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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zum Münchner Künstlerstreit

er im vorigen Sommer oder Herbst in München war und Ge¬
legenheit hatte, in Künstlerkreisen zu Verkehren, dem konnte unmöglich
entgehn, das; in allen Schichten der Münchner Künstlerkolonie eine
gewaltige Aufregung herrschte und daß der Widerstreit der Mei¬
nungen über kurz oder lang zu einem öffentlichen Ausbruch führen
würde. Die Erbitterung war allgemein, namentlich unter denen,
deren Arbeiten von der Jury der Jnhresausstelluug zurückgewiesen worden waren.
Das war ja am Ende natürlich, aber es mußte einen doch stutzig macheu,
wenn man wahrnahm, wie sich ältere und besonnene Künstler', die sich durch
ihre Leistungen das Recht, gehört zu werden, wohl verdient haben, in der
mißgünstigen Kritik über das Verfahren der Ausstellungsjury übereinstimmend
mit den jüngern Heißspornen begegneten. Zwar darüber, daß die Ausstellung
gut, ja besser ausgefallen sei, als die frühern, war man allgemein einer Mei¬
nung, aber mau beklagte die nicht wegzuleugnende Bevorzugung des Aus¬
landes, dem man weit mehr Berücksichtigung zu teil hatte werden lassen, als
den Einheimischen, auf deren Kosten und Gefahr doch das ganze Unternehmen
veranlaßt worden war. Man hob ferner hervor, und wie uns scheinen will,
nicht ganz mit Unrecht, daß die von Jahr zu Jahr Annehmende Zufuhr fremd¬
ländischer Gemälde keine gute Wirkung auf das heranwachsende Geschlecht
haben könne, weil bei der bekannten Vorliebe der Deutschen für alles Fremde
die Gefahr, daß die geringe Selbständigkeit vieler Münchner Maler ganz ver¬
loren gehn könnte, noch vergrößert würde. Mau wies endlich darauf hin,
daß es nicht würdig sei, fort und fort, wie das in München thatsächlich der
Fall war, um die Gunst des Auslandes zu buhlen. Die Fremden, die sich
in München aus freien Stücken einfinden, sollten willkommen sei", aber es sei
nicht angebracht, sie durch Abgesandte der Genossenschuft besonders einzuladen.
Die Mehrheit der Genossenschaft pflichtete allen diesen hier nur angedeuteten
Vorwürfen gegen die Ansstellnngsleitung bei, und als im Dezember vorigen
Jahres die Generalversammlung der Genossenschaft zusammentrat, kam es,
wie vorauszusehn war, zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Mehrheit setzte
es durch, daß mau zu dein ursprünglichen Grundgedanken der Jahresaus-
stellnnq, der einheimischen Produktion eine Absatzquote zu erschließen und dabei
ausländische Kunstwerke nur zuzulassen, zurückkehrte, und daß man die gleichberech¬
tigte Beteiligung des Auslands auf die aller vier Jahre wiederkehrenden großen
internationalen Ausstellungen beschränken wollte. Dieser Beschluß rief aber
bei der Minderheit, die bis dahin in der Genossenschaft das Wort zu führen
gewohnt war und durch ihren Einfluß thatsächlich geherrscht hatte, große Er¬
bitterung hervor. Diese Minderheit warf sich auf einmal in die Brust und




Zum Münchner Künstlerstreit

er im vorigen Sommer oder Herbst in München war und Ge¬
legenheit hatte, in Künstlerkreisen zu Verkehren, dem konnte unmöglich
entgehn, das; in allen Schichten der Münchner Künstlerkolonie eine
gewaltige Aufregung herrschte und daß der Widerstreit der Mei¬
nungen über kurz oder lang zu einem öffentlichen Ausbruch führen
würde. Die Erbitterung war allgemein, namentlich unter denen,
deren Arbeiten von der Jury der Jnhresausstelluug zurückgewiesen worden waren.
Das war ja am Ende natürlich, aber es mußte einen doch stutzig macheu,
wenn man wahrnahm, wie sich ältere und besonnene Künstler', die sich durch
ihre Leistungen das Recht, gehört zu werden, wohl verdient haben, in der
mißgünstigen Kritik über das Verfahren der Ausstellungsjury übereinstimmend
mit den jüngern Heißspornen begegneten. Zwar darüber, daß die Ausstellung
gut, ja besser ausgefallen sei, als die frühern, war man allgemein einer Mei¬
nung, aber mau beklagte die nicht wegzuleugnende Bevorzugung des Aus¬
landes, dem man weit mehr Berücksichtigung zu teil hatte werden lassen, als
den Einheimischen, auf deren Kosten und Gefahr doch das ganze Unternehmen
veranlaßt worden war. Man hob ferner hervor, und wie uns scheinen will,
nicht ganz mit Unrecht, daß die von Jahr zu Jahr Annehmende Zufuhr fremd¬
ländischer Gemälde keine gute Wirkung auf das heranwachsende Geschlecht
haben könne, weil bei der bekannten Vorliebe der Deutschen für alles Fremde
die Gefahr, daß die geringe Selbständigkeit vieler Münchner Maler ganz ver¬
loren gehn könnte, noch vergrößert würde. Mau wies endlich darauf hin,
daß es nicht würdig sei, fort und fort, wie das in München thatsächlich der
Fall war, um die Gunst des Auslandes zu buhlen. Die Fremden, die sich
in München aus freien Stücken einfinden, sollten willkommen sei», aber es sei
nicht angebracht, sie durch Abgesandte der Genossenschuft besonders einzuladen.
Die Mehrheit der Genossenschaft pflichtete allen diesen hier nur angedeuteten
Vorwürfen gegen die Ansstellnngsleitung bei, und als im Dezember vorigen
Jahres die Generalversammlung der Genossenschaft zusammentrat, kam es,
wie vorauszusehn war, zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Mehrheit setzte
es durch, daß mau zu dein ursprünglichen Grundgedanken der Jahresaus-
stellnnq, der einheimischen Produktion eine Absatzquote zu erschließen und dabei
ausländische Kunstwerke nur zuzulassen, zurückkehrte, und daß man die gleichberech¬
tigte Beteiligung des Auslands auf die aller vier Jahre wiederkehrenden großen
internationalen Ausstellungen beschränken wollte. Dieser Beschluß rief aber
bei der Minderheit, die bis dahin in der Genossenschaft das Wort zu führen
gewohnt war und durch ihren Einfluß thatsächlich geherrscht hatte, große Er¬
bitterung hervor. Diese Minderheit warf sich auf einmal in die Brust und


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[0056] [Abbildung] Zum Münchner Künstlerstreit er im vorigen Sommer oder Herbst in München war und Ge¬ legenheit hatte, in Künstlerkreisen zu Verkehren, dem konnte unmöglich entgehn, das; in allen Schichten der Münchner Künstlerkolonie eine gewaltige Aufregung herrschte und daß der Widerstreit der Mei¬ nungen über kurz oder lang zu einem öffentlichen Ausbruch führen würde. Die Erbitterung war allgemein, namentlich unter denen, deren Arbeiten von der Jury der Jnhresausstelluug zurückgewiesen worden waren. Das war ja am Ende natürlich, aber es mußte einen doch stutzig macheu, wenn man wahrnahm, wie sich ältere und besonnene Künstler', die sich durch ihre Leistungen das Recht, gehört zu werden, wohl verdient haben, in der mißgünstigen Kritik über das Verfahren der Ausstellungsjury übereinstimmend mit den jüngern Heißspornen begegneten. Zwar darüber, daß die Ausstellung gut, ja besser ausgefallen sei, als die frühern, war man allgemein einer Mei¬ nung, aber mau beklagte die nicht wegzuleugnende Bevorzugung des Aus¬ landes, dem man weit mehr Berücksichtigung zu teil hatte werden lassen, als den Einheimischen, auf deren Kosten und Gefahr doch das ganze Unternehmen veranlaßt worden war. Man hob ferner hervor, und wie uns scheinen will, nicht ganz mit Unrecht, daß die von Jahr zu Jahr Annehmende Zufuhr fremd¬ ländischer Gemälde keine gute Wirkung auf das heranwachsende Geschlecht haben könne, weil bei der bekannten Vorliebe der Deutschen für alles Fremde die Gefahr, daß die geringe Selbständigkeit vieler Münchner Maler ganz ver¬ loren gehn könnte, noch vergrößert würde. Mau wies endlich darauf hin, daß es nicht würdig sei, fort und fort, wie das in München thatsächlich der Fall war, um die Gunst des Auslandes zu buhlen. Die Fremden, die sich in München aus freien Stücken einfinden, sollten willkommen sei», aber es sei nicht angebracht, sie durch Abgesandte der Genossenschuft besonders einzuladen. Die Mehrheit der Genossenschaft pflichtete allen diesen hier nur angedeuteten Vorwürfen gegen die Ansstellnngsleitung bei, und als im Dezember vorigen Jahres die Generalversammlung der Genossenschaft zusammentrat, kam es, wie vorauszusehn war, zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Mehrheit setzte es durch, daß mau zu dein ursprünglichen Grundgedanken der Jahresaus- stellnnq, der einheimischen Produktion eine Absatzquote zu erschließen und dabei ausländische Kunstwerke nur zuzulassen, zurückkehrte, und daß man die gleichberech¬ tigte Beteiligung des Auslands auf die aller vier Jahre wiederkehrenden großen internationalen Ausstellungen beschränken wollte. Dieser Beschluß rief aber bei der Minderheit, die bis dahin in der Genossenschaft das Wort zu führen gewohnt war und durch ihren Einfluß thatsächlich geherrscht hatte, große Er¬ bitterung hervor. Diese Minderheit warf sich auf einmal in die Brust und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/56>, abgerufen am 28.04.2024.