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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sagtest du, ich möchte thun, als ob du gar nicht in Berlin wärest. Du bist immer
so vernünftig, du hattest auch da wieder Recht, und ich folgte ja auch deinem
Wunsche und machte nicht den Versuch, dich wiederzusehen. Nun muß mir der
Teufel deine Alte in den Wurf bringen und sie mich gleich kapern wollen. So
was ist ganz versessen auf einen Wnffeurock.

Sei mir nicht böse, Väschen, wenn dir vielleicht mein Ausbleiben Verlegen¬
heit bereitet; aber wenn ich käme und von der Leber weg redete, wäre es noch schlimmer.
Uebrigens wäre mein Kommen auch ausgeschlossen -- wegen des Regiments.
Mach also eine Ausrede, welche du willst. Daß ich scheußlich viel Dienst habe,
ist nebenbei bemerkt wahr.

Den kleinen Mädchen gehts famos, wie Vater schreibt.


Mit herzlichen Grüßen Dein
Vetter Kurt.

Das Briefchen mit dem Wappen war nicht unbemerkt geblieben. Als
Frau Rose einige Andeutungen deshalb machte, sagte Minna einfach: Mein
Vetter Dallwitz läßt sich bei der gnädigen Frau entschuldigen, er hat seine
Aufwartung uicht machen können, weil er sehr viel Dienst hat.

Frau Rose war klug genug, das zu verstehn. Aber am ersten des nächsten
Monats kündigte sie dem Fräulein. Als Grund der Kündigung gab sie in
dem Zeugnis, das sie Minna Dallwitz ausstellte, an: "Ihre gesellschaftliche
Bildung genügte uicht meinen Ansprüchen."




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Vom naturphilosophischen Schriftenmarkte.

Ob der Zug nach rechts,
der unser öffentliches Leben in Politik und Kirche, sowie in Geschichte und Staats¬
wissenschaften beherrscht, durchweg gesund ist, wollen wir dahingestellt sein lassen,
aber daß er sich jetzt auch auf einem Gebiete bemerkbar macht, auf dem alles Alte
die letzten Jahrzehnte hindurch förmlich verfehmt war, auf dem naturphilosophischen,
ist mit Genugthuung zu begrüßen. Wie wir aus einem bunt zusammengewürfelten
Bündlein Schriften sehen, das der Zufall bei uns anschwemmt, ist es Lehrern der
Naturwissenschaften hente nicht mehr verboten, an Gott zu glauben und an Häckel
zu zweifeln, und wenn die alten Wahrheiten von den Zünftigen in der Broschüreu-
litteratur wieder zugelassen werden, so werden sie demnächst wohl auch in der libe¬
ralen Tagespresse wieder schüchtern ihr Haupt erheben dürfen. Dr. Hermann
Klein giebt in seinen bei E. H. Mayer in Leipzig in dritter Auslage erschienenen
angenehm zu lesenden Kosmvlvgischen Briefen dem gebildeten Laien erschöpfende
Auskunft über deu Bau unsers Planetensystems und die Beschaffenheit der Welt¬
körper vom heutigen Staudpunkte der Forschung. Besondres Gewicht legt er dabei
auf die Frage nach der Bewohnbarkeit der Weltkörper. Er hält es zwar sür nicht
unwahrscheinlich, daß es in andern Sonueusystemen ebenfalls Planeten giebt, die
von Menschen oder menschenähnlichen Geschöpfen bewohnt sind, findet aber in
unserm Planetensystem die Dnseinsbedingungen sür höhere Organismen nur auf


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sagtest du, ich möchte thun, als ob du gar nicht in Berlin wärest. Du bist immer
so vernünftig, du hattest auch da wieder Recht, und ich folgte ja auch deinem
Wunsche und machte nicht den Versuch, dich wiederzusehen. Nun muß mir der
Teufel deine Alte in den Wurf bringen und sie mich gleich kapern wollen. So
was ist ganz versessen auf einen Wnffeurock.

Sei mir nicht böse, Väschen, wenn dir vielleicht mein Ausbleiben Verlegen¬
heit bereitet; aber wenn ich käme und von der Leber weg redete, wäre es noch schlimmer.
Uebrigens wäre mein Kommen auch ausgeschlossen — wegen des Regiments.
Mach also eine Ausrede, welche du willst. Daß ich scheußlich viel Dienst habe,
ist nebenbei bemerkt wahr.

Den kleinen Mädchen gehts famos, wie Vater schreibt.


Mit herzlichen Grüßen Dein
Vetter Kurt.

Das Briefchen mit dem Wappen war nicht unbemerkt geblieben. Als
Frau Rose einige Andeutungen deshalb machte, sagte Minna einfach: Mein
Vetter Dallwitz läßt sich bei der gnädigen Frau entschuldigen, er hat seine
Aufwartung uicht machen können, weil er sehr viel Dienst hat.

Frau Rose war klug genug, das zu verstehn. Aber am ersten des nächsten
Monats kündigte sie dem Fräulein. Als Grund der Kündigung gab sie in
dem Zeugnis, das sie Minna Dallwitz ausstellte, an: „Ihre gesellschaftliche
Bildung genügte uicht meinen Ansprüchen."




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Vom naturphilosophischen Schriftenmarkte.

Ob der Zug nach rechts,
der unser öffentliches Leben in Politik und Kirche, sowie in Geschichte und Staats¬
wissenschaften beherrscht, durchweg gesund ist, wollen wir dahingestellt sein lassen,
aber daß er sich jetzt auch auf einem Gebiete bemerkbar macht, auf dem alles Alte
die letzten Jahrzehnte hindurch förmlich verfehmt war, auf dem naturphilosophischen,
ist mit Genugthuung zu begrüßen. Wie wir aus einem bunt zusammengewürfelten
Bündlein Schriften sehen, das der Zufall bei uns anschwemmt, ist es Lehrern der
Naturwissenschaften hente nicht mehr verboten, an Gott zu glauben und an Häckel
zu zweifeln, und wenn die alten Wahrheiten von den Zünftigen in der Broschüreu-
litteratur wieder zugelassen werden, so werden sie demnächst wohl auch in der libe¬
ralen Tagespresse wieder schüchtern ihr Haupt erheben dürfen. Dr. Hermann
Klein giebt in seinen bei E. H. Mayer in Leipzig in dritter Auslage erschienenen
angenehm zu lesenden Kosmvlvgischen Briefen dem gebildeten Laien erschöpfende
Auskunft über deu Bau unsers Planetensystems und die Beschaffenheit der Welt¬
körper vom heutigen Staudpunkte der Forschung. Besondres Gewicht legt er dabei
auf die Frage nach der Bewohnbarkeit der Weltkörper. Er hält es zwar sür nicht
unwahrscheinlich, daß es in andern Sonueusystemen ebenfalls Planeten giebt, die
von Menschen oder menschenähnlichen Geschöpfen bewohnt sind, findet aber in
unserm Planetensystem die Dnseinsbedingungen sür höhere Organismen nur auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/556>, abgerufen am 28.04.2024.