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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

schlechtem Beigeschmack versehene Ausdruck "Agrariertnm," mit dem mau
diese Bewegung verdächtigen möchte, nicht angebracht. Allerdings will sie
ihre Kraft aus der Landwirtschaft nehmen, aber Sonderinteressen hat sie nicht
im Auge: sie will nur den überhandnehmenden Einfluß der im letzten Grunde
demokratischen Theorien in der Politik wie in der Volkswirtschaft abwehren
und zerstören und richtet zugleich ihre ganze Kraft auf die Stärkung des
monarchischen Ansehens wie auf die Verdrängung der -- allerdings noch nicht
vorhandnen, sich aber bei fortgesetztem Anwachsen des liberalen oder demo¬
kratischen Elements leicht von selbst ergebenden -- Übermacht des Parla¬
mentarismus. Die Herren vom Freisinn spotten dieser Bewegung, zumal da
sie das Judentum als Verbündeten haben und soeben noch die Genugthuung
hatten, sür die Handelspolitik der Regierung eintreten zu können. Aber selbst
ihre demonstrative Stellungnahme gegenüber dem "Zukunftsstaat" wird ihnen
nichts nützen; sie werden sich mit ganz andern Waffen rüsten müssen, wenn
sie der konservativen Bewegung Herr werden wollen. Sie werden es sicher
nicht, wenn sie in der Militärfrage die Politik der Kvnfliktszeit treiben: an
dieser Klippe werden sie jetzt wie damals scheitern.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zum Panama Prozeß.

Die Neue Freie Presse meint, nach dem Urteile
über Ferdinand von Lessevs brauche man sich über die Ketten im Sarge des Ko¬
lumbus nicht mehr zu wundern. Einverstanden! Wenn sie aber weiter schreibt,
der Haß gegen das Unternehmertum und gegen das Unternehmergenie habe dieses
Urteil diktirt, so irrt sie entweder oder will das Publikum irre führen, seine Auf¬
merksamkeit von ihren lieben Freunden und Stammesgenossen ablenken, die bei der
Sache die Hauptschuld tragen. Wie kamen die französischen Richter dazu, einen
genialen Unternehmer zu hassen? Die Sache liegt doch sehr einfach: ihnen siel die
für gewissenhafte Richter gewiß äußerst peinliche Aufgabe zu, die Schuld der eigent¬
lich Schuldigen, der frühern Minister, der Deputirten und der Gönner dieser
Herren in der hohen Finanz zu verdecken. Die Schuld von Lessevs besteht, wie
es scheint, nur darin, daß er sich als Greis an ein Unternehmen wagte, das viel¬
leicht auch für seine frühere Mnnneskraft zu schwierig gewesen wäre. An gehörige
Überwachung des Baues war bei der ungeheuern Entfernung nicht zu denken. Das
Geld wurde also größtenteils vertrödelt, und als es ausging, that Lessevs, was
jeder ehrgeizige Unternehmer in solchem Falle thut, er suchte mehr Geld zu er¬
langen. Um das Gebahren der dafür nötigen Geldleute hat er sich gewiß nicht
gekümmert. Regierung und Deputirte wußten, wie es in Panama stand, sie mußten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

schlechtem Beigeschmack versehene Ausdruck „Agrariertnm," mit dem mau
diese Bewegung verdächtigen möchte, nicht angebracht. Allerdings will sie
ihre Kraft aus der Landwirtschaft nehmen, aber Sonderinteressen hat sie nicht
im Auge: sie will nur den überhandnehmenden Einfluß der im letzten Grunde
demokratischen Theorien in der Politik wie in der Volkswirtschaft abwehren
und zerstören und richtet zugleich ihre ganze Kraft auf die Stärkung des
monarchischen Ansehens wie auf die Verdrängung der — allerdings noch nicht
vorhandnen, sich aber bei fortgesetztem Anwachsen des liberalen oder demo¬
kratischen Elements leicht von selbst ergebenden — Übermacht des Parla¬
mentarismus. Die Herren vom Freisinn spotten dieser Bewegung, zumal da
sie das Judentum als Verbündeten haben und soeben noch die Genugthuung
hatten, sür die Handelspolitik der Regierung eintreten zu können. Aber selbst
ihre demonstrative Stellungnahme gegenüber dem „Zukunftsstaat" wird ihnen
nichts nützen; sie werden sich mit ganz andern Waffen rüsten müssen, wenn
sie der konservativen Bewegung Herr werden wollen. Sie werden es sicher
nicht, wenn sie in der Militärfrage die Politik der Kvnfliktszeit treiben: an
dieser Klippe werden sie jetzt wie damals scheitern.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zum Panama Prozeß.

Die Neue Freie Presse meint, nach dem Urteile
über Ferdinand von Lessevs brauche man sich über die Ketten im Sarge des Ko¬
lumbus nicht mehr zu wundern. Einverstanden! Wenn sie aber weiter schreibt,
der Haß gegen das Unternehmertum und gegen das Unternehmergenie habe dieses
Urteil diktirt, so irrt sie entweder oder will das Publikum irre führen, seine Auf¬
merksamkeit von ihren lieben Freunden und Stammesgenossen ablenken, die bei der
Sache die Hauptschuld tragen. Wie kamen die französischen Richter dazu, einen
genialen Unternehmer zu hassen? Die Sache liegt doch sehr einfach: ihnen siel die
für gewissenhafte Richter gewiß äußerst peinliche Aufgabe zu, die Schuld der eigent¬
lich Schuldigen, der frühern Minister, der Deputirten und der Gönner dieser
Herren in der hohen Finanz zu verdecken. Die Schuld von Lessevs besteht, wie
es scheint, nur darin, daß er sich als Greis an ein Unternehmen wagte, das viel¬
leicht auch für seine frühere Mnnneskraft zu schwierig gewesen wäre. An gehörige
Überwachung des Baues war bei der ungeheuern Entfernung nicht zu denken. Das
Geld wurde also größtenteils vertrödelt, und als es ausging, that Lessevs, was
jeder ehrgeizige Unternehmer in solchem Falle thut, er suchte mehr Geld zu er¬
langen. Um das Gebahren der dafür nötigen Geldleute hat er sich gewiß nicht
gekümmert. Regierung und Deputirte wußten, wie es in Panama stand, sie mußten


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[0458] Maßgebliches und Unmaßgebliches schlechtem Beigeschmack versehene Ausdruck „Agrariertnm," mit dem mau diese Bewegung verdächtigen möchte, nicht angebracht. Allerdings will sie ihre Kraft aus der Landwirtschaft nehmen, aber Sonderinteressen hat sie nicht im Auge: sie will nur den überhandnehmenden Einfluß der im letzten Grunde demokratischen Theorien in der Politik wie in der Volkswirtschaft abwehren und zerstören und richtet zugleich ihre ganze Kraft auf die Stärkung des monarchischen Ansehens wie auf die Verdrängung der — allerdings noch nicht vorhandnen, sich aber bei fortgesetztem Anwachsen des liberalen oder demo¬ kratischen Elements leicht von selbst ergebenden — Übermacht des Parla¬ mentarismus. Die Herren vom Freisinn spotten dieser Bewegung, zumal da sie das Judentum als Verbündeten haben und soeben noch die Genugthuung hatten, sür die Handelspolitik der Regierung eintreten zu können. Aber selbst ihre demonstrative Stellungnahme gegenüber dem „Zukunftsstaat" wird ihnen nichts nützen; sie werden sich mit ganz andern Waffen rüsten müssen, wenn sie der konservativen Bewegung Herr werden wollen. Sie werden es sicher nicht, wenn sie in der Militärfrage die Politik der Kvnfliktszeit treiben: an dieser Klippe werden sie jetzt wie damals scheitern. Maßgebliches und Unmaßgebliches Zum Panama Prozeß. Die Neue Freie Presse meint, nach dem Urteile über Ferdinand von Lessevs brauche man sich über die Ketten im Sarge des Ko¬ lumbus nicht mehr zu wundern. Einverstanden! Wenn sie aber weiter schreibt, der Haß gegen das Unternehmertum und gegen das Unternehmergenie habe dieses Urteil diktirt, so irrt sie entweder oder will das Publikum irre führen, seine Auf¬ merksamkeit von ihren lieben Freunden und Stammesgenossen ablenken, die bei der Sache die Hauptschuld tragen. Wie kamen die französischen Richter dazu, einen genialen Unternehmer zu hassen? Die Sache liegt doch sehr einfach: ihnen siel die für gewissenhafte Richter gewiß äußerst peinliche Aufgabe zu, die Schuld der eigent¬ lich Schuldigen, der frühern Minister, der Deputirten und der Gönner dieser Herren in der hohen Finanz zu verdecken. Die Schuld von Lessevs besteht, wie es scheint, nur darin, daß er sich als Greis an ein Unternehmen wagte, das viel¬ leicht auch für seine frühere Mnnneskraft zu schwierig gewesen wäre. An gehörige Überwachung des Baues war bei der ungeheuern Entfernung nicht zu denken. Das Geld wurde also größtenteils vertrödelt, und als es ausging, that Lessevs, was jeder ehrgeizige Unternehmer in solchem Falle thut, er suchte mehr Geld zu er¬ langen. Um das Gebahren der dafür nötigen Geldleute hat er sich gewiß nicht gekümmert. Regierung und Deputirte wußten, wie es in Panama stand, sie mußten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/458>, abgerufen am 28.04.2024.