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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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wo der Landwirt sonst seine Bücher abschließen soll. Der Landrat, der land¬
wirtschaftliche Verein, das Fachblatt, alle rufen dem Landwirt zu: Erkenne
dich selbst! Und das, worin bisher am meisten auf dein Lunde gesündigt
worden ist, die Selbsteinschätzung, beginnt allerorten mit Hochdruck zu ar¬
beite!?. Die Vvgelstraußpolitik gegenüber der eignen Vermögenslage muß not¬
gedrungen aufgegeben werden, und an der Hand des Musters 1 für die Steuer¬
erklärung werden plötzlich Gedanken geboren, die früher dem einfachen Land¬
wirt sehr fern gelegen haben. Er kommt zu dem Ergebnis: Mein steuer¬
pflichtiges Einkommen beträgt 1. aus Kapitalvermögen an Zinsen, Renten,
Dividenden, Ausbeuten -- nichts! Im Gegenteil, die Zinsen und die Renten
muß ich aufbringen und an die zahlen, die auch die Dividenden, Ausbeuten
u. dergl. einsanken! 2. aus Grundvermögen: Betrieb der Landwirtschaft n. f. w.
einschließlich des Mietwertes der Wohnung und des Geldwertes der im Hause
verbrauchten Wirtschaftserzeugnisse -- auch nicht viel! Im Durchschnitt der
letzten zehn Jahre habe ich nichts erspart, nud die paar Groschen, die auf der
Sparkasse lagen, sind draufgegangen, ich habe also aus Grundvermögen so gut
wie nichts eingenommen. Und wenn ich nun noch das bischen Leben und
Wohnung als Einnahme versteuern soll, so ist das doch die höhere Schinderei;
dafür zahle ich doch die Grundsteuer, bekleide dem Staat alle Ämter um¬
sonst, muß ius Schöffengericht, oft wochenlang ins Schwurgericht, ohne einen
Pfennig außer den dürftigen einmaligen Reisekosten zu erhalten, muß in der
fremden Stadt ganz auf meine Kosten leben, muß meine Pferde, selbst die
zum Kriegsdienst ganz untrüglichen, stets dem Militärfiskus zur Verfügung
stellen, muß Schulen erhalten, Kirchen bauen, Kranken-, Unfall-, Alters- und
Jnvalidenbeitrüge zahlen, Wege und Brücken bessern. Ist das noch nicht
Steuer genug? Aber das sind ja keine Steuern für den Staat -- sagt der
Finanzminister --, das sind ja Gemeindenbgaben, die dir unmittelbar wieder
zu gute kommen, die darfst du vou deiner Einnahme nicht abziehen. Nur die
Staats-, Grund- und Gebäudesteuer, die Feuerversicherung und allenfalls eine
mäßige Amortisation für deine Gutsgebüude, die kannst du abziehen. Nun, da
wollen wir doch sehen, was wir in dem vorzüglichen Wirtschaftsjahre 1392/93
aus dem Grundvermögen einnehmen. Gcerntet habe ich 11 Zentner Weizen
und 10 Zentner Roggen vom Morgen, also 3 Zentner Weizen und 4 Zentner
Roggen mehr als bei der Mißerute vou 1891. Zum Verkauf blieben 1891:
1000 Zentner Weizen zu 12 Mark und 400 Zentner Roggen zu 12 Mark ^-
16 800 Mark; 1892: 1600 Zentner Weizen zu 7 Mark und 1200 Zentner
Roggen zu 6 Mark 18 400 Mark, also 1600 Mark mehr. Ja, wenn die
Preise nicht so gefallen wären, dann hätten wir ein gutes Jahr gehabt, bei
den vorjährigen Preisen 16 800 Mark mehr; da hätte mau einmal etwas
zurücklegen oder Schulden bezahlen können. Dazu ist wegen der großen
Futternot außer ein paar tausend Zentnern Zuckerrüben und Kartoffeln nichts


wo der Landwirt sonst seine Bücher abschließen soll. Der Landrat, der land¬
wirtschaftliche Verein, das Fachblatt, alle rufen dem Landwirt zu: Erkenne
dich selbst! Und das, worin bisher am meisten auf dein Lunde gesündigt
worden ist, die Selbsteinschätzung, beginnt allerorten mit Hochdruck zu ar¬
beite!?. Die Vvgelstraußpolitik gegenüber der eignen Vermögenslage muß not¬
gedrungen aufgegeben werden, und an der Hand des Musters 1 für die Steuer¬
erklärung werden plötzlich Gedanken geboren, die früher dem einfachen Land¬
wirt sehr fern gelegen haben. Er kommt zu dem Ergebnis: Mein steuer¬
pflichtiges Einkommen beträgt 1. aus Kapitalvermögen an Zinsen, Renten,
Dividenden, Ausbeuten — nichts! Im Gegenteil, die Zinsen und die Renten
muß ich aufbringen und an die zahlen, die auch die Dividenden, Ausbeuten
u. dergl. einsanken! 2. aus Grundvermögen: Betrieb der Landwirtschaft n. f. w.
einschließlich des Mietwertes der Wohnung und des Geldwertes der im Hause
verbrauchten Wirtschaftserzeugnisse — auch nicht viel! Im Durchschnitt der
letzten zehn Jahre habe ich nichts erspart, nud die paar Groschen, die auf der
Sparkasse lagen, sind draufgegangen, ich habe also aus Grundvermögen so gut
wie nichts eingenommen. Und wenn ich nun noch das bischen Leben und
Wohnung als Einnahme versteuern soll, so ist das doch die höhere Schinderei;
dafür zahle ich doch die Grundsteuer, bekleide dem Staat alle Ämter um¬
sonst, muß ius Schöffengericht, oft wochenlang ins Schwurgericht, ohne einen
Pfennig außer den dürftigen einmaligen Reisekosten zu erhalten, muß in der
fremden Stadt ganz auf meine Kosten leben, muß meine Pferde, selbst die
zum Kriegsdienst ganz untrüglichen, stets dem Militärfiskus zur Verfügung
stellen, muß Schulen erhalten, Kirchen bauen, Kranken-, Unfall-, Alters- und
Jnvalidenbeitrüge zahlen, Wege und Brücken bessern. Ist das noch nicht
Steuer genug? Aber das sind ja keine Steuern für den Staat — sagt der
Finanzminister —, das sind ja Gemeindenbgaben, die dir unmittelbar wieder
zu gute kommen, die darfst du vou deiner Einnahme nicht abziehen. Nur die
Staats-, Grund- und Gebäudesteuer, die Feuerversicherung und allenfalls eine
mäßige Amortisation für deine Gutsgebüude, die kannst du abziehen. Nun, da
wollen wir doch sehen, was wir in dem vorzüglichen Wirtschaftsjahre 1392/93
aus dem Grundvermögen einnehmen. Gcerntet habe ich 11 Zentner Weizen
und 10 Zentner Roggen vom Morgen, also 3 Zentner Weizen und 4 Zentner
Roggen mehr als bei der Mißerute vou 1891. Zum Verkauf blieben 1891:
1000 Zentner Weizen zu 12 Mark und 400 Zentner Roggen zu 12 Mark ^-
16 800 Mark; 1892: 1600 Zentner Weizen zu 7 Mark und 1200 Zentner
Roggen zu 6 Mark 18 400 Mark, also 1600 Mark mehr. Ja, wenn die
Preise nicht so gefallen wären, dann hätten wir ein gutes Jahr gehabt, bei
den vorjährigen Preisen 16 800 Mark mehr; da hätte mau einmal etwas
zurücklegen oder Schulden bezahlen können. Dazu ist wegen der großen
Futternot außer ein paar tausend Zentnern Zuckerrüben und Kartoffeln nichts


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[0468] wo der Landwirt sonst seine Bücher abschließen soll. Der Landrat, der land¬ wirtschaftliche Verein, das Fachblatt, alle rufen dem Landwirt zu: Erkenne dich selbst! Und das, worin bisher am meisten auf dein Lunde gesündigt worden ist, die Selbsteinschätzung, beginnt allerorten mit Hochdruck zu ar¬ beite!?. Die Vvgelstraußpolitik gegenüber der eignen Vermögenslage muß not¬ gedrungen aufgegeben werden, und an der Hand des Musters 1 für die Steuer¬ erklärung werden plötzlich Gedanken geboren, die früher dem einfachen Land¬ wirt sehr fern gelegen haben. Er kommt zu dem Ergebnis: Mein steuer¬ pflichtiges Einkommen beträgt 1. aus Kapitalvermögen an Zinsen, Renten, Dividenden, Ausbeuten — nichts! Im Gegenteil, die Zinsen und die Renten muß ich aufbringen und an die zahlen, die auch die Dividenden, Ausbeuten u. dergl. einsanken! 2. aus Grundvermögen: Betrieb der Landwirtschaft n. f. w. einschließlich des Mietwertes der Wohnung und des Geldwertes der im Hause verbrauchten Wirtschaftserzeugnisse — auch nicht viel! Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre habe ich nichts erspart, nud die paar Groschen, die auf der Sparkasse lagen, sind draufgegangen, ich habe also aus Grundvermögen so gut wie nichts eingenommen. Und wenn ich nun noch das bischen Leben und Wohnung als Einnahme versteuern soll, so ist das doch die höhere Schinderei; dafür zahle ich doch die Grundsteuer, bekleide dem Staat alle Ämter um¬ sonst, muß ius Schöffengericht, oft wochenlang ins Schwurgericht, ohne einen Pfennig außer den dürftigen einmaligen Reisekosten zu erhalten, muß in der fremden Stadt ganz auf meine Kosten leben, muß meine Pferde, selbst die zum Kriegsdienst ganz untrüglichen, stets dem Militärfiskus zur Verfügung stellen, muß Schulen erhalten, Kirchen bauen, Kranken-, Unfall-, Alters- und Jnvalidenbeitrüge zahlen, Wege und Brücken bessern. Ist das noch nicht Steuer genug? Aber das sind ja keine Steuern für den Staat — sagt der Finanzminister —, das sind ja Gemeindenbgaben, die dir unmittelbar wieder zu gute kommen, die darfst du vou deiner Einnahme nicht abziehen. Nur die Staats-, Grund- und Gebäudesteuer, die Feuerversicherung und allenfalls eine mäßige Amortisation für deine Gutsgebüude, die kannst du abziehen. Nun, da wollen wir doch sehen, was wir in dem vorzüglichen Wirtschaftsjahre 1392/93 aus dem Grundvermögen einnehmen. Gcerntet habe ich 11 Zentner Weizen und 10 Zentner Roggen vom Morgen, also 3 Zentner Weizen und 4 Zentner Roggen mehr als bei der Mißerute vou 1891. Zum Verkauf blieben 1891: 1000 Zentner Weizen zu 12 Mark und 400 Zentner Roggen zu 12 Mark ^- 16 800 Mark; 1892: 1600 Zentner Weizen zu 7 Mark und 1200 Zentner Roggen zu 6 Mark 18 400 Mark, also 1600 Mark mehr. Ja, wenn die Preise nicht so gefallen wären, dann hätten wir ein gutes Jahr gehabt, bei den vorjährigen Preisen 16 800 Mark mehr; da hätte mau einmal etwas zurücklegen oder Schulden bezahlen können. Dazu ist wegen der großen Futternot außer ein paar tausend Zentnern Zuckerrüben und Kartoffeln nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/468>, abgerufen am 13.05.2024.