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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Philosophie paulsiNls

Die drei bisher erörterten Fragen waren das Hnnptthema der zweinnd-
achtzigtägigen Hvmernledebatte. Das ganze Heer der übrigen verwickelten Fragen,
die die Bill ins Leben gerufen hat, ist in der Debatte kaum gestreift worden.
Von 1495 Zeilen, aus denen die Bill besteht, sind nur etliche 320 im Ausschuß
erörtert worden, in der That infolge des Verhaltens oder, wie die Homeruler
es nennen, der "Obstruktion" der Opposition. Die Opposition wußte, was
sie that. Vou deu drei behandelten Fragen allein hängt der Ausgang des
ganzen Kampfes ab. Gelingt es Gladstone, die Wähler zu überzeugen, daß
in seiner Bill die Oberhoheit des Reichsparlaments gewahrt ist, gelingt es
ihm, zu zeigen, daß die Beibehaltung irischer Abgeordneten im britischen Par¬
lament nicht eine Demütigung für England und nicht der Tod jeder Stetigkeit
der Regierung ist, gelingt es ihm, ihnen vorzurechnen, daß sie mit Homerule
ein gutes Geschüft machen und die zwei Millionen Pfund Sterling, die sie die
neue Nation kosten wird, gut angelegt sind, dann und nur dann darf er hoffen,
dem Gesetzbuche des Reichs seiue Hvmerulebill einverleibt zu sehen.




Die Philosophie jDaulsens

riedrich Paulsen hat eine Einleitung in die Philosophie ge¬
schrieben, die nichts geringeres ist, als die Philosophie selbst, oder
ein neues System der Philosophie.^) Wir kommen etwas spät
zur Besprechung dieses Buches, aber zu spät würden wir auch
nach zehn Jahren nicht kommen. Denn es ist ein Buch vou
bleibendem Werte. Was die Denker idealistischer Richtung im Laufe des
letzte" Menschenalters errungen haben, das faßt es zusammen, dafür hat der
Verfasser die richtigen Worte gefunden, und die Wärme seiner edeln Em¬
pfindung, die schöne Darstellung, die Klarheit der Sprache sichern ihm Leser.
Man kann nicht sagen, daß er den wissenschaftlichen Materialismus hin-
gerichtet habe, weil das schon andre vor ihm gethan haben; aber die Leichen¬
schau, die er anstellt, muß auch den Blödester überzeugen, daß jene Philo¬
sophie, die ohne den Geist auszukommen gedachte, wirklich tot ist, und den
Demagogen Ludwig Büchner als wissenschaftliche Autorität anzuführen, wird
in Zukunft kaum noch jemand wagen.



") Einleitung in die Philosophie von Friedrich Paulsen, a. o. Professor nu
der Unwersilttt Berlin. Berlin, W. Hertz (Bcssersche Buchhandlung), 1892.
Die Philosophie paulsiNls

Die drei bisher erörterten Fragen waren das Hnnptthema der zweinnd-
achtzigtägigen Hvmernledebatte. Das ganze Heer der übrigen verwickelten Fragen,
die die Bill ins Leben gerufen hat, ist in der Debatte kaum gestreift worden.
Von 1495 Zeilen, aus denen die Bill besteht, sind nur etliche 320 im Ausschuß
erörtert worden, in der That infolge des Verhaltens oder, wie die Homeruler
es nennen, der „Obstruktion" der Opposition. Die Opposition wußte, was
sie that. Vou deu drei behandelten Fragen allein hängt der Ausgang des
ganzen Kampfes ab. Gelingt es Gladstone, die Wähler zu überzeugen, daß
in seiner Bill die Oberhoheit des Reichsparlaments gewahrt ist, gelingt es
ihm, zu zeigen, daß die Beibehaltung irischer Abgeordneten im britischen Par¬
lament nicht eine Demütigung für England und nicht der Tod jeder Stetigkeit
der Regierung ist, gelingt es ihm, ihnen vorzurechnen, daß sie mit Homerule
ein gutes Geschüft machen und die zwei Millionen Pfund Sterling, die sie die
neue Nation kosten wird, gut angelegt sind, dann und nur dann darf er hoffen,
dem Gesetzbuche des Reichs seiue Hvmerulebill einverleibt zu sehen.




Die Philosophie jDaulsens

riedrich Paulsen hat eine Einleitung in die Philosophie ge¬
schrieben, die nichts geringeres ist, als die Philosophie selbst, oder
ein neues System der Philosophie.^) Wir kommen etwas spät
zur Besprechung dieses Buches, aber zu spät würden wir auch
nach zehn Jahren nicht kommen. Denn es ist ein Buch vou
bleibendem Werte. Was die Denker idealistischer Richtung im Laufe des
letzte» Menschenalters errungen haben, das faßt es zusammen, dafür hat der
Verfasser die richtigen Worte gefunden, und die Wärme seiner edeln Em¬
pfindung, die schöne Darstellung, die Klarheit der Sprache sichern ihm Leser.
Man kann nicht sagen, daß er den wissenschaftlichen Materialismus hin-
gerichtet habe, weil das schon andre vor ihm gethan haben; aber die Leichen¬
schau, die er anstellt, muß auch den Blödester überzeugen, daß jene Philo¬
sophie, die ohne den Geist auszukommen gedachte, wirklich tot ist, und den
Demagogen Ludwig Büchner als wissenschaftliche Autorität anzuführen, wird
in Zukunft kaum noch jemand wagen.



") Einleitung in die Philosophie von Friedrich Paulsen, a. o. Professor nu
der Unwersilttt Berlin. Berlin, W. Hertz (Bcssersche Buchhandlung), 1892.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/18>, abgerufen am 04.05.2024.