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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Land und Leute in Vstfriesland

Paar aus dem Moor auf den Mittag zur Trauung bestellt sei, seine Freunde
am Morgen hingingen und ihm schnell das Haus bauten aus ein paar Stangen
und Torfsodeu. Freilich muß dann das junge Paar "durch den Schornstein ins
Haus." Es ist wahr, daß diese Leute recht armselige Hütten bewohnen, aber es
sind eben, wie gesagt, Fremde, deren Bildung von der fahrenden Zeit her
lückenhaft ist. Der Ostfriese selbst war von jeher ein Lerner, ein Freund der
Wissenschaften. Wie hätte sonst der einfache Landpfarrer von Osteel, David
Fabricius, so ausgezeichnete astronomische Kenntnisse erwerben können? Tycho
de Brahe und Kepler würdigten ihn ihrer Freundschaft, und er hat in der That
große, selbständige Verdienste um die astronomische Wissenschaft.

Aber nicht nur ein Lerner, auch ein Denker ist der Ostfricse, ein Phi¬
losoph mit kritischen Neigungen, manchmal etwas pessimistisch angehaucht, ja
ein Zweifler von der cartesianischen Art, wie sich denn Cartesius lange in
der Nachbarschaft aufgehalten, sogar unter dem Sohne des großen Schweigers
Kriegsdienste gethan hat. Klingt es nicht ganz nach Descartes, wenn der
Ostfriese sagt: "Weist du wol, wat du wis (gewiß) weest? dat du ti de rohe
net afbitst!" Und wenn je einer mit Cartesius sagen konnte: "Ich denke,
darum bin ich," so war und ist es unser schweigsamer Freund. Darum ist
er eben auch bei all seiner Schweigsamkeit nicht eigentlich langweilig. Denn
das wenige, was er sagt, hat Hand und Fuß,, er drückt sich kurz, treffend
und witzig ans. Kein Wunder, daß er auch dein Haß gegen seine Feinde
ungeuirteu, deutlichen Ausdruck gegeben hat, er ließ ihn sogar in Stein suum.
Das berühmte Emder Urkundenbuch des Bürgermeisters Timon Rudolphi, das
^i-ikolmnr Mreum berichtet, in einer Inschrift am "Neuen Thor" zu Emden
sei der Bischof von Münster Christian Bernhard von Galen 1w8dis Ms rmtr^of
genannt worden, "der Feind mit der Mitra." Ein kurzes Wort, aber es liegt in
ihm der ganze kräftige Haß, den jahrelange Fehde erzeugte, und zugleich eine
beißende Satire auf den streitsüchtigen Inhaber eines friedlichen Amtes. Er war
in der That, "so lange er lebte, ein Hasser und Schädiger der Emder," ZZmcla-
norum cionso vixit 08or ro8or. Aber er kam an die Unrechten! Sie waren
Leute von zähem Freiheitssinn und -- stachen ihre Deiche durch. Da mußte
mancher westfälischen Mutter Sohn mehr Salzwasser schlucken, als ihm be¬
kömmlich war, und mancher Ertrinkende mochte denken: Hätte ich mich doch
auf diese nasse Geschichte nicht eingelassen! "Laden is got legen 't hangen,"
sagt der Ostfriese, "lassen ist gut gegen das Gehängtwerden." Es ist auch gut
gegen das Ersäuftwerden, und noch gegen manches andre. Schon lange sucht
z.B. die Welt nach einem wirksamen Mittel gegen den Katzenjammer. Hier
ist es endlich: laden!

(Schluß folgt)


Land und Leute in Vstfriesland

Paar aus dem Moor auf den Mittag zur Trauung bestellt sei, seine Freunde
am Morgen hingingen und ihm schnell das Haus bauten aus ein paar Stangen
und Torfsodeu. Freilich muß dann das junge Paar „durch den Schornstein ins
Haus." Es ist wahr, daß diese Leute recht armselige Hütten bewohnen, aber es
sind eben, wie gesagt, Fremde, deren Bildung von der fahrenden Zeit her
lückenhaft ist. Der Ostfriese selbst war von jeher ein Lerner, ein Freund der
Wissenschaften. Wie hätte sonst der einfache Landpfarrer von Osteel, David
Fabricius, so ausgezeichnete astronomische Kenntnisse erwerben können? Tycho
de Brahe und Kepler würdigten ihn ihrer Freundschaft, und er hat in der That
große, selbständige Verdienste um die astronomische Wissenschaft.

Aber nicht nur ein Lerner, auch ein Denker ist der Ostfricse, ein Phi¬
losoph mit kritischen Neigungen, manchmal etwas pessimistisch angehaucht, ja
ein Zweifler von der cartesianischen Art, wie sich denn Cartesius lange in
der Nachbarschaft aufgehalten, sogar unter dem Sohne des großen Schweigers
Kriegsdienste gethan hat. Klingt es nicht ganz nach Descartes, wenn der
Ostfriese sagt: „Weist du wol, wat du wis (gewiß) weest? dat du ti de rohe
net afbitst!" Und wenn je einer mit Cartesius sagen konnte: „Ich denke,
darum bin ich," so war und ist es unser schweigsamer Freund. Darum ist
er eben auch bei all seiner Schweigsamkeit nicht eigentlich langweilig. Denn
das wenige, was er sagt, hat Hand und Fuß,, er drückt sich kurz, treffend
und witzig ans. Kein Wunder, daß er auch dein Haß gegen seine Feinde
ungeuirteu, deutlichen Ausdruck gegeben hat, er ließ ihn sogar in Stein suum.
Das berühmte Emder Urkundenbuch des Bürgermeisters Timon Rudolphi, das
^i-ikolmnr Mreum berichtet, in einer Inschrift am „Neuen Thor" zu Emden
sei der Bischof von Münster Christian Bernhard von Galen 1w8dis Ms rmtr^of
genannt worden, „der Feind mit der Mitra." Ein kurzes Wort, aber es liegt in
ihm der ganze kräftige Haß, den jahrelange Fehde erzeugte, und zugleich eine
beißende Satire auf den streitsüchtigen Inhaber eines friedlichen Amtes. Er war
in der That, „so lange er lebte, ein Hasser und Schädiger der Emder," ZZmcla-
norum cionso vixit 08or ro8or. Aber er kam an die Unrechten! Sie waren
Leute von zähem Freiheitssinn und — stachen ihre Deiche durch. Da mußte
mancher westfälischen Mutter Sohn mehr Salzwasser schlucken, als ihm be¬
kömmlich war, und mancher Ertrinkende mochte denken: Hätte ich mich doch
auf diese nasse Geschichte nicht eingelassen! „Laden is got legen 't hangen,"
sagt der Ostfriese, „lassen ist gut gegen das Gehängtwerden." Es ist auch gut
gegen das Ersäuftwerden, und noch gegen manches andre. Schon lange sucht
z.B. die Welt nach einem wirksamen Mittel gegen den Katzenjammer. Hier
ist es endlich: laden!

(Schluß folgt)


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[0467] Land und Leute in Vstfriesland Paar aus dem Moor auf den Mittag zur Trauung bestellt sei, seine Freunde am Morgen hingingen und ihm schnell das Haus bauten aus ein paar Stangen und Torfsodeu. Freilich muß dann das junge Paar „durch den Schornstein ins Haus." Es ist wahr, daß diese Leute recht armselige Hütten bewohnen, aber es sind eben, wie gesagt, Fremde, deren Bildung von der fahrenden Zeit her lückenhaft ist. Der Ostfriese selbst war von jeher ein Lerner, ein Freund der Wissenschaften. Wie hätte sonst der einfache Landpfarrer von Osteel, David Fabricius, so ausgezeichnete astronomische Kenntnisse erwerben können? Tycho de Brahe und Kepler würdigten ihn ihrer Freundschaft, und er hat in der That große, selbständige Verdienste um die astronomische Wissenschaft. Aber nicht nur ein Lerner, auch ein Denker ist der Ostfricse, ein Phi¬ losoph mit kritischen Neigungen, manchmal etwas pessimistisch angehaucht, ja ein Zweifler von der cartesianischen Art, wie sich denn Cartesius lange in der Nachbarschaft aufgehalten, sogar unter dem Sohne des großen Schweigers Kriegsdienste gethan hat. Klingt es nicht ganz nach Descartes, wenn der Ostfriese sagt: „Weist du wol, wat du wis (gewiß) weest? dat du ti de rohe net afbitst!" Und wenn je einer mit Cartesius sagen konnte: „Ich denke, darum bin ich," so war und ist es unser schweigsamer Freund. Darum ist er eben auch bei all seiner Schweigsamkeit nicht eigentlich langweilig. Denn das wenige, was er sagt, hat Hand und Fuß,, er drückt sich kurz, treffend und witzig ans. Kein Wunder, daß er auch dein Haß gegen seine Feinde ungeuirteu, deutlichen Ausdruck gegeben hat, er ließ ihn sogar in Stein suum. Das berühmte Emder Urkundenbuch des Bürgermeisters Timon Rudolphi, das ^i-ikolmnr Mreum berichtet, in einer Inschrift am „Neuen Thor" zu Emden sei der Bischof von Münster Christian Bernhard von Galen 1w8dis Ms rmtr^of genannt worden, „der Feind mit der Mitra." Ein kurzes Wort, aber es liegt in ihm der ganze kräftige Haß, den jahrelange Fehde erzeugte, und zugleich eine beißende Satire auf den streitsüchtigen Inhaber eines friedlichen Amtes. Er war in der That, „so lange er lebte, ein Hasser und Schädiger der Emder," ZZmcla- norum cionso vixit 08or ro8or. Aber er kam an die Unrechten! Sie waren Leute von zähem Freiheitssinn und — stachen ihre Deiche durch. Da mußte mancher westfälischen Mutter Sohn mehr Salzwasser schlucken, als ihm be¬ kömmlich war, und mancher Ertrinkende mochte denken: Hätte ich mich doch auf diese nasse Geschichte nicht eingelassen! „Laden is got legen 't hangen," sagt der Ostfriese, „lassen ist gut gegen das Gehängtwerden." Es ist auch gut gegen das Ersäuftwerden, und noch gegen manches andre. Schon lange sucht z.B. die Welt nach einem wirksamen Mittel gegen den Katzenjammer. Hier ist es endlich: laden! (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/467>, abgerufen am 19.05.2024.