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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Wucher und Abzahlung

Daß mit dem Inkrafttreten dieser Vorschriften den Abzahlungsgeschäften
im allgemeinen, gleichviel ob ehrlich oder unehrlich, ein Streich versetzt wird,
der geeignet ist, sie für immer ihrer Lebenskraft zu berauben, das hat man
sich wohl im Bundesrat nicht recht überlegt. Die Sicherheit, die jetzt dem Ver¬
käufer gewährt ist, wäre damit verloren, der Nutzen, den er für sein enormes
Risiko beansprucht, wäre niemals zu gewinnen. Der Verkäufer soll also dem
Käufer alle geleisteten Teilzahlungen zurückerstatten, verliert seine weitern Kauf-
geldfvrdernngen und erhält dafür einen Gegenstand zurück, der durch deu Ge¬
brauch uicht gerade gewonnen hat. Wäre es ein Wunder, wenn der Käufer,
sobald ihm die gekaufte Sache nach längerer Abnutzung nicht mehr behagt, sie
auf die bequemste Art dadurch loszuwerden suchte, daß er mit den weitern
Zahlungen im Rückstände bliebe? Der Verkäufer wird dann, um nicht mit
einem empfindlichen Verlust auszugehen, die Ware zurückfordern, der Käufer
sie ihm auch senden, aber gleichzeitig als Prämie seines unredlichen Verhaltens
die Anzahlungen zurückverlangen. Allerdings soll ja der Verkäufer das Recht
haben, den Käufer wegen Abnutzung und Beschädigung- der Sache in gericht¬
lich zu bestimmenden Maße ersatzpflichtig zu macheu. Wer aber die Annehm¬
lichkeiten derartiger Schadeuprozesse kennt, der wird es wohl begreiflich finden,
wenn der Kaufmann, statt zum Richter zu gehn, lieber auf jede Entschädigung
verzichtet. Und um auch einer Umgehung des Verbots zuvorzukommen, wird
vorsorglich bestimmt, daß eine vorherige Abrede über eine Vergütung schlechthin
nichtig sein soll.

Nun lehrt ein Blick ans die vielen Vertragsarten des täglichen Lebens,
daß die Verfallklausel der Abzahlungsgeschäfte durchaus keine vereinzelte Er¬
scheinung bildet, daß sie vielmehr bei zahlreichen audern Geschäften eine ebenso
allgemein übliche wie unbeanstandete Form des Erfüllungszwangs ist. Wir
erinnern nur an die durchaus ähnlichen Miet- oder Versicherungsverträge.
Ein in Berlin vielbenutztes Mietvertragsformular enthält die gedruckte Be¬
stimmung, daß der geringste Verzug in der Mietzahlung -- und wenn auch
nur um Stunden, vielleicht Minuten -- den Vermieter zur Aussetzung berech¬
tigt, wobei der Mieter noch, so lange der Kontrakt dauert, für die Miete haftet.
Auch die Versicherungsbedingnngen vieler Versicherungsgesellschaften haben den
Satz, daß die Versäumnis auch nur einer Prümienrate den Versicherten
um alle seine Rechte bringt, gleichviel wie lange er bereits die Prämie be¬
zahlt hat.

Warum also gerade gegen die Verfallklansel der Abzahlungsgeschäfte vor¬
gehen? Handelt es sich hier um einen vereinzelten Notstand, gegen den man
mit einem Ausnahmegesetz zu Felde ziehen muß? Liegt für den Gesetzgeber
ein Grund vor, jeden Käufer gerade beim Abzahlungsgeschäft unter irgend
einen besondern Rechtsschutz zu Ungunsten des Verkäufers zu stellen und ihm
schlechthin gegen ein derartiges Geschäft zu helfen? Es ist wahrlich nicht bloßer


Wucher und Abzahlung

Daß mit dem Inkrafttreten dieser Vorschriften den Abzahlungsgeschäften
im allgemeinen, gleichviel ob ehrlich oder unehrlich, ein Streich versetzt wird,
der geeignet ist, sie für immer ihrer Lebenskraft zu berauben, das hat man
sich wohl im Bundesrat nicht recht überlegt. Die Sicherheit, die jetzt dem Ver¬
käufer gewährt ist, wäre damit verloren, der Nutzen, den er für sein enormes
Risiko beansprucht, wäre niemals zu gewinnen. Der Verkäufer soll also dem
Käufer alle geleisteten Teilzahlungen zurückerstatten, verliert seine weitern Kauf-
geldfvrdernngen und erhält dafür einen Gegenstand zurück, der durch deu Ge¬
brauch uicht gerade gewonnen hat. Wäre es ein Wunder, wenn der Käufer,
sobald ihm die gekaufte Sache nach längerer Abnutzung nicht mehr behagt, sie
auf die bequemste Art dadurch loszuwerden suchte, daß er mit den weitern
Zahlungen im Rückstände bliebe? Der Verkäufer wird dann, um nicht mit
einem empfindlichen Verlust auszugehen, die Ware zurückfordern, der Käufer
sie ihm auch senden, aber gleichzeitig als Prämie seines unredlichen Verhaltens
die Anzahlungen zurückverlangen. Allerdings soll ja der Verkäufer das Recht
haben, den Käufer wegen Abnutzung und Beschädigung- der Sache in gericht¬
lich zu bestimmenden Maße ersatzpflichtig zu macheu. Wer aber die Annehm¬
lichkeiten derartiger Schadeuprozesse kennt, der wird es wohl begreiflich finden,
wenn der Kaufmann, statt zum Richter zu gehn, lieber auf jede Entschädigung
verzichtet. Und um auch einer Umgehung des Verbots zuvorzukommen, wird
vorsorglich bestimmt, daß eine vorherige Abrede über eine Vergütung schlechthin
nichtig sein soll.

Nun lehrt ein Blick ans die vielen Vertragsarten des täglichen Lebens,
daß die Verfallklausel der Abzahlungsgeschäfte durchaus keine vereinzelte Er¬
scheinung bildet, daß sie vielmehr bei zahlreichen audern Geschäften eine ebenso
allgemein übliche wie unbeanstandete Form des Erfüllungszwangs ist. Wir
erinnern nur an die durchaus ähnlichen Miet- oder Versicherungsverträge.
Ein in Berlin vielbenutztes Mietvertragsformular enthält die gedruckte Be¬
stimmung, daß der geringste Verzug in der Mietzahlung — und wenn auch
nur um Stunden, vielleicht Minuten — den Vermieter zur Aussetzung berech¬
tigt, wobei der Mieter noch, so lange der Kontrakt dauert, für die Miete haftet.
Auch die Versicherungsbedingnngen vieler Versicherungsgesellschaften haben den
Satz, daß die Versäumnis auch nur einer Prümienrate den Versicherten
um alle seine Rechte bringt, gleichviel wie lange er bereits die Prämie be¬
zahlt hat.

Warum also gerade gegen die Verfallklansel der Abzahlungsgeschäfte vor¬
gehen? Handelt es sich hier um einen vereinzelten Notstand, gegen den man
mit einem Ausnahmegesetz zu Felde ziehen muß? Liegt für den Gesetzgeber
ein Grund vor, jeden Käufer gerade beim Abzahlungsgeschäft unter irgend
einen besondern Rechtsschutz zu Ungunsten des Verkäufers zu stellen und ihm
schlechthin gegen ein derartiges Geschäft zu helfen? Es ist wahrlich nicht bloßer


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[0525] Wucher und Abzahlung Daß mit dem Inkrafttreten dieser Vorschriften den Abzahlungsgeschäften im allgemeinen, gleichviel ob ehrlich oder unehrlich, ein Streich versetzt wird, der geeignet ist, sie für immer ihrer Lebenskraft zu berauben, das hat man sich wohl im Bundesrat nicht recht überlegt. Die Sicherheit, die jetzt dem Ver¬ käufer gewährt ist, wäre damit verloren, der Nutzen, den er für sein enormes Risiko beansprucht, wäre niemals zu gewinnen. Der Verkäufer soll also dem Käufer alle geleisteten Teilzahlungen zurückerstatten, verliert seine weitern Kauf- geldfvrdernngen und erhält dafür einen Gegenstand zurück, der durch deu Ge¬ brauch uicht gerade gewonnen hat. Wäre es ein Wunder, wenn der Käufer, sobald ihm die gekaufte Sache nach längerer Abnutzung nicht mehr behagt, sie auf die bequemste Art dadurch loszuwerden suchte, daß er mit den weitern Zahlungen im Rückstände bliebe? Der Verkäufer wird dann, um nicht mit einem empfindlichen Verlust auszugehen, die Ware zurückfordern, der Käufer sie ihm auch senden, aber gleichzeitig als Prämie seines unredlichen Verhaltens die Anzahlungen zurückverlangen. Allerdings soll ja der Verkäufer das Recht haben, den Käufer wegen Abnutzung und Beschädigung- der Sache in gericht¬ lich zu bestimmenden Maße ersatzpflichtig zu macheu. Wer aber die Annehm¬ lichkeiten derartiger Schadeuprozesse kennt, der wird es wohl begreiflich finden, wenn der Kaufmann, statt zum Richter zu gehn, lieber auf jede Entschädigung verzichtet. Und um auch einer Umgehung des Verbots zuvorzukommen, wird vorsorglich bestimmt, daß eine vorherige Abrede über eine Vergütung schlechthin nichtig sein soll. Nun lehrt ein Blick ans die vielen Vertragsarten des täglichen Lebens, daß die Verfallklausel der Abzahlungsgeschäfte durchaus keine vereinzelte Er¬ scheinung bildet, daß sie vielmehr bei zahlreichen audern Geschäften eine ebenso allgemein übliche wie unbeanstandete Form des Erfüllungszwangs ist. Wir erinnern nur an die durchaus ähnlichen Miet- oder Versicherungsverträge. Ein in Berlin vielbenutztes Mietvertragsformular enthält die gedruckte Be¬ stimmung, daß der geringste Verzug in der Mietzahlung — und wenn auch nur um Stunden, vielleicht Minuten — den Vermieter zur Aussetzung berech¬ tigt, wobei der Mieter noch, so lange der Kontrakt dauert, für die Miete haftet. Auch die Versicherungsbedingnngen vieler Versicherungsgesellschaften haben den Satz, daß die Versäumnis auch nur einer Prümienrate den Versicherten um alle seine Rechte bringt, gleichviel wie lange er bereits die Prämie be¬ zahlt hat. Warum also gerade gegen die Verfallklansel der Abzahlungsgeschäfte vor¬ gehen? Handelt es sich hier um einen vereinzelten Notstand, gegen den man mit einem Ausnahmegesetz zu Felde ziehen muß? Liegt für den Gesetzgeber ein Grund vor, jeden Käufer gerade beim Abzahlungsgeschäft unter irgend einen besondern Rechtsschutz zu Ungunsten des Verkäufers zu stellen und ihm schlechthin gegen ein derartiges Geschäft zu helfen? Es ist wahrlich nicht bloßer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/525>, abgerufen am 12.05.2024.