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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Moderne in der Wissenschaft

Solange die evangelische Kirche noch nicht die ihr gebührende Freiheit
-- vom Staate und von den Namenchristen -- erlangt hat, bleibt nichts
andres übrig, als sich mit dem zu begnügen, was wir haben, und darauf
thätig anzuwenden:


Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.

Denen aber, die von der Freiheit für die evangelische Kirche Verderben
befürchten, rufe ich zu: Ihr Kleingläubigen!




Die Moderne in der Wissenschaft
Gin Erlebnis

s war in den Morgenstunden des 14. Dezember 1894. Ich
hatte mich eben an meinem Schreibtisch zurechtgesetzt, um in der
Durchsicht eines Aktenstücks fortzufahren, das ich am Abend
zuvor begonnen hatte, als es laut klingelte. Das Mädchen
brachte mir ein Paket aus der Buchhandlung, und auf der Faktur
stand: 1 Thode, Ring des Frangipani. 12 Mark.

Ach was! dachte ich, Ring des Frangivani -- hat Zeit! Gewiß ein
Epos über irgend einen altindischen König! und warf das Paket beiseite.

Nach einigen Minuten plagte mich aber doch die Neugier, und ich knötelte
den Bindfaden auf. Vor mir lag ein stolzer Quartband mit einem Umschlag aus
Pergamentpapier, darauf stand rot gedruckt: Der Ring des Fmngipcmi. Ein
Erlebnis von Henry Thode.

Was? denke ich, ein Erlebnis? Was soll das heißen? Soll es so viel
heißen, wie: eine wahre Geschichte? Ist es also eine poetische Erzählung,
ein Roman, bei dem geschichtliche Vorgänge benutzt worden find? Oder soll
es heißen: ein Erlebnis Henry Thvdes? Aber wer ist Henry Thode? Meines
Wissens ein junger Berliner Kunsthistoriker. Wie kann der etwas erlebt haben,
was der Ring des Frangipani heißt?

Ich schlage auf, und sehe auf dem ersten Blatte des auf Büttenpapier
gedruckten Bandes die Abbildung eines Ringes ans spätgotischer Zeit mit der
rings umlaufenden Inschrift: nul wullen dgu eggen (mit Willen dein eigen).
Das nächste Blatt wiederholt den Titel des Buches mit dem Zusatz: "Mit
Zierleisten von Hans Thoma und zwölf Abbildungen in Lichtdruck" und mit


Die Moderne in der Wissenschaft

Solange die evangelische Kirche noch nicht die ihr gebührende Freiheit
— vom Staate und von den Namenchristen — erlangt hat, bleibt nichts
andres übrig, als sich mit dem zu begnügen, was wir haben, und darauf
thätig anzuwenden:


Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.

Denen aber, die von der Freiheit für die evangelische Kirche Verderben
befürchten, rufe ich zu: Ihr Kleingläubigen!




Die Moderne in der Wissenschaft
Gin Erlebnis

s war in den Morgenstunden des 14. Dezember 1894. Ich
hatte mich eben an meinem Schreibtisch zurechtgesetzt, um in der
Durchsicht eines Aktenstücks fortzufahren, das ich am Abend
zuvor begonnen hatte, als es laut klingelte. Das Mädchen
brachte mir ein Paket aus der Buchhandlung, und auf der Faktur
stand: 1 Thode, Ring des Frangipani. 12 Mark.

Ach was! dachte ich, Ring des Frangivani — hat Zeit! Gewiß ein
Epos über irgend einen altindischen König! und warf das Paket beiseite.

Nach einigen Minuten plagte mich aber doch die Neugier, und ich knötelte
den Bindfaden auf. Vor mir lag ein stolzer Quartband mit einem Umschlag aus
Pergamentpapier, darauf stand rot gedruckt: Der Ring des Fmngipcmi. Ein
Erlebnis von Henry Thode.

Was? denke ich, ein Erlebnis? Was soll das heißen? Soll es so viel
heißen, wie: eine wahre Geschichte? Ist es also eine poetische Erzählung,
ein Roman, bei dem geschichtliche Vorgänge benutzt worden find? Oder soll
es heißen: ein Erlebnis Henry Thvdes? Aber wer ist Henry Thode? Meines
Wissens ein junger Berliner Kunsthistoriker. Wie kann der etwas erlebt haben,
was der Ring des Frangipani heißt?

Ich schlage auf, und sehe auf dem ersten Blatte des auf Büttenpapier
gedruckten Bandes die Abbildung eines Ringes ans spätgotischer Zeit mit der
rings umlaufenden Inschrift: nul wullen dgu eggen (mit Willen dein eigen).
Das nächste Blatt wiederholt den Titel des Buches mit dem Zusatz: „Mit
Zierleisten von Hans Thoma und zwölf Abbildungen in Lichtdruck" und mit


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[0022] Die Moderne in der Wissenschaft Solange die evangelische Kirche noch nicht die ihr gebührende Freiheit — vom Staate und von den Namenchristen — erlangt hat, bleibt nichts andres übrig, als sich mit dem zu begnügen, was wir haben, und darauf thätig anzuwenden: Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen. Denen aber, die von der Freiheit für die evangelische Kirche Verderben befürchten, rufe ich zu: Ihr Kleingläubigen! Die Moderne in der Wissenschaft Gin Erlebnis s war in den Morgenstunden des 14. Dezember 1894. Ich hatte mich eben an meinem Schreibtisch zurechtgesetzt, um in der Durchsicht eines Aktenstücks fortzufahren, das ich am Abend zuvor begonnen hatte, als es laut klingelte. Das Mädchen brachte mir ein Paket aus der Buchhandlung, und auf der Faktur stand: 1 Thode, Ring des Frangipani. 12 Mark. Ach was! dachte ich, Ring des Frangivani — hat Zeit! Gewiß ein Epos über irgend einen altindischen König! und warf das Paket beiseite. Nach einigen Minuten plagte mich aber doch die Neugier, und ich knötelte den Bindfaden auf. Vor mir lag ein stolzer Quartband mit einem Umschlag aus Pergamentpapier, darauf stand rot gedruckt: Der Ring des Fmngipcmi. Ein Erlebnis von Henry Thode. Was? denke ich, ein Erlebnis? Was soll das heißen? Soll es so viel heißen, wie: eine wahre Geschichte? Ist es also eine poetische Erzählung, ein Roman, bei dem geschichtliche Vorgänge benutzt worden find? Oder soll es heißen: ein Erlebnis Henry Thvdes? Aber wer ist Henry Thode? Meines Wissens ein junger Berliner Kunsthistoriker. Wie kann der etwas erlebt haben, was der Ring des Frangipani heißt? Ich schlage auf, und sehe auf dem ersten Blatte des auf Büttenpapier gedruckten Bandes die Abbildung eines Ringes ans spätgotischer Zeit mit der rings umlaufenden Inschrift: nul wullen dgu eggen (mit Willen dein eigen). Das nächste Blatt wiederholt den Titel des Buches mit dem Zusatz: „Mit Zierleisten von Hans Thoma und zwölf Abbildungen in Lichtdruck" und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/22>, abgerufen am 28.04.2024.