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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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unwiderleglich Heine als den geschüftsgewandten Nachtreter Brentanos und
Eichendorffs gezeigt; fortleben werden allerdings durch die Melodien zahl¬
reiche Gedichte von ihm, wie noch viel unbedeutendere, zu denen z. B. Franz
Schubert in Ermangelung von bessern gegriffen hat; aber für gesucht saloppe
Reimereien von erlognen "großen Schmerzen" hat die Gegenwart gottlob
keine Empfänglichkeit mehr, und den "leuchtenden Spuren" seiner Prosa
begegnet man höchstens noch in witzelnden Feuilletons. Und von Thaten zu
reden, die Heine an der Spitze des jungen Deutschlands für das -- deutsche
Bürgertum verrichtet haben soll, ist ein solcher Unsinn, daß jedes Wort dar¬
über zuviel wäre. Die tüchtigen Leute aus jener Schriftstellergruppe haben
in reifern Jahren ganz andre Wege eingeschlagen, als ihr angeblicher Führer.

Die Herren ärgern sich über den Düsseldorfer Beschluß: das ist ihr Recht.
Sie bereiten durch ihre Wutausbrüche wahrscheinlich dem "antisemitischen Pöbel,
Janhagel, Gesindel" u. s. w. helle Freude: das ist sehr menschenfreundlich von
ihnen. Aber um zweierlei möchten wir sie bitten, erstens, sich keine Sorgen
um die Ehre der deutschen Nation zu machen, und zweitens, den übrigens
schon abgenutzten Kniff der Verkuppelung Heines mit Lessing endlich ruhen
zu lassen- Lessing und Heine! Bedurfte es noch eines Beweises, daß diese
Sorte von Juden unfähig ist, sich in den deutscheu Geist hineinzudenken, so
würde ihn diese Nebeneinanderstellung "erbringen."




Die Reichstagsverhandlunyen über den Zukunftsstaat

l
e fünftägige Debatte über den Zukunftsstaat im Reichstage ge¬
hört unstreitig zu den bemerkenswertesten Zeichen der Zeit. Es
liegt uns fern, über sie spotten und sie als unfruchtbares Ge¬
rede bezeichnen zu wollen, obwohl nichts weiter dabei heraus¬
gekommen ist und Herauskommen konnte, als was man von vorn¬
herein wußte, daß nämlich am Ende jede Partei, ohne von der andern über¬
zeugt worden zu sein, genau auf dem Punkte stand, wie vorher, und jede be¬
hauptete, die andre im Ringen der Geister zu Boden geworfen zu haben. Nein,
wir wissen die Bedeutung derartiger Geistcskämpfe wohl zu würdige", und wir
erkennen mit Freuden in ihnen den tiefen und fruchtbaren Geist unsers deutschen
Volkes, das die menschlichen Dinge von jeher ernster und gründlicher erfaßt
hat, als irgend ein andres Volk. Dieser scheinbar so ganz theoretische Kampf
giebt uus die sichre Zuversicht, daß das Volk, das der Welt den Segen der


unwiderleglich Heine als den geschüftsgewandten Nachtreter Brentanos und
Eichendorffs gezeigt; fortleben werden allerdings durch die Melodien zahl¬
reiche Gedichte von ihm, wie noch viel unbedeutendere, zu denen z. B. Franz
Schubert in Ermangelung von bessern gegriffen hat; aber für gesucht saloppe
Reimereien von erlognen „großen Schmerzen" hat die Gegenwart gottlob
keine Empfänglichkeit mehr, und den „leuchtenden Spuren" seiner Prosa
begegnet man höchstens noch in witzelnden Feuilletons. Und von Thaten zu
reden, die Heine an der Spitze des jungen Deutschlands für das — deutsche
Bürgertum verrichtet haben soll, ist ein solcher Unsinn, daß jedes Wort dar¬
über zuviel wäre. Die tüchtigen Leute aus jener Schriftstellergruppe haben
in reifern Jahren ganz andre Wege eingeschlagen, als ihr angeblicher Führer.

Die Herren ärgern sich über den Düsseldorfer Beschluß: das ist ihr Recht.
Sie bereiten durch ihre Wutausbrüche wahrscheinlich dem „antisemitischen Pöbel,
Janhagel, Gesindel" u. s. w. helle Freude: das ist sehr menschenfreundlich von
ihnen. Aber um zweierlei möchten wir sie bitten, erstens, sich keine Sorgen
um die Ehre der deutschen Nation zu machen, und zweitens, den übrigens
schon abgenutzten Kniff der Verkuppelung Heines mit Lessing endlich ruhen
zu lassen- Lessing und Heine! Bedurfte es noch eines Beweises, daß diese
Sorte von Juden unfähig ist, sich in den deutscheu Geist hineinzudenken, so
würde ihn diese Nebeneinanderstellung „erbringen."




Die Reichstagsverhandlunyen über den Zukunftsstaat

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e fünftägige Debatte über den Zukunftsstaat im Reichstage ge¬
hört unstreitig zu den bemerkenswertesten Zeichen der Zeit. Es
liegt uns fern, über sie spotten und sie als unfruchtbares Ge¬
rede bezeichnen zu wollen, obwohl nichts weiter dabei heraus¬
gekommen ist und Herauskommen konnte, als was man von vorn¬
herein wußte, daß nämlich am Ende jede Partei, ohne von der andern über¬
zeugt worden zu sein, genau auf dem Punkte stand, wie vorher, und jede be¬
hauptete, die andre im Ringen der Geister zu Boden geworfen zu haben. Nein,
wir wissen die Bedeutung derartiger Geistcskämpfe wohl zu würdige», und wir
erkennen mit Freuden in ihnen den tiefen und fruchtbaren Geist unsers deutschen
Volkes, das die menschlichen Dinge von jeher ernster und gründlicher erfaßt
hat, als irgend ein andres Volk. Dieser scheinbar so ganz theoretische Kampf
giebt uus die sichre Zuversicht, daß das Volk, das der Welt den Segen der


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[0404] unwiderleglich Heine als den geschüftsgewandten Nachtreter Brentanos und Eichendorffs gezeigt; fortleben werden allerdings durch die Melodien zahl¬ reiche Gedichte von ihm, wie noch viel unbedeutendere, zu denen z. B. Franz Schubert in Ermangelung von bessern gegriffen hat; aber für gesucht saloppe Reimereien von erlognen „großen Schmerzen" hat die Gegenwart gottlob keine Empfänglichkeit mehr, und den „leuchtenden Spuren" seiner Prosa begegnet man höchstens noch in witzelnden Feuilletons. Und von Thaten zu reden, die Heine an der Spitze des jungen Deutschlands für das — deutsche Bürgertum verrichtet haben soll, ist ein solcher Unsinn, daß jedes Wort dar¬ über zuviel wäre. Die tüchtigen Leute aus jener Schriftstellergruppe haben in reifern Jahren ganz andre Wege eingeschlagen, als ihr angeblicher Führer. Die Herren ärgern sich über den Düsseldorfer Beschluß: das ist ihr Recht. Sie bereiten durch ihre Wutausbrüche wahrscheinlich dem „antisemitischen Pöbel, Janhagel, Gesindel" u. s. w. helle Freude: das ist sehr menschenfreundlich von ihnen. Aber um zweierlei möchten wir sie bitten, erstens, sich keine Sorgen um die Ehre der deutschen Nation zu machen, und zweitens, den übrigens schon abgenutzten Kniff der Verkuppelung Heines mit Lessing endlich ruhen zu lassen- Lessing und Heine! Bedurfte es noch eines Beweises, daß diese Sorte von Juden unfähig ist, sich in den deutscheu Geist hineinzudenken, so würde ihn diese Nebeneinanderstellung „erbringen." Die Reichstagsverhandlunyen über den Zukunftsstaat l e fünftägige Debatte über den Zukunftsstaat im Reichstage ge¬ hört unstreitig zu den bemerkenswertesten Zeichen der Zeit. Es liegt uns fern, über sie spotten und sie als unfruchtbares Ge¬ rede bezeichnen zu wollen, obwohl nichts weiter dabei heraus¬ gekommen ist und Herauskommen konnte, als was man von vorn¬ herein wußte, daß nämlich am Ende jede Partei, ohne von der andern über¬ zeugt worden zu sein, genau auf dem Punkte stand, wie vorher, und jede be¬ hauptete, die andre im Ringen der Geister zu Boden geworfen zu haben. Nein, wir wissen die Bedeutung derartiger Geistcskämpfe wohl zu würdige», und wir erkennen mit Freuden in ihnen den tiefen und fruchtbaren Geist unsers deutschen Volkes, das die menschlichen Dinge von jeher ernster und gründlicher erfaßt hat, als irgend ein andres Volk. Dieser scheinbar so ganz theoretische Kampf giebt uus die sichre Zuversicht, daß das Volk, das der Welt den Segen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/404>, abgerufen am 28.04.2024.