Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Devrient ins Stammbuch schrieb, und die, wenn auf irgend einen, auf ihn
selbst anwendbar sind:

Wem Edles soll gelingen/
Muß selber edel sein,
Die edeln Reben bringen
Von selbst den edeln Wein.
Du hast nicht nur zu lehren
Dies Leben treu gestrebt:
Du hast, sie zu bewähren,
Die Lehre auch gelebt!



Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die politische Lage im Mittelmeer.

Am 13. Oktober hat die russische
Flotte den Franzosen ihren Kronstädter Besuch in Toulon erwidert. Es sind
fünf Panzerschiffe gekommen, von denen zwei den Auftrag haben, gleich nach Ver¬
lauf der Festlichkeiten ihren Weg durch den Suezkanal in den Großen Ozean zu
nehmen, das dritte ist der russische stationär im Piräus und soll mit den beiden
noch übrigen Pcinzern jene vielbcsprochne russische Mittelmeerflvtte bilden, die ge¬
wissermaßen als die Krönung des russisch-französischen Bündnisses betrachtet wird.
Zwar die dauernde Einräumung eines französischen Hafens an die Russen scheint
im Hinblick auf die große Erregung, die in England sowohl wie in Italien zum
Ausdruck kam, als die ersten Nachrichten davon in die Presse drangen, endgiltig
-- oder ist es nicht klüger zu sagen vorläufig? -- aufgegeben zu sein. Ville-
franche oder Ajaccio in russischen Händen zu sehen, mußte allerdings den Italienern
als stete Drohung erscheinen, sie wären genötigt gewesen, Gegenmaßregeln zu treffen,
und hätten eine Unterstützung bei England suchen müssen, die selbst ein Ministerium
Gladstone nicht abschlagen dürfte. So hat man es denn auf russischer wie auf
französischer Seite vorgezogen, das Bestehen einer solchen Absicht energisch zu be¬
streiten, und hat den Plan selbst zunächst ausgegeben. Sehr begreiflich, wenn man
weiß, daß beide Mächte ein Interesse daran haben, dem Ministerium Gladstone
keine Schwierigkeiten zu bereiten und alles zu vermeiden, was von den Torys
zum Sturz des Homerulepropheteu ausgebeutet werde" könnte. Qnietistische Ge¬
müter in England können unter diesen Umständen mit Fug und Recht behaupten,
daß der russische Besuch nicht viel zu bedeuten habe, und daß zwei russische Fahr¬
zeuge im Mittelmeer an der Gesamtlage nichts änderten. Senden doch auch andre
Mächte Schulschiffe ius Mittelmeer, und läßt sich doch schwerlich erwarten, daß es
Nußland wagen werde, mit einem kleinen Geschwader, das noch dazu keinen eignen
Standort hat, Kriegspolitik zu treiben. Das alles scheint seine Nichtigkeit zu haben
und ließe sich noch dahin ergänzen, daß kein völkerrechtlicher Grundsatz irgend einer
Nation verbietet, ihre Fahrzeuge ins Mittelmeer zu schicken, und daß die mittel¬
ländischen Staaten dieser Thatsache auch insofern Rechnung tragen, als sie fremden


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Devrient ins Stammbuch schrieb, und die, wenn auf irgend einen, auf ihn
selbst anwendbar sind:

Wem Edles soll gelingen/
Muß selber edel sein,
Die edeln Reben bringen
Von selbst den edeln Wein.
Du hast nicht nur zu lehren
Dies Leben treu gestrebt:
Du hast, sie zu bewähren,
Die Lehre auch gelebt!



Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die politische Lage im Mittelmeer.

Am 13. Oktober hat die russische
Flotte den Franzosen ihren Kronstädter Besuch in Toulon erwidert. Es sind
fünf Panzerschiffe gekommen, von denen zwei den Auftrag haben, gleich nach Ver¬
lauf der Festlichkeiten ihren Weg durch den Suezkanal in den Großen Ozean zu
nehmen, das dritte ist der russische stationär im Piräus und soll mit den beiden
noch übrigen Pcinzern jene vielbcsprochne russische Mittelmeerflvtte bilden, die ge¬
wissermaßen als die Krönung des russisch-französischen Bündnisses betrachtet wird.
Zwar die dauernde Einräumung eines französischen Hafens an die Russen scheint
im Hinblick auf die große Erregung, die in England sowohl wie in Italien zum
Ausdruck kam, als die ersten Nachrichten davon in die Presse drangen, endgiltig
— oder ist es nicht klüger zu sagen vorläufig? — aufgegeben zu sein. Ville-
franche oder Ajaccio in russischen Händen zu sehen, mußte allerdings den Italienern
als stete Drohung erscheinen, sie wären genötigt gewesen, Gegenmaßregeln zu treffen,
und hätten eine Unterstützung bei England suchen müssen, die selbst ein Ministerium
Gladstone nicht abschlagen dürfte. So hat man es denn auf russischer wie auf
französischer Seite vorgezogen, das Bestehen einer solchen Absicht energisch zu be¬
streiten, und hat den Plan selbst zunächst ausgegeben. Sehr begreiflich, wenn man
weiß, daß beide Mächte ein Interesse daran haben, dem Ministerium Gladstone
keine Schwierigkeiten zu bereiten und alles zu vermeiden, was von den Torys
zum Sturz des Homerulepropheteu ausgebeutet werde» könnte. Qnietistische Ge¬
müter in England können unter diesen Umständen mit Fug und Recht behaupten,
daß der russische Besuch nicht viel zu bedeuten habe, und daß zwei russische Fahr¬
zeuge im Mittelmeer an der Gesamtlage nichts änderten. Senden doch auch andre
Mächte Schulschiffe ius Mittelmeer, und läßt sich doch schwerlich erwarten, daß es
Nußland wagen werde, mit einem kleinen Geschwader, das noch dazu keinen eignen
Standort hat, Kriegspolitik zu treiben. Das alles scheint seine Nichtigkeit zu haben
und ließe sich noch dahin ergänzen, daß kein völkerrechtlicher Grundsatz irgend einer
Nation verbietet, ihre Fahrzeuge ins Mittelmeer zu schicken, und daß die mittel¬
ländischen Staaten dieser Thatsache auch insofern Rechnung tragen, als sie fremden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215918"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_507" prev="#ID_506"> Devrient ins Stammbuch schrieb, und die, wenn auf irgend einen, auf ihn<lb/>
selbst anwendbar sind:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_4" type="poem">
            <l> Wem Edles soll gelingen/<lb/>
Muß selber edel sein,<lb/>
Die edeln Reben bringen<lb/>
Von selbst den edeln Wein.</l>
            <l> Du hast nicht nur zu lehren<lb/>
Dies Leben treu gestrebt:<lb/>
Du hast, sie zu bewähren,<lb/>
Die Lehre auch gelebt!</l>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Die politische Lage im Mittelmeer.</head>
            <p xml:id="ID_508" next="#ID_509"> Am 13. Oktober hat die russische<lb/>
Flotte den Franzosen ihren Kronstädter Besuch in Toulon erwidert. Es sind<lb/>
fünf Panzerschiffe gekommen, von denen zwei den Auftrag haben, gleich nach Ver¬<lb/>
lauf der Festlichkeiten ihren Weg durch den Suezkanal in den Großen Ozean zu<lb/>
nehmen, das dritte ist der russische stationär im Piräus und soll mit den beiden<lb/>
noch übrigen Pcinzern jene vielbcsprochne russische Mittelmeerflvtte bilden, die ge¬<lb/>
wissermaßen als die Krönung des russisch-französischen Bündnisses betrachtet wird.<lb/>
Zwar die dauernde Einräumung eines französischen Hafens an die Russen scheint<lb/>
im Hinblick auf die große Erregung, die in England sowohl wie in Italien zum<lb/>
Ausdruck kam, als die ersten Nachrichten davon in die Presse drangen, endgiltig<lb/>
&#x2014; oder ist es nicht klüger zu sagen vorläufig? &#x2014; aufgegeben zu sein. Ville-<lb/>
franche oder Ajaccio in russischen Händen zu sehen, mußte allerdings den Italienern<lb/>
als stete Drohung erscheinen, sie wären genötigt gewesen, Gegenmaßregeln zu treffen,<lb/>
und hätten eine Unterstützung bei England suchen müssen, die selbst ein Ministerium<lb/>
Gladstone nicht abschlagen dürfte. So hat man es denn auf russischer wie auf<lb/>
französischer Seite vorgezogen, das Bestehen einer solchen Absicht energisch zu be¬<lb/>
streiten, und hat den Plan selbst zunächst ausgegeben. Sehr begreiflich, wenn man<lb/>
weiß, daß beide Mächte ein Interesse daran haben, dem Ministerium Gladstone<lb/>
keine Schwierigkeiten zu bereiten und alles zu vermeiden, was von den Torys<lb/>
zum Sturz des Homerulepropheteu ausgebeutet werde» könnte. Qnietistische Ge¬<lb/>
müter in England können unter diesen Umständen mit Fug und Recht behaupten,<lb/>
daß der russische Besuch nicht viel zu bedeuten habe, und daß zwei russische Fahr¬<lb/>
zeuge im Mittelmeer an der Gesamtlage nichts änderten. Senden doch auch andre<lb/>
Mächte Schulschiffe ius Mittelmeer, und läßt sich doch schwerlich erwarten, daß es<lb/>
Nußland wagen werde, mit einem kleinen Geschwader, das noch dazu keinen eignen<lb/>
Standort hat, Kriegspolitik zu treiben. Das alles scheint seine Nichtigkeit zu haben<lb/>
und ließe sich noch dahin ergänzen, daß kein völkerrechtlicher Grundsatz irgend einer<lb/>
Nation verbietet, ihre Fahrzeuge ins Mittelmeer zu schicken, und daß die mittel¬<lb/>
ländischen Staaten dieser Thatsache auch insofern Rechnung tragen, als sie fremden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] Maßgebliches und Unmaßgebliches Devrient ins Stammbuch schrieb, und die, wenn auf irgend einen, auf ihn selbst anwendbar sind: Wem Edles soll gelingen/ Muß selber edel sein, Die edeln Reben bringen Von selbst den edeln Wein. Du hast nicht nur zu lehren Dies Leben treu gestrebt: Du hast, sie zu bewähren, Die Lehre auch gelebt! Maßgebliches und Unmaßgebliches Die politische Lage im Mittelmeer. Am 13. Oktober hat die russische Flotte den Franzosen ihren Kronstädter Besuch in Toulon erwidert. Es sind fünf Panzerschiffe gekommen, von denen zwei den Auftrag haben, gleich nach Ver¬ lauf der Festlichkeiten ihren Weg durch den Suezkanal in den Großen Ozean zu nehmen, das dritte ist der russische stationär im Piräus und soll mit den beiden noch übrigen Pcinzern jene vielbcsprochne russische Mittelmeerflvtte bilden, die ge¬ wissermaßen als die Krönung des russisch-französischen Bündnisses betrachtet wird. Zwar die dauernde Einräumung eines französischen Hafens an die Russen scheint im Hinblick auf die große Erregung, die in England sowohl wie in Italien zum Ausdruck kam, als die ersten Nachrichten davon in die Presse drangen, endgiltig — oder ist es nicht klüger zu sagen vorläufig? — aufgegeben zu sein. Ville- franche oder Ajaccio in russischen Händen zu sehen, mußte allerdings den Italienern als stete Drohung erscheinen, sie wären genötigt gewesen, Gegenmaßregeln zu treffen, und hätten eine Unterstützung bei England suchen müssen, die selbst ein Ministerium Gladstone nicht abschlagen dürfte. So hat man es denn auf russischer wie auf französischer Seite vorgezogen, das Bestehen einer solchen Absicht energisch zu be¬ streiten, und hat den Plan selbst zunächst ausgegeben. Sehr begreiflich, wenn man weiß, daß beide Mächte ein Interesse daran haben, dem Ministerium Gladstone keine Schwierigkeiten zu bereiten und alles zu vermeiden, was von den Torys zum Sturz des Homerulepropheteu ausgebeutet werde» könnte. Qnietistische Ge¬ müter in England können unter diesen Umständen mit Fug und Recht behaupten, daß der russische Besuch nicht viel zu bedeuten habe, und daß zwei russische Fahr¬ zeuge im Mittelmeer an der Gesamtlage nichts änderten. Senden doch auch andre Mächte Schulschiffe ius Mittelmeer, und läßt sich doch schwerlich erwarten, daß es Nußland wagen werde, mit einem kleinen Geschwader, das noch dazu keinen eignen Standort hat, Kriegspolitik zu treiben. Das alles scheint seine Nichtigkeit zu haben und ließe sich noch dahin ergänzen, daß kein völkerrechtlicher Grundsatz irgend einer Nation verbietet, ihre Fahrzeuge ins Mittelmeer zu schicken, und daß die mittel¬ ländischen Staaten dieser Thatsache auch insofern Rechnung tragen, als sie fremden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/194>, abgerufen am 04.05.2024.