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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Bund der Landwirte

enden der Kladderadatsch den "Zug des Todes/' das bekannte
Bild Spangenbergs, durch einen "Zug der Nörgler" travestirt
hat, sind die Scharen der Nörgler im deutschen Reiche erschreckend
gewachsen, und dem von Unsicherheit, Sorge, Mißgunst, Neid,
Genußsucht und Überhebung gedüngten Boden unsrer Gesellschaft
entsprießen gar wundersame Blüten. Frau Sorge klopft an manche Thür, und
nicht am leisesten an die Thüren der deutschen Landwirte. Das neunzehnte
Jahrhundert hat diesen neben vielem Guten auch ein Danaergeschenk gebracht:
die Eisenbahnen und die Dampfschiffe, mit deren Hilfe die Entfernungen zu¬
sammengeschrumpft und die Staaten, die Erdteile einander näher gerückt sind.
Der Niese "Konkurrenz" hat seine gewaltige Faust auch auf die Landwirtschaft
gelegt, und durch die.seu sich von Jahr zu Jahr steigernden Druck ist schon so
mancher Schwache zerquetscht worden. Allerdings hat auch Faulheit, Unwissen¬
heit und Verschwendung oft selbstverschuldeten Untergang mit ihm zu ent¬
schuldigen versucht. Nur die Klugen, Starke" und sparsamen halten noch
Stand, aber auch sie fühlen ein Unbehagen, das sie nicht zum ruhigen Genuß
des Lebens kommen läßt. Dazu geht überhaupt durch unsre Zeit ein Zug der
Unzufriedenheit, der sich nicht bloß bei der Sozialdemokratin sondern auch
bei den Agrariern, besonders in den letzten Jahren, sehr bemerkbar gemacht hat.

Dein Landwirt, der im allgemeinen kein großer Rechenmeister ist und sich
""gern mit Abschlüssen oder gar mit Anschlägen beschäftigt, ist stets von allen
Seiten gepredigt worden: Rechne, rechne! Du rechnest nicht genug! Nun ist
in Preußen das neue Einkommensteuergesetz gekommen, drückt ihm alle Jahre
mit Gewalt, unter Androhung höherer Einschätzung, die Feder in die Hand
mit verlangt von ihm eine Selbsteinschätzung, noch dazu zur Winterszeit, die
so wie so schon zum Grübeln und Rechnen mehr einladet als der erste Juli,


Grenzboten I 1893 58


Der Bund der Landwirte

enden der Kladderadatsch den „Zug des Todes/' das bekannte
Bild Spangenbergs, durch einen „Zug der Nörgler" travestirt
hat, sind die Scharen der Nörgler im deutschen Reiche erschreckend
gewachsen, und dem von Unsicherheit, Sorge, Mißgunst, Neid,
Genußsucht und Überhebung gedüngten Boden unsrer Gesellschaft
entsprießen gar wundersame Blüten. Frau Sorge klopft an manche Thür, und
nicht am leisesten an die Thüren der deutschen Landwirte. Das neunzehnte
Jahrhundert hat diesen neben vielem Guten auch ein Danaergeschenk gebracht:
die Eisenbahnen und die Dampfschiffe, mit deren Hilfe die Entfernungen zu¬
sammengeschrumpft und die Staaten, die Erdteile einander näher gerückt sind.
Der Niese „Konkurrenz" hat seine gewaltige Faust auch auf die Landwirtschaft
gelegt, und durch die.seu sich von Jahr zu Jahr steigernden Druck ist schon so
mancher Schwache zerquetscht worden. Allerdings hat auch Faulheit, Unwissen¬
heit und Verschwendung oft selbstverschuldeten Untergang mit ihm zu ent¬
schuldigen versucht. Nur die Klugen, Starke» und sparsamen halten noch
Stand, aber auch sie fühlen ein Unbehagen, das sie nicht zum ruhigen Genuß
des Lebens kommen läßt. Dazu geht überhaupt durch unsre Zeit ein Zug der
Unzufriedenheit, der sich nicht bloß bei der Sozialdemokratin sondern auch
bei den Agrariern, besonders in den letzten Jahren, sehr bemerkbar gemacht hat.

Dein Landwirt, der im allgemeinen kein großer Rechenmeister ist und sich
«»gern mit Abschlüssen oder gar mit Anschlägen beschäftigt, ist stets von allen
Seiten gepredigt worden: Rechne, rechne! Du rechnest nicht genug! Nun ist
in Preußen das neue Einkommensteuergesetz gekommen, drückt ihm alle Jahre
mit Gewalt, unter Androhung höherer Einschätzung, die Feder in die Hand
mit verlangt von ihm eine Selbsteinschätzung, noch dazu zur Winterszeit, die
so wie so schon zum Grübeln und Rechnen mehr einladet als der erste Juli,


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[0467] [Abbildung] Der Bund der Landwirte enden der Kladderadatsch den „Zug des Todes/' das bekannte Bild Spangenbergs, durch einen „Zug der Nörgler" travestirt hat, sind die Scharen der Nörgler im deutschen Reiche erschreckend gewachsen, und dem von Unsicherheit, Sorge, Mißgunst, Neid, Genußsucht und Überhebung gedüngten Boden unsrer Gesellschaft entsprießen gar wundersame Blüten. Frau Sorge klopft an manche Thür, und nicht am leisesten an die Thüren der deutschen Landwirte. Das neunzehnte Jahrhundert hat diesen neben vielem Guten auch ein Danaergeschenk gebracht: die Eisenbahnen und die Dampfschiffe, mit deren Hilfe die Entfernungen zu¬ sammengeschrumpft und die Staaten, die Erdteile einander näher gerückt sind. Der Niese „Konkurrenz" hat seine gewaltige Faust auch auf die Landwirtschaft gelegt, und durch die.seu sich von Jahr zu Jahr steigernden Druck ist schon so mancher Schwache zerquetscht worden. Allerdings hat auch Faulheit, Unwissen¬ heit und Verschwendung oft selbstverschuldeten Untergang mit ihm zu ent¬ schuldigen versucht. Nur die Klugen, Starke» und sparsamen halten noch Stand, aber auch sie fühlen ein Unbehagen, das sie nicht zum ruhigen Genuß des Lebens kommen läßt. Dazu geht überhaupt durch unsre Zeit ein Zug der Unzufriedenheit, der sich nicht bloß bei der Sozialdemokratin sondern auch bei den Agrariern, besonders in den letzten Jahren, sehr bemerkbar gemacht hat. Dein Landwirt, der im allgemeinen kein großer Rechenmeister ist und sich «»gern mit Abschlüssen oder gar mit Anschlägen beschäftigt, ist stets von allen Seiten gepredigt worden: Rechne, rechne! Du rechnest nicht genug! Nun ist in Preußen das neue Einkommensteuergesetz gekommen, drückt ihm alle Jahre mit Gewalt, unter Androhung höherer Einschätzung, die Feder in die Hand mit verlangt von ihm eine Selbsteinschätzung, noch dazu zur Winterszeit, die so wie so schon zum Grübeln und Rechnen mehr einladet als der erste Juli, Grenzboten I 1893 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/467>, abgerufen am 28.04.2024.