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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Berufung und Schöffengericht

daher um den hohen Reichstag die dringende Bitte: er wolle allen weitern Handels¬
verträgen, soweit sie eine Herabsetzung der bestehenden Zolle enthalten, unbedingt
seine Zustimmung versagen und auf eine Förderung auch der landwirtschaftlichen
Ausfuhr Bedacht nehmen, damit die deutsche Landwirtschaft blühen könne zum
Segen des gesamten Vaterlandes.

Die große "unpolitische" Partei der Landwirte Dentschlands ist also am
18. Februar 189!.! mit Gewalt geboren worden. Ob sie lebensfähig ist, hat
sie jetzt zu beweisen. Wir wünschen den deutschen Landwirten von ganzem
Herzen sonnigere Tage, als sie in den letzte" Jahrzehnten gehabt haben; aber
wenn sie nicht ebenso hohe Ansprüche an sich selbst wie um ihre nichtlandwirt¬
schaftlichen Mitbürger stellen, werden auch alle Massenversammlungen sie nicht
retten.




Berufung und Schöffengericht

le Zeitungen haben von einer Umfrage des preußischen Justiz-
ministers berichtet, ob es genügen werde, die Strafkammern der
Landgerichte in Zukunft mir mit drei, statt wie jetzt mit fünf
Richtern zu besetzen. Zugleich verlautet, daß die Bundesregie¬
rungen geneigt seien, dem Andrängen des Reichstags nachzugeben
und die Berufung gegen die Urteile der Strafkammern einzuführen. Mau
darf sich daher darauf gefaßt machen, daß eine Gesetzesvvrlage, die um den
Preis der Herabsetzung der Nichterzahl von fünf auf drei die Berufung gegen
die Urteile der Strafkammern gewährt, die Zustimmung des Reichstags finden
werde. Dn scheint es denn geboten, in letzter Stunde noch einmal zu prüfen,
was durch diese Neuordnung gewonnen würde, und ob sie nicht am Ende den
Teufel durch Belzebub austriebe.

Augenscheinlich sollen die einzuführenden Berufungskammern oder Be-
rufuugssenate mit fünf gelehrten Richtern besetzt werden. Ist aber der Vor¬
teil, den eine wiederholte Prüfung der Anklage bietet, wirklich so groß, daß
sie, obwohl von einem nicht besser besetzten Gerichte vorgenommen, als es
gegenwärtig das erstinstanzliche ist, den Nachteil aufwiegen könnte, der dadurch
entsteht, daß die erste Entscheidung in die Hand eines weniger gut besetzten
Gerichts als bisher gelegt wird? Oder werden nicht gerechtere Urteile ergehn,
wenn sie gleich von vornherein von dem bessern Gerichte der fünf Richter ge¬
funden werden?


Berufung und Schöffengericht

daher um den hohen Reichstag die dringende Bitte: er wolle allen weitern Handels¬
verträgen, soweit sie eine Herabsetzung der bestehenden Zolle enthalten, unbedingt
seine Zustimmung versagen und auf eine Förderung auch der landwirtschaftlichen
Ausfuhr Bedacht nehmen, damit die deutsche Landwirtschaft blühen könne zum
Segen des gesamten Vaterlandes.

Die große „unpolitische" Partei der Landwirte Dentschlands ist also am
18. Februar 189!.! mit Gewalt geboren worden. Ob sie lebensfähig ist, hat
sie jetzt zu beweisen. Wir wünschen den deutschen Landwirten von ganzem
Herzen sonnigere Tage, als sie in den letzte» Jahrzehnten gehabt haben; aber
wenn sie nicht ebenso hohe Ansprüche an sich selbst wie um ihre nichtlandwirt¬
schaftlichen Mitbürger stellen, werden auch alle Massenversammlungen sie nicht
retten.




Berufung und Schöffengericht

le Zeitungen haben von einer Umfrage des preußischen Justiz-
ministers berichtet, ob es genügen werde, die Strafkammern der
Landgerichte in Zukunft mir mit drei, statt wie jetzt mit fünf
Richtern zu besetzen. Zugleich verlautet, daß die Bundesregie¬
rungen geneigt seien, dem Andrängen des Reichstags nachzugeben
und die Berufung gegen die Urteile der Strafkammern einzuführen. Mau
darf sich daher darauf gefaßt machen, daß eine Gesetzesvvrlage, die um den
Preis der Herabsetzung der Nichterzahl von fünf auf drei die Berufung gegen
die Urteile der Strafkammern gewährt, die Zustimmung des Reichstags finden
werde. Dn scheint es denn geboten, in letzter Stunde noch einmal zu prüfen,
was durch diese Neuordnung gewonnen würde, und ob sie nicht am Ende den
Teufel durch Belzebub austriebe.

Augenscheinlich sollen die einzuführenden Berufungskammern oder Be-
rufuugssenate mit fünf gelehrten Richtern besetzt werden. Ist aber der Vor¬
teil, den eine wiederholte Prüfung der Anklage bietet, wirklich so groß, daß
sie, obwohl von einem nicht besser besetzten Gerichte vorgenommen, als es
gegenwärtig das erstinstanzliche ist, den Nachteil aufwiegen könnte, der dadurch
entsteht, daß die erste Entscheidung in die Hand eines weniger gut besetzten
Gerichts als bisher gelegt wird? Oder werden nicht gerechtere Urteile ergehn,
wenn sie gleich von vornherein von dem bessern Gerichte der fünf Richter ge¬
funden werden?


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[0482] Berufung und Schöffengericht daher um den hohen Reichstag die dringende Bitte: er wolle allen weitern Handels¬ verträgen, soweit sie eine Herabsetzung der bestehenden Zolle enthalten, unbedingt seine Zustimmung versagen und auf eine Förderung auch der landwirtschaftlichen Ausfuhr Bedacht nehmen, damit die deutsche Landwirtschaft blühen könne zum Segen des gesamten Vaterlandes. Die große „unpolitische" Partei der Landwirte Dentschlands ist also am 18. Februar 189!.! mit Gewalt geboren worden. Ob sie lebensfähig ist, hat sie jetzt zu beweisen. Wir wünschen den deutschen Landwirten von ganzem Herzen sonnigere Tage, als sie in den letzte» Jahrzehnten gehabt haben; aber wenn sie nicht ebenso hohe Ansprüche an sich selbst wie um ihre nichtlandwirt¬ schaftlichen Mitbürger stellen, werden auch alle Massenversammlungen sie nicht retten. Berufung und Schöffengericht le Zeitungen haben von einer Umfrage des preußischen Justiz- ministers berichtet, ob es genügen werde, die Strafkammern der Landgerichte in Zukunft mir mit drei, statt wie jetzt mit fünf Richtern zu besetzen. Zugleich verlautet, daß die Bundesregie¬ rungen geneigt seien, dem Andrängen des Reichstags nachzugeben und die Berufung gegen die Urteile der Strafkammern einzuführen. Mau darf sich daher darauf gefaßt machen, daß eine Gesetzesvvrlage, die um den Preis der Herabsetzung der Nichterzahl von fünf auf drei die Berufung gegen die Urteile der Strafkammern gewährt, die Zustimmung des Reichstags finden werde. Dn scheint es denn geboten, in letzter Stunde noch einmal zu prüfen, was durch diese Neuordnung gewonnen würde, und ob sie nicht am Ende den Teufel durch Belzebub austriebe. Augenscheinlich sollen die einzuführenden Berufungskammern oder Be- rufuugssenate mit fünf gelehrten Richtern besetzt werden. Ist aber der Vor¬ teil, den eine wiederholte Prüfung der Anklage bietet, wirklich so groß, daß sie, obwohl von einem nicht besser besetzten Gerichte vorgenommen, als es gegenwärtig das erstinstanzliche ist, den Nachteil aufwiegen könnte, der dadurch entsteht, daß die erste Entscheidung in die Hand eines weniger gut besetzten Gerichts als bisher gelegt wird? Oder werden nicht gerechtere Urteile ergehn, wenn sie gleich von vornherein von dem bessern Gerichte der fünf Richter ge¬ funden werden?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/482>, abgerufen am 28.04.2024.