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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Soldat und Schulmeister

vitae und Schulmeister! Schon diese Überschrift wird manchem
Leser die Unbefangenheit nehmen. Ich höre schon die murrende
Frage: Warum nicht Schulmeister und Soldat? Gewiß, auch
so könnte die Überschrift lauten, denn keiner wird Soldat, we¬
nigstens heutzutage in unserm Vaterlande, der nicht vorher unter
der Fuchtel des Schulmeisters gestanden hätte. Aber ich frage dagegen: Wer
war früher? der Schulmeister oder der Soldat? Wahrscheinlich wird es
heißen müssen: der Soldat, und damit mag der Wortlaut der Überschrift gerecht¬
fertigt fein. Aber ich höre weiter fragen: Warum das Wort "Schulmeister"?
Nun, weil ich darin die Bezeichnung finde, die viel deutlicher ausdrückt, was mir
vor der Seele steht, als wenn ich "Lehrer" sagte oder gar das fremde Wort
"Pädagog" gebrauchte, das die Schulmeister selbst mit besondrer Vorliebe ge¬
brauchen. Wer ein Meister in der Schule ist -- vor dem den Hut ab! Das
Wort sollte den Übeln Beigeschmack, der ihm nach dem Sprachgebrauch jetzt
anhaftet, gar nicht länger tragen; unsre Sprache hat keinen Ausdruck, der besser
anzuwenden wäre, um die Achtung vor dem Stande dnrch die Benennung
zu bezeichnen. Soviel, um etwaigen irrigen Schlüssen aus der Fassung der
Überschrift vorzubeugen.

Und nun noch eine Erwiderung auf einen Einwurf, den gewiß maucher
im stillen macht. Wer urteilt hier über das Verhältnis von Schulmeister und
Soldat? Ist es ein Soldat? Ist es ein Schulmeister? Das Urteil wird in
jedem der beiden Fälle einseitig und darum schief ausfallen. Ohne Anmaßung:
ich glaube, ein zutreffendes Urteil in dieser Sache fallen zu können; bin
ich doch jahrelang Soldat und Schulmeister zu gleicher Zeit gewesen und
bin beides in gewissem Sinne noch heute. Ich habe selbst mit der Waffe in
der Hand gedient, ich habe jahrelang wöchentlich zehn Stunden an einer


Grenzboten I 1893 S2


Soldat und Schulmeister

vitae und Schulmeister! Schon diese Überschrift wird manchem
Leser die Unbefangenheit nehmen. Ich höre schon die murrende
Frage: Warum nicht Schulmeister und Soldat? Gewiß, auch
so könnte die Überschrift lauten, denn keiner wird Soldat, we¬
nigstens heutzutage in unserm Vaterlande, der nicht vorher unter
der Fuchtel des Schulmeisters gestanden hätte. Aber ich frage dagegen: Wer
war früher? der Schulmeister oder der Soldat? Wahrscheinlich wird es
heißen müssen: der Soldat, und damit mag der Wortlaut der Überschrift gerecht¬
fertigt fein. Aber ich höre weiter fragen: Warum das Wort „Schulmeister"?
Nun, weil ich darin die Bezeichnung finde, die viel deutlicher ausdrückt, was mir
vor der Seele steht, als wenn ich „Lehrer" sagte oder gar das fremde Wort
„Pädagog" gebrauchte, das die Schulmeister selbst mit besondrer Vorliebe ge¬
brauchen. Wer ein Meister in der Schule ist — vor dem den Hut ab! Das
Wort sollte den Übeln Beigeschmack, der ihm nach dem Sprachgebrauch jetzt
anhaftet, gar nicht länger tragen; unsre Sprache hat keinen Ausdruck, der besser
anzuwenden wäre, um die Achtung vor dem Stande dnrch die Benennung
zu bezeichnen. Soviel, um etwaigen irrigen Schlüssen aus der Fassung der
Überschrift vorzubeugen.

Und nun noch eine Erwiderung auf einen Einwurf, den gewiß maucher
im stillen macht. Wer urteilt hier über das Verhältnis von Schulmeister und
Soldat? Ist es ein Soldat? Ist es ein Schulmeister? Das Urteil wird in
jedem der beiden Fälle einseitig und darum schief ausfallen. Ohne Anmaßung:
ich glaube, ein zutreffendes Urteil in dieser Sache fallen zu können; bin
ich doch jahrelang Soldat und Schulmeister zu gleicher Zeit gewesen und
bin beides in gewissem Sinne noch heute. Ich habe selbst mit der Waffe in
der Hand gedient, ich habe jahrelang wöchentlich zehn Stunden an einer


Grenzboten I 1893 S2
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[0419] [Abbildung] Soldat und Schulmeister vitae und Schulmeister! Schon diese Überschrift wird manchem Leser die Unbefangenheit nehmen. Ich höre schon die murrende Frage: Warum nicht Schulmeister und Soldat? Gewiß, auch so könnte die Überschrift lauten, denn keiner wird Soldat, we¬ nigstens heutzutage in unserm Vaterlande, der nicht vorher unter der Fuchtel des Schulmeisters gestanden hätte. Aber ich frage dagegen: Wer war früher? der Schulmeister oder der Soldat? Wahrscheinlich wird es heißen müssen: der Soldat, und damit mag der Wortlaut der Überschrift gerecht¬ fertigt fein. Aber ich höre weiter fragen: Warum das Wort „Schulmeister"? Nun, weil ich darin die Bezeichnung finde, die viel deutlicher ausdrückt, was mir vor der Seele steht, als wenn ich „Lehrer" sagte oder gar das fremde Wort „Pädagog" gebrauchte, das die Schulmeister selbst mit besondrer Vorliebe ge¬ brauchen. Wer ein Meister in der Schule ist — vor dem den Hut ab! Das Wort sollte den Übeln Beigeschmack, der ihm nach dem Sprachgebrauch jetzt anhaftet, gar nicht länger tragen; unsre Sprache hat keinen Ausdruck, der besser anzuwenden wäre, um die Achtung vor dem Stande dnrch die Benennung zu bezeichnen. Soviel, um etwaigen irrigen Schlüssen aus der Fassung der Überschrift vorzubeugen. Und nun noch eine Erwiderung auf einen Einwurf, den gewiß maucher im stillen macht. Wer urteilt hier über das Verhältnis von Schulmeister und Soldat? Ist es ein Soldat? Ist es ein Schulmeister? Das Urteil wird in jedem der beiden Fälle einseitig und darum schief ausfallen. Ohne Anmaßung: ich glaube, ein zutreffendes Urteil in dieser Sache fallen zu können; bin ich doch jahrelang Soldat und Schulmeister zu gleicher Zeit gewesen und bin beides in gewissem Sinne noch heute. Ich habe selbst mit der Waffe in der Hand gedient, ich habe jahrelang wöchentlich zehn Stunden an einer Grenzboten I 1893 S2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/419>, abgerufen am 27.04.2024.