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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Frau Jenny Treidel

Wohlgefallen festzuhalten. Im großen und ganzen spürt man doch, daß nicht
bloß bei Treibeis Gold Trumpf ist.

Mit einem Schriftsteller, mit einem Dichter wie Fontane, der seine Ent¬
wicklung hinter sich hat und während dieser Entwicklung redlich bemüht ge¬
wesen ist, alles, was in ihm liegt, und wofür ihm die Natur den Blick und
die innere Anziehungskraft gegeben hat, zur Vollendung zu bringen, läßt sich
um Einzelnes schwer rechten. Der Weg, der von den Romanzen "Von der
schönen Rosamunde" über "Elleruklipp," "Grete Minde" und "Vor dem
Sturm" bis zu diesen neuesten Berliner Romanen geführt hat, läßt sich mit
Anteil, mit dem Gefühl verfolgen, daß es eine innere, künstlerische Notwen¬
digkeit war und ist, die den Autor trieb. Die angeblichen Schüler des Meisters,
die bei der "Adultera" und "Frau Jenny Treibet" anfangen, mögen nur zu¬
sehen, wie weit sie kommen. Aber selbst ein so ernster und talentvoller Schrift¬
steller wie Fontane entgeht auf diesem Wege den schlimmen Einflüssen der
neuern Feuilletonschriftstellerei nicht. Die Berliner Dialektwendungen, die sich
im Munde der Schmölle vortrefflich ausnehmen ("Ich sage bloß, was Schmölle
immer sagte: Manchen giebt es der liebe Gott im Schlaf. Dn hast ganz
unverantwortlich un beinahe schauderöse gehandelt um kriegst ihn nu doch.
Du bist ein Glückskind!" ruft sie Corinna zu, als die Verlobung mit Leopold
Treibet gelöst und die mit Marcell Wedderkopp in Sicht ist) mögen unan¬
gefochten bleiben. Aber die Zitate, die litterarischen Anspielungen! Es ist
schlechthin unerträglich, in einer doch leidlich objektiven Darstellung Sätze zu
finden, wie etwa folgenden: "Wenn ihn (Leopold Treibet zu Roß auf dem
Wege nach Treptow) dies im Sattelsein ohnehin schon an jedem Morgen
erfreute, so besonders heut, wo die Vorgänge des voraufgegangnen Abends,
am meisten aber die zwischen Mr. Nelson und Corinna geführten Gespräche
noch stark in ihm nachwirkten, so stark, daß er mit dem ihm sonst wenig ver¬
wandten Ritter Karl von Eichenhorst, wohl den gemeinschaftlichen Wunsch des
Sich-Ruhe-Reitens in seinein Busen hegen durfte. Was ihm dabei equestrisch
zur Verfügung stand, war freilich nichts weniger als ein Dänenroß voll
Kraft und Feuer, sondern nur ein schon lange Zeit in der Manege gehender
Graditzer, dem etwas Extravagantes nicht zugemutet werden konnte." Wenn
wir in diesen Stil voll litterarischer Anspielungen und Zitate") zurückfallen
wollen, so hätten wir bei Jean Paul bleiben und dabei etwas mehr Gemüt
und quellenden Geist in Kauf bekommen können, als Jungberlin zu verspenden
hat. Wir meinen dabei natürlich nur die von dem Erzähler selbst herbei¬
gezognen Einfülle dieser Art; was sich im Munde der Gestalten findet, müssen
wir ja unbeanstandet lassen, sind doch ein emeritirter Gyinnasialdirektor, ein
Professor vom Gymnasium zum heiligen Geist, drei Professoren vom Knr-


D. R.

Und dazu die Sprache! Das Jm-Sattel-sein! das Sich-Ruhe-Reiten!
Frau Jenny Treidel

Wohlgefallen festzuhalten. Im großen und ganzen spürt man doch, daß nicht
bloß bei Treibeis Gold Trumpf ist.

Mit einem Schriftsteller, mit einem Dichter wie Fontane, der seine Ent¬
wicklung hinter sich hat und während dieser Entwicklung redlich bemüht ge¬
wesen ist, alles, was in ihm liegt, und wofür ihm die Natur den Blick und
die innere Anziehungskraft gegeben hat, zur Vollendung zu bringen, läßt sich
um Einzelnes schwer rechten. Der Weg, der von den Romanzen „Von der
schönen Rosamunde" über „Elleruklipp," „Grete Minde" und „Vor dem
Sturm" bis zu diesen neuesten Berliner Romanen geführt hat, läßt sich mit
Anteil, mit dem Gefühl verfolgen, daß es eine innere, künstlerische Notwen¬
digkeit war und ist, die den Autor trieb. Die angeblichen Schüler des Meisters,
die bei der „Adultera" und „Frau Jenny Treibet" anfangen, mögen nur zu¬
sehen, wie weit sie kommen. Aber selbst ein so ernster und talentvoller Schrift¬
steller wie Fontane entgeht auf diesem Wege den schlimmen Einflüssen der
neuern Feuilletonschriftstellerei nicht. Die Berliner Dialektwendungen, die sich
im Munde der Schmölle vortrefflich ausnehmen („Ich sage bloß, was Schmölle
immer sagte: Manchen giebt es der liebe Gott im Schlaf. Dn hast ganz
unverantwortlich un beinahe schauderöse gehandelt um kriegst ihn nu doch.
Du bist ein Glückskind!" ruft sie Corinna zu, als die Verlobung mit Leopold
Treibet gelöst und die mit Marcell Wedderkopp in Sicht ist) mögen unan¬
gefochten bleiben. Aber die Zitate, die litterarischen Anspielungen! Es ist
schlechthin unerträglich, in einer doch leidlich objektiven Darstellung Sätze zu
finden, wie etwa folgenden: „Wenn ihn (Leopold Treibet zu Roß auf dem
Wege nach Treptow) dies im Sattelsein ohnehin schon an jedem Morgen
erfreute, so besonders heut, wo die Vorgänge des voraufgegangnen Abends,
am meisten aber die zwischen Mr. Nelson und Corinna geführten Gespräche
noch stark in ihm nachwirkten, so stark, daß er mit dem ihm sonst wenig ver¬
wandten Ritter Karl von Eichenhorst, wohl den gemeinschaftlichen Wunsch des
Sich-Ruhe-Reitens in seinein Busen hegen durfte. Was ihm dabei equestrisch
zur Verfügung stand, war freilich nichts weniger als ein Dänenroß voll
Kraft und Feuer, sondern nur ein schon lange Zeit in der Manege gehender
Graditzer, dem etwas Extravagantes nicht zugemutet werden konnte." Wenn
wir in diesen Stil voll litterarischer Anspielungen und Zitate") zurückfallen
wollen, so hätten wir bei Jean Paul bleiben und dabei etwas mehr Gemüt
und quellenden Geist in Kauf bekommen können, als Jungberlin zu verspenden
hat. Wir meinen dabei natürlich nur die von dem Erzähler selbst herbei¬
gezognen Einfülle dieser Art; was sich im Munde der Gestalten findet, müssen
wir ja unbeanstandet lassen, sind doch ein emeritirter Gyinnasialdirektor, ein
Professor vom Gymnasium zum heiligen Geist, drei Professoren vom Knr-


D. R.

Und dazu die Sprache! Das Jm-Sattel-sein! das Sich-Ruhe-Reiten!
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[0356] Frau Jenny Treidel Wohlgefallen festzuhalten. Im großen und ganzen spürt man doch, daß nicht bloß bei Treibeis Gold Trumpf ist. Mit einem Schriftsteller, mit einem Dichter wie Fontane, der seine Ent¬ wicklung hinter sich hat und während dieser Entwicklung redlich bemüht ge¬ wesen ist, alles, was in ihm liegt, und wofür ihm die Natur den Blick und die innere Anziehungskraft gegeben hat, zur Vollendung zu bringen, läßt sich um Einzelnes schwer rechten. Der Weg, der von den Romanzen „Von der schönen Rosamunde" über „Elleruklipp," „Grete Minde" und „Vor dem Sturm" bis zu diesen neuesten Berliner Romanen geführt hat, läßt sich mit Anteil, mit dem Gefühl verfolgen, daß es eine innere, künstlerische Notwen¬ digkeit war und ist, die den Autor trieb. Die angeblichen Schüler des Meisters, die bei der „Adultera" und „Frau Jenny Treibet" anfangen, mögen nur zu¬ sehen, wie weit sie kommen. Aber selbst ein so ernster und talentvoller Schrift¬ steller wie Fontane entgeht auf diesem Wege den schlimmen Einflüssen der neuern Feuilletonschriftstellerei nicht. Die Berliner Dialektwendungen, die sich im Munde der Schmölle vortrefflich ausnehmen („Ich sage bloß, was Schmölle immer sagte: Manchen giebt es der liebe Gott im Schlaf. Dn hast ganz unverantwortlich un beinahe schauderöse gehandelt um kriegst ihn nu doch. Du bist ein Glückskind!" ruft sie Corinna zu, als die Verlobung mit Leopold Treibet gelöst und die mit Marcell Wedderkopp in Sicht ist) mögen unan¬ gefochten bleiben. Aber die Zitate, die litterarischen Anspielungen! Es ist schlechthin unerträglich, in einer doch leidlich objektiven Darstellung Sätze zu finden, wie etwa folgenden: „Wenn ihn (Leopold Treibet zu Roß auf dem Wege nach Treptow) dies im Sattelsein ohnehin schon an jedem Morgen erfreute, so besonders heut, wo die Vorgänge des voraufgegangnen Abends, am meisten aber die zwischen Mr. Nelson und Corinna geführten Gespräche noch stark in ihm nachwirkten, so stark, daß er mit dem ihm sonst wenig ver¬ wandten Ritter Karl von Eichenhorst, wohl den gemeinschaftlichen Wunsch des Sich-Ruhe-Reitens in seinein Busen hegen durfte. Was ihm dabei equestrisch zur Verfügung stand, war freilich nichts weniger als ein Dänenroß voll Kraft und Feuer, sondern nur ein schon lange Zeit in der Manege gehender Graditzer, dem etwas Extravagantes nicht zugemutet werden konnte." Wenn wir in diesen Stil voll litterarischer Anspielungen und Zitate") zurückfallen wollen, so hätten wir bei Jean Paul bleiben und dabei etwas mehr Gemüt und quellenden Geist in Kauf bekommen können, als Jungberlin zu verspenden hat. Wir meinen dabei natürlich nur die von dem Erzähler selbst herbei¬ gezognen Einfülle dieser Art; was sich im Munde der Gestalten findet, müssen wir ja unbeanstandet lassen, sind doch ein emeritirter Gyinnasialdirektor, ein Professor vom Gymnasium zum heiligen Geist, drei Professoren vom Knr- D. R. Und dazu die Sprache! Das Jm-Sattel-sein! das Sich-Ruhe-Reiten!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/356>, abgerufen am 13.05.2024.