Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Allerlei vom Reisen

n müssige, neugierige, aufgeblasene, eitle und milzsüchtige Rei¬
sende teilte Avrial seine Mitreisenden ein, denen er in den Gast¬
höfen und Diligencen des Kontinents begegnete, so weit sie nicht
"Reisende aus Notwendigkeit" oder geschäftlichen Absichten waren.
Seitdem hat das neunzehnte Jahrhundert eine neue Gattung
hervorgebracht, die alle andern aus dem Felde geschlagen und sich das breite
und plumpe Übergewicht erobert hat, das sind die Reisenden aus Mode, von
denen die aus Sport nur eine Unterabteilung- sind. Die Mode ist bekanntlich
ein Ding, das mit ernsthafter Überlegung und vernünftigen Absichten möglichst
wenig zu thun hat. Das ist es denn auch, was den üblichen Modereisendeu
unsrer Zeit von allen andern unterscheidet, denn alle frühern, selbst "der müs¬
sige Reisende," ließen sich, wie wiederum Avrial selber bezeugt, doch immer
noch "deshalb von Boots- und Postknechten durch die zivilisirten Reiche dieses
Erdbodens schleppen, weil sie Kenntnisse und Wissen erlangen wollten."
Davon ist bei den Modereisenden nicht mehr die Rede.

Ohne Widerspruch wird freilich der Satz nicht bleiben, daß für die große
Mehrheit der modernen Reisenden die Erweiterung des Gesichtskreises auf¬
gehört habe, der Reisezweck zu sein. Aber es ist so. Man behauptet auch
in der That gar nicht mehr, daß man reise, um sich zu bilden. Wer wird
denn auch in unsrer herrlichen Zeit der allgemeinen Bildung, wo einem jede
Köchin kündigen würde, der man sich etwa zu sagen erlaubte, daß sie nicht
auf der obersten Stufe der Bildung stehe, eingestehen, daß er durch Reisen
etwas lernen könne? New, man giebt ganz andre Gründe für seine Reisen
an -- die Badereisen lasse ich hier beiseite --: man reist, weil man es sich
leisten kann, weil man es seiner pekuniären Stellung schuldig ist, oder anders
ausgedrückt: Buchhvlzens reisen, weil es Bergfeldts ärgert. Andre meinen,
sie würden sich "amüsiren." Ach, welche Enttäuschungen erleben sie! Hätten
sie doch lieber dasselbe Geld in Frühschoppen, Schaumtorte und Zirkusbesuch
angelegt! Natürlich behaupten sie aber hinterher doch, sie hätten sich "köstlich
amüsirt." es sei "himmlisch" in Italien u. s. w. Da braucht man nur einmal
die Probe zu machen und wenn sie so recht in allgemeinen Redensarten
schwelgen, ganz leise anzusaugen auf Italien zu räsvuniren -- mit welchem




Allerlei vom Reisen

n müssige, neugierige, aufgeblasene, eitle und milzsüchtige Rei¬
sende teilte Avrial seine Mitreisenden ein, denen er in den Gast¬
höfen und Diligencen des Kontinents begegnete, so weit sie nicht
„Reisende aus Notwendigkeit" oder geschäftlichen Absichten waren.
Seitdem hat das neunzehnte Jahrhundert eine neue Gattung
hervorgebracht, die alle andern aus dem Felde geschlagen und sich das breite
und plumpe Übergewicht erobert hat, das sind die Reisenden aus Mode, von
denen die aus Sport nur eine Unterabteilung- sind. Die Mode ist bekanntlich
ein Ding, das mit ernsthafter Überlegung und vernünftigen Absichten möglichst
wenig zu thun hat. Das ist es denn auch, was den üblichen Modereisendeu
unsrer Zeit von allen andern unterscheidet, denn alle frühern, selbst „der müs¬
sige Reisende," ließen sich, wie wiederum Avrial selber bezeugt, doch immer
noch „deshalb von Boots- und Postknechten durch die zivilisirten Reiche dieses
Erdbodens schleppen, weil sie Kenntnisse und Wissen erlangen wollten."
Davon ist bei den Modereisenden nicht mehr die Rede.

Ohne Widerspruch wird freilich der Satz nicht bleiben, daß für die große
Mehrheit der modernen Reisenden die Erweiterung des Gesichtskreises auf¬
gehört habe, der Reisezweck zu sein. Aber es ist so. Man behauptet auch
in der That gar nicht mehr, daß man reise, um sich zu bilden. Wer wird
denn auch in unsrer herrlichen Zeit der allgemeinen Bildung, wo einem jede
Köchin kündigen würde, der man sich etwa zu sagen erlaubte, daß sie nicht
auf der obersten Stufe der Bildung stehe, eingestehen, daß er durch Reisen
etwas lernen könne? New, man giebt ganz andre Gründe für seine Reisen
an — die Badereisen lasse ich hier beiseite —: man reist, weil man es sich
leisten kann, weil man es seiner pekuniären Stellung schuldig ist, oder anders
ausgedrückt: Buchhvlzens reisen, weil es Bergfeldts ärgert. Andre meinen,
sie würden sich „amüsiren." Ach, welche Enttäuschungen erleben sie! Hätten
sie doch lieber dasselbe Geld in Frühschoppen, Schaumtorte und Zirkusbesuch
angelegt! Natürlich behaupten sie aber hinterher doch, sie hätten sich „köstlich
amüsirt." es sei „himmlisch" in Italien u. s. w. Da braucht man nur einmal
die Probe zu machen und wenn sie so recht in allgemeinen Redensarten
schwelgen, ganz leise anzusaugen auf Italien zu räsvuniren — mit welchem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214923"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341857_214455/figures/grenzboten_341857_214455_214923_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Allerlei vom Reisen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1817"> n müssige, neugierige, aufgeblasene, eitle und milzsüchtige Rei¬<lb/>
sende teilte Avrial seine Mitreisenden ein, denen er in den Gast¬<lb/>
höfen und Diligencen des Kontinents begegnete, so weit sie nicht<lb/>
&#x201E;Reisende aus Notwendigkeit" oder geschäftlichen Absichten waren.<lb/>
Seitdem hat das neunzehnte Jahrhundert eine neue Gattung<lb/>
hervorgebracht, die alle andern aus dem Felde geschlagen und sich das breite<lb/>
und plumpe Übergewicht erobert hat, das sind die Reisenden aus Mode, von<lb/>
denen die aus Sport nur eine Unterabteilung- sind. Die Mode ist bekanntlich<lb/>
ein Ding, das mit ernsthafter Überlegung und vernünftigen Absichten möglichst<lb/>
wenig zu thun hat. Das ist es denn auch, was den üblichen Modereisendeu<lb/>
unsrer Zeit von allen andern unterscheidet, denn alle frühern, selbst &#x201E;der müs¬<lb/>
sige Reisende," ließen sich, wie wiederum Avrial selber bezeugt, doch immer<lb/>
noch &#x201E;deshalb von Boots- und Postknechten durch die zivilisirten Reiche dieses<lb/>
Erdbodens schleppen, weil sie Kenntnisse und Wissen erlangen wollten."<lb/>
Davon ist bei den Modereisenden nicht mehr die Rede.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1818" next="#ID_1819"> Ohne Widerspruch wird freilich der Satz nicht bleiben, daß für die große<lb/>
Mehrheit der modernen Reisenden die Erweiterung des Gesichtskreises auf¬<lb/>
gehört habe, der Reisezweck zu sein. Aber es ist so. Man behauptet auch<lb/>
in der That gar nicht mehr, daß man reise, um sich zu bilden. Wer wird<lb/>
denn auch in unsrer herrlichen Zeit der allgemeinen Bildung, wo einem jede<lb/>
Köchin kündigen würde, der man sich etwa zu sagen erlaubte, daß sie nicht<lb/>
auf der obersten Stufe der Bildung stehe, eingestehen, daß er durch Reisen<lb/>
etwas lernen könne? New, man giebt ganz andre Gründe für seine Reisen<lb/>
an &#x2014; die Badereisen lasse ich hier beiseite &#x2014;: man reist, weil man es sich<lb/>
leisten kann, weil man es seiner pekuniären Stellung schuldig ist, oder anders<lb/>
ausgedrückt: Buchhvlzens reisen, weil es Bergfeldts ärgert. Andre meinen,<lb/>
sie würden sich &#x201E;amüsiren." Ach, welche Enttäuschungen erleben sie! Hätten<lb/>
sie doch lieber dasselbe Geld in Frühschoppen, Schaumtorte und Zirkusbesuch<lb/>
angelegt! Natürlich behaupten sie aber hinterher doch, sie hätten sich &#x201E;köstlich<lb/>
amüsirt." es sei &#x201E;himmlisch" in Italien u. s. w. Da braucht man nur einmal<lb/>
die Probe zu machen und wenn sie so recht in allgemeinen Redensarten<lb/>
schwelgen, ganz leise anzusaugen auf Italien zu räsvuniren &#x2014; mit welchem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] [Abbildung] Allerlei vom Reisen n müssige, neugierige, aufgeblasene, eitle und milzsüchtige Rei¬ sende teilte Avrial seine Mitreisenden ein, denen er in den Gast¬ höfen und Diligencen des Kontinents begegnete, so weit sie nicht „Reisende aus Notwendigkeit" oder geschäftlichen Absichten waren. Seitdem hat das neunzehnte Jahrhundert eine neue Gattung hervorgebracht, die alle andern aus dem Felde geschlagen und sich das breite und plumpe Übergewicht erobert hat, das sind die Reisenden aus Mode, von denen die aus Sport nur eine Unterabteilung- sind. Die Mode ist bekanntlich ein Ding, das mit ernsthafter Überlegung und vernünftigen Absichten möglichst wenig zu thun hat. Das ist es denn auch, was den üblichen Modereisendeu unsrer Zeit von allen andern unterscheidet, denn alle frühern, selbst „der müs¬ sige Reisende," ließen sich, wie wiederum Avrial selber bezeugt, doch immer noch „deshalb von Boots- und Postknechten durch die zivilisirten Reiche dieses Erdbodens schleppen, weil sie Kenntnisse und Wissen erlangen wollten." Davon ist bei den Modereisenden nicht mehr die Rede. Ohne Widerspruch wird freilich der Satz nicht bleiben, daß für die große Mehrheit der modernen Reisenden die Erweiterung des Gesichtskreises auf¬ gehört habe, der Reisezweck zu sein. Aber es ist so. Man behauptet auch in der That gar nicht mehr, daß man reise, um sich zu bilden. Wer wird denn auch in unsrer herrlichen Zeit der allgemeinen Bildung, wo einem jede Köchin kündigen würde, der man sich etwa zu sagen erlaubte, daß sie nicht auf der obersten Stufe der Bildung stehe, eingestehen, daß er durch Reisen etwas lernen könne? New, man giebt ganz andre Gründe für seine Reisen an — die Badereisen lasse ich hier beiseite —: man reist, weil man es sich leisten kann, weil man es seiner pekuniären Stellung schuldig ist, oder anders ausgedrückt: Buchhvlzens reisen, weil es Bergfeldts ärgert. Andre meinen, sie würden sich „amüsiren." Ach, welche Enttäuschungen erleben sie! Hätten sie doch lieber dasselbe Geld in Frühschoppen, Schaumtorte und Zirkusbesuch angelegt! Natürlich behaupten sie aber hinterher doch, sie hätten sich „köstlich amüsirt." es sei „himmlisch" in Italien u. s. w. Da braucht man nur einmal die Probe zu machen und wenn sie so recht in allgemeinen Redensarten schwelgen, ganz leise anzusaugen auf Italien zu räsvuniren — mit welchem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/468>, abgerufen am 06.05.2024.