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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Der Arzt und das Unfallgesetz

-- es wäre" die Herren Buckel und Rickert --, sich zu der Erklärung hat
entschließen müssen, daß zur Deckung der Kosten der Militärvorlage eine Er¬
höhung der Viersteuer nicht wieder vorgelegt werden solle. Der Reichstag
selbst würde freilich durch diese Erklärung nicht gebunden sein.' Daß aber ein
Genußmittel, für das das deutsche Volk jährlich mehr als eine Milliarde aus¬
giebt, und dessen Genuß ohne jeden Schade" für unser Volk bedeutend be¬
schränkt werden könnte, zur Zeit in Deutschland mit einer kaum nennenswerten
Steuer belegt ist, ist in wirtschaftlicher Beziehung eine der seltsamsten Erschei¬
nungen, die sich nur aus gewissen, nicht gerade rühmlichen Charaktereigen¬
schaften des deutschen Volkes erklären läßt.




Der Arzt und das Unfallgesetz

ein Gesetz, das seit dem Bestehen des "eilen deutscheu Reichs
die Sanktion des Kaisers und des Reichstags erlangt hat, wirkt
i" so unmittelbcirer Weise human wie das über die Unfallver¬
sicherung der Arbeiter. Nur wer die Freuden und Leiden des
Arbeiters nicht aus Erfahrung keimt nud schon vor der Ein¬
führung des Gesetzes gekannt hat. vermag das Gegenteil zu behaupte". Wer vor
der Einführung dieses Gesetzes und des über die Krankenkasse" das Leben und
das Leiden des kranken und verletzten, des genesenden und schließlich des in¬
valid gewordnen Arbeiters verfolgt hat, der muß überzeugt sein, daß mit der
Einführung dieser Gesetze die schwere Angst und Not des besitzlosen Arbeiters,
die mit dem Auftreten von Krankheit und Unfall über ihn kommen, zum großen
Teil von ihm genommen sind. Er braucht uicht mehr zu fürchten, daß
er leine sachgemäße ärztliche Behandlung empfange, seine Anfimhme i" el"
Krankenhaus ist nicht mehr von der Frage abhängig, wer die Kosten seines
Aufenthalts trägt, er wird "icht von der Sorge gequält, daß die Seinigen
hungern müssen, so lange er außer stände ist, zu verdienen. Es wird für ihn
gesorgt, wenn er invalid wird, er und seine Familie werden über Wasser ge¬
halten und brauchen uicht den Armeubehördeu zur Last zu fallen, wenn sich
seine Genesung hinzieht.

Außer den Leidenden selbst vermag kaum jemand einen so diesen Blick in
diese Verhältnisse zu thun wie der Arzt. Mag er in der Familie des Ar¬
beiters wirke", mag er das leibliche Wohl des Arbeiters, wenn er verletzt ist,


Der Arzt und das Unfallgesetz

— es wäre» die Herren Buckel und Rickert —, sich zu der Erklärung hat
entschließen müssen, daß zur Deckung der Kosten der Militärvorlage eine Er¬
höhung der Viersteuer nicht wieder vorgelegt werden solle. Der Reichstag
selbst würde freilich durch diese Erklärung nicht gebunden sein.' Daß aber ein
Genußmittel, für das das deutsche Volk jährlich mehr als eine Milliarde aus¬
giebt, und dessen Genuß ohne jeden Schade» für unser Volk bedeutend be¬
schränkt werden könnte, zur Zeit in Deutschland mit einer kaum nennenswerten
Steuer belegt ist, ist in wirtschaftlicher Beziehung eine der seltsamsten Erschei¬
nungen, die sich nur aus gewissen, nicht gerade rühmlichen Charaktereigen¬
schaften des deutschen Volkes erklären läßt.




Der Arzt und das Unfallgesetz

ein Gesetz, das seit dem Bestehen des »eilen deutscheu Reichs
die Sanktion des Kaisers und des Reichstags erlangt hat, wirkt
i» so unmittelbcirer Weise human wie das über die Unfallver¬
sicherung der Arbeiter. Nur wer die Freuden und Leiden des
Arbeiters nicht aus Erfahrung keimt nud schon vor der Ein¬
führung des Gesetzes gekannt hat. vermag das Gegenteil zu behaupte». Wer vor
der Einführung dieses Gesetzes und des über die Krankenkasse» das Leben und
das Leiden des kranken und verletzten, des genesenden und schließlich des in¬
valid gewordnen Arbeiters verfolgt hat, der muß überzeugt sein, daß mit der
Einführung dieser Gesetze die schwere Angst und Not des besitzlosen Arbeiters,
die mit dem Auftreten von Krankheit und Unfall über ihn kommen, zum großen
Teil von ihm genommen sind. Er braucht uicht mehr zu fürchten, daß
er leine sachgemäße ärztliche Behandlung empfange, seine Anfimhme i» el»
Krankenhaus ist nicht mehr von der Frage abhängig, wer die Kosten seines
Aufenthalts trägt, er wird »icht von der Sorge gequält, daß die Seinigen
hungern müssen, so lange er außer stände ist, zu verdienen. Es wird für ihn
gesorgt, wenn er invalid wird, er und seine Familie werden über Wasser ge¬
halten und brauchen uicht den Armeubehördeu zur Last zu fallen, wenn sich
seine Genesung hinzieht.

Außer den Leidenden selbst vermag kaum jemand einen so diesen Blick in
diese Verhältnisse zu thun wie der Arzt. Mag er in der Familie des Ar¬
beiters wirke», mag er das leibliche Wohl des Arbeiters, wenn er verletzt ist,


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[0509] Der Arzt und das Unfallgesetz — es wäre» die Herren Buckel und Rickert —, sich zu der Erklärung hat entschließen müssen, daß zur Deckung der Kosten der Militärvorlage eine Er¬ höhung der Viersteuer nicht wieder vorgelegt werden solle. Der Reichstag selbst würde freilich durch diese Erklärung nicht gebunden sein.' Daß aber ein Genußmittel, für das das deutsche Volk jährlich mehr als eine Milliarde aus¬ giebt, und dessen Genuß ohne jeden Schade» für unser Volk bedeutend be¬ schränkt werden könnte, zur Zeit in Deutschland mit einer kaum nennenswerten Steuer belegt ist, ist in wirtschaftlicher Beziehung eine der seltsamsten Erschei¬ nungen, die sich nur aus gewissen, nicht gerade rühmlichen Charaktereigen¬ schaften des deutschen Volkes erklären läßt. Der Arzt und das Unfallgesetz ein Gesetz, das seit dem Bestehen des »eilen deutscheu Reichs die Sanktion des Kaisers und des Reichstags erlangt hat, wirkt i» so unmittelbcirer Weise human wie das über die Unfallver¬ sicherung der Arbeiter. Nur wer die Freuden und Leiden des Arbeiters nicht aus Erfahrung keimt nud schon vor der Ein¬ führung des Gesetzes gekannt hat. vermag das Gegenteil zu behaupte». Wer vor der Einführung dieses Gesetzes und des über die Krankenkasse» das Leben und das Leiden des kranken und verletzten, des genesenden und schließlich des in¬ valid gewordnen Arbeiters verfolgt hat, der muß überzeugt sein, daß mit der Einführung dieser Gesetze die schwere Angst und Not des besitzlosen Arbeiters, die mit dem Auftreten von Krankheit und Unfall über ihn kommen, zum großen Teil von ihm genommen sind. Er braucht uicht mehr zu fürchten, daß er leine sachgemäße ärztliche Behandlung empfange, seine Anfimhme i» el» Krankenhaus ist nicht mehr von der Frage abhängig, wer die Kosten seines Aufenthalts trägt, er wird »icht von der Sorge gequält, daß die Seinigen hungern müssen, so lange er außer stände ist, zu verdienen. Es wird für ihn gesorgt, wenn er invalid wird, er und seine Familie werden über Wasser ge¬ halten und brauchen uicht den Armeubehördeu zur Last zu fallen, wenn sich seine Genesung hinzieht. Außer den Leidenden selbst vermag kaum jemand einen so diesen Blick in diese Verhältnisse zu thun wie der Arzt. Mag er in der Familie des Ar¬ beiters wirke», mag er das leibliche Wohl des Arbeiters, wenn er verletzt ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/509>, abgerufen am 04.05.2024.