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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Wucher und Abzahlung

el, wie das geht! Die soziale Gesetzgebungsmaschine ist frisch
geölt, an jedem Rad steht ein geheimer Rat und dreht die
Speichen in fieberhafter Eile. Und die Räder schwirren, daß
es eine Lust ist. Oben legt man das rohe Material hinein,
und unten fallen, dank dem neuesten Beamteumechcinismus, die
fertigen Entwürfe, gleich paragraphenweise geordnet, heraus. Es giebt zwar
Leute, die sich die Entwicklung der sozialen Fürsorge in Deutschland etwas
anders gedacht hatten, die namentlich den Kriminnlrichter nicht als den rich¬
tigen Sozialreformer anerkennen wollen, und die den heutigen Stand der
sozialen Gesetzgebung als gleichbedeutend mit einer Bankerotterklärung der vor
einem Jahrzehnt begonnenen Sozialpolitik halten. Aber das sind ja Narren.
Der Staat hat doch die heilige Aufgabe, dem wirtschaftlich Schwache" zu Hilfe
zu kommen.

Da haben Leute im "Abzahlungsgeschäft" Waren gekauft. Sie haben die
bedunguen Raten zur festgesetzten Zeit aus Not nicht entrichten können oder
ans Leichtsinn (oder auch aus Ärger über den Schund, der ihnen geliefert worden
ist, und der zerfällt, ehe er halb bezahlt ist. D. R.) nicht entrichten wollen. Sie
haben infolgedessen das angezahlte Geld verloren und müssen außerdem die Ware
zurückgeben. Diese Leute sind augenscheinlich wirtschaftlich Schwache. Das Gesetz
muß sie daher mit seiner Aufmerksamkeit beehren, es muß dafür sorgen, daß der
Arme auch ohne Geld Waren erhalten und Waren behalten darf. Darum hat der
neue Entwurf über die Abzahlungsgeschäfte, ohne irgend welche offiziellen Er¬
hebungen abzuwarten, ohne irgend welche statistischen Angaben an der Hand zu
haben, den ebenso scharfsinnigen wie einfachen Ausweg gefunden, der berüchtigten
"Verfallklausel" das Lebenslicht nuszublaseu. Wenn der Käufer mit einer
Teilzahlung im Rückstände bleibt, und der Verkäufer deshalb die Rückgabe der
Sache fordert, so soll der Käufer befugt sein, gegen Rückgabe der Sache auch
alle von ihm geleisteten Teilzcchluugeu zurückzuverlangen und sich damit auch
von der Nestschuld zu befreien. Dem Verkäufer soll es dann freistehen, eine
angemessene Vergütung für die Benutzung und etwaige Beschädigung der Sache
geltend zu machen. Doch darf auch diese Vergütung nicht im voraus vertrags¬
mäßig festgesetzt werden.




Wucher und Abzahlung

el, wie das geht! Die soziale Gesetzgebungsmaschine ist frisch
geölt, an jedem Rad steht ein geheimer Rat und dreht die
Speichen in fieberhafter Eile. Und die Räder schwirren, daß
es eine Lust ist. Oben legt man das rohe Material hinein,
und unten fallen, dank dem neuesten Beamteumechcinismus, die
fertigen Entwürfe, gleich paragraphenweise geordnet, heraus. Es giebt zwar
Leute, die sich die Entwicklung der sozialen Fürsorge in Deutschland etwas
anders gedacht hatten, die namentlich den Kriminnlrichter nicht als den rich¬
tigen Sozialreformer anerkennen wollen, und die den heutigen Stand der
sozialen Gesetzgebung als gleichbedeutend mit einer Bankerotterklärung der vor
einem Jahrzehnt begonnenen Sozialpolitik halten. Aber das sind ja Narren.
Der Staat hat doch die heilige Aufgabe, dem wirtschaftlich Schwache» zu Hilfe
zu kommen.

Da haben Leute im „Abzahlungsgeschäft" Waren gekauft. Sie haben die
bedunguen Raten zur festgesetzten Zeit aus Not nicht entrichten können oder
ans Leichtsinn (oder auch aus Ärger über den Schund, der ihnen geliefert worden
ist, und der zerfällt, ehe er halb bezahlt ist. D. R.) nicht entrichten wollen. Sie
haben infolgedessen das angezahlte Geld verloren und müssen außerdem die Ware
zurückgeben. Diese Leute sind augenscheinlich wirtschaftlich Schwache. Das Gesetz
muß sie daher mit seiner Aufmerksamkeit beehren, es muß dafür sorgen, daß der
Arme auch ohne Geld Waren erhalten und Waren behalten darf. Darum hat der
neue Entwurf über die Abzahlungsgeschäfte, ohne irgend welche offiziellen Er¬
hebungen abzuwarten, ohne irgend welche statistischen Angaben an der Hand zu
haben, den ebenso scharfsinnigen wie einfachen Ausweg gefunden, der berüchtigten
„Verfallklausel" das Lebenslicht nuszublaseu. Wenn der Käufer mit einer
Teilzahlung im Rückstände bleibt, und der Verkäufer deshalb die Rückgabe der
Sache fordert, so soll der Käufer befugt sein, gegen Rückgabe der Sache auch
alle von ihm geleisteten Teilzcchluugeu zurückzuverlangen und sich damit auch
von der Nestschuld zu befreien. Dem Verkäufer soll es dann freistehen, eine
angemessene Vergütung für die Benutzung und etwaige Beschädigung der Sache
geltend zu machen. Doch darf auch diese Vergütung nicht im voraus vertrags¬
mäßig festgesetzt werden.


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[0524] [Abbildung] Wucher und Abzahlung el, wie das geht! Die soziale Gesetzgebungsmaschine ist frisch geölt, an jedem Rad steht ein geheimer Rat und dreht die Speichen in fieberhafter Eile. Und die Räder schwirren, daß es eine Lust ist. Oben legt man das rohe Material hinein, und unten fallen, dank dem neuesten Beamteumechcinismus, die fertigen Entwürfe, gleich paragraphenweise geordnet, heraus. Es giebt zwar Leute, die sich die Entwicklung der sozialen Fürsorge in Deutschland etwas anders gedacht hatten, die namentlich den Kriminnlrichter nicht als den rich¬ tigen Sozialreformer anerkennen wollen, und die den heutigen Stand der sozialen Gesetzgebung als gleichbedeutend mit einer Bankerotterklärung der vor einem Jahrzehnt begonnenen Sozialpolitik halten. Aber das sind ja Narren. Der Staat hat doch die heilige Aufgabe, dem wirtschaftlich Schwache» zu Hilfe zu kommen. Da haben Leute im „Abzahlungsgeschäft" Waren gekauft. Sie haben die bedunguen Raten zur festgesetzten Zeit aus Not nicht entrichten können oder ans Leichtsinn (oder auch aus Ärger über den Schund, der ihnen geliefert worden ist, und der zerfällt, ehe er halb bezahlt ist. D. R.) nicht entrichten wollen. Sie haben infolgedessen das angezahlte Geld verloren und müssen außerdem die Ware zurückgeben. Diese Leute sind augenscheinlich wirtschaftlich Schwache. Das Gesetz muß sie daher mit seiner Aufmerksamkeit beehren, es muß dafür sorgen, daß der Arme auch ohne Geld Waren erhalten und Waren behalten darf. Darum hat der neue Entwurf über die Abzahlungsgeschäfte, ohne irgend welche offiziellen Er¬ hebungen abzuwarten, ohne irgend welche statistischen Angaben an der Hand zu haben, den ebenso scharfsinnigen wie einfachen Ausweg gefunden, der berüchtigten „Verfallklausel" das Lebenslicht nuszublaseu. Wenn der Käufer mit einer Teilzahlung im Rückstände bleibt, und der Verkäufer deshalb die Rückgabe der Sache fordert, so soll der Käufer befugt sein, gegen Rückgabe der Sache auch alle von ihm geleisteten Teilzcchluugeu zurückzuverlangen und sich damit auch von der Nestschuld zu befreien. Dem Verkäufer soll es dann freistehen, eine angemessene Vergütung für die Benutzung und etwaige Beschädigung der Sache geltend zu machen. Doch darf auch diese Vergütung nicht im voraus vertrags¬ mäßig festgesetzt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/524>, abgerufen am 28.04.2024.