus der „Grete Minde" und „Bor dem Sturm" hervorgingen,
hätte derartige Geschmacklosigkeiten nicht gestattet.

Daß der Traum poetischer „Unsterblichkeit" auf immer kürzere Fristen
zusammenschrumpft, mag mit dem vielzitirten Ende des Jahrhunderts zusammen¬
hängen, aber Geistreichigkeiten, die in zehn Jahren keiner mehr lesen kann,
ohne den Mund bis an die Ohren zu verziehen, gönnen wir andern Schrift¬
stellern, als dem prächtigen und tüchtigen Fontane, Im übrigen bleibt es
gewiß: wenn einmal der Drang, bittere Wahrheiten zu sagen, die Lust an
fröhlicheren Fabuliren verdrängt hat, so sind diese Wahrheiten der Menschen-
gattung gegenüber am besten am Platze, der die Frau Kommerzienrätin Jenny
Treibet angehört.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zum Aufstand der Bergleute

geht uns von einem gut unterrichteten
Mitarbeiter noch folgendes zu: Der Verfasser des Artikels in Ur. 5, dessen Be¬
denken gegen die Verstaatlichung des Kohlenbergbaues ich teile, legt der ersten
Hälfte seiner Ausführungen die Angaben der Bergbehörden zu Grunde. Um ein
richtiges Urteil über das Ereignis zu gewinnen, müßte man aber auch den andern
Teil hören. Das ist nun für den Fernstehenden einfach unmöglich. Beim großen
Aufstand von 1689, wo sich der Kaiser persönlich der Bergleute annahm und die
Zentrumspartei einerseits noch halb Oppositionspartei, andrerseits der Gefolgschaft
der katholischen Bergleute noch sicher war und die Gelegenheit, die Partei der
rheinischen Großindustriellen zu schwächen, willkommen hieß, da brachten die meisten
großen Zeitungen die Beschwerden der Bergleute zur Kenntnis des Publikums.
Diesmal waren die Streitenden von Gott und der Welt verlassen. Die Regierung
hat eine Schwenkung halb rechts gemacht, die Zentrumspartei ist Regierungspartei
geworden und ist außerdem empfindlich darüber, daß sich die heranwachsende „Knltnr-
kampfjngend" des Saarreviers nicht viel aus Pfarrern und Kaplänen macht, und
fo siud längere zusanmienhängende Berichte, die deu Verlauf der Sache im Sinne
der Bergleute dargestellt hätten, in keinem den Ausstandsgebieten fernstehenden Blatte
erschienen, nicht einmal im Vorwärts. Erst später hat das Hauptorgan der Sozial¬
demokraten angefangen, seine Leser durch Abdruck längerer Berichte und Aktenstücke
aus Blättern der beiden Ausstandsgebiete etwas genauer zu unterrichten. Weder
ein ultrcnnvntaner noch ein svzialdemvkratischer Abgeordneter hat diese Ausstauds-
gebiete besucht, um die Lage mit eignen Augen zu Prüfen. Die spottbillige Berliner
Morgenzeituug, die in 140 000 Exemplaren in allen Teilen Deutschlands ver¬
breitet ist und mit demokratischen Köder für die Deutschfreisinuigen fischt, hat eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/357>, abgerufen am 28.04.2024.