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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Neue Novelle"

Jetzt sind wir in dieser Hinsicht ans die Ergebnisse der Gewerbczählung vom
1. Dezember 1875 und der Bernfszählnng vom 5. Juni 1882 angewiesen,
und schon aus den wesentlichen Zahlen dieser Gewerbeaufnahme geht hervor,
welchen beständigen Veränderungen die Gesamtheit jener Gewerbebetriebe in
der neuern Zeit ausgesetzt ist durch Vernichtung lebensunfähiger Betriebe, durch
Entwicklung kleiner Betriebe zu großen oder durch Aufsaugung der kleinen durch
die großen. Es geht aus diesen Zahlen hervor, daß sich der Großbetrieb
stärker entwickelt hat als der Kleinbetrieb, und dieser Prozeß ist in keiner
Gewerbeart schon abgeschlossen.

Wenn darüber noch einige Zeit verloren geht, so ist das zu bedauern.
Jedenfalls wird man aber dann festern Boden unter den Füßen haben als jetzt,
wo man sich nur auf die lückenhaften Erhebungen, die vor zwölf Jahren
gemacht worden sind, stützen kaun. Daß die neuen Erhebungen auch die Wirk¬
samkeit der Gewerbekorporationen und ihre Bedeutung für das gesamte Hand¬
werk mit ins Auge fassen müssen, ist selbstverständlich. Sind aber dann diese
Untersuchungen abgeschlossen, so möge man auch nicht länger säumen, dem
Handwerk die notwendige Interessenvertretung zu geben.




Neue Novellen
(Schluß)

mer andern Gruppe gehören die Novellen von Franz Wolff
an (Leipzig, Oswald Mütze), Proben einer Erzählungskunst, die
Wirkung und Stimmung sucht, gelegentlich auch erreicht, ohne
dabei die Natur, die Unmittelbarkeit des Lebens zur Führerin
zu haben. Geschichten wie "Ein Modell" und "Ein Talent"
sind gut gruppirt und gut erzählt, aber glaubhaft erscheinen sie nicht, und er¬
greifen können sie auch nicht, weil ihnen der warm belebende Hauch der Wirk¬
lichkeit fehlt. Wer sein und tief genng fühlt, sich eines Kindes so anzunehmen,
wie es Frau Julie in der Novelle "Ein Modell" thut, der läßt auch die
Mutter des Kindes nicht in den nassen Tod rennen; noch weniger erzieht ein
wackrer pensionirter Hauptmann seinen Sohn so zum "Dichter," wie es in der
Novelle "Ein Talent" mit Richard Bogner geschieht.

Die ältere kurze und knappe Novelle, die eine in ihrer Art einzige Be¬
gebenheit, einen eigentümlichen Charakterzug vorträgt, ist von dem modernen


Neue Novelle»

Jetzt sind wir in dieser Hinsicht ans die Ergebnisse der Gewerbczählung vom
1. Dezember 1875 und der Bernfszählnng vom 5. Juni 1882 angewiesen,
und schon aus den wesentlichen Zahlen dieser Gewerbeaufnahme geht hervor,
welchen beständigen Veränderungen die Gesamtheit jener Gewerbebetriebe in
der neuern Zeit ausgesetzt ist durch Vernichtung lebensunfähiger Betriebe, durch
Entwicklung kleiner Betriebe zu großen oder durch Aufsaugung der kleinen durch
die großen. Es geht aus diesen Zahlen hervor, daß sich der Großbetrieb
stärker entwickelt hat als der Kleinbetrieb, und dieser Prozeß ist in keiner
Gewerbeart schon abgeschlossen.

Wenn darüber noch einige Zeit verloren geht, so ist das zu bedauern.
Jedenfalls wird man aber dann festern Boden unter den Füßen haben als jetzt,
wo man sich nur auf die lückenhaften Erhebungen, die vor zwölf Jahren
gemacht worden sind, stützen kaun. Daß die neuen Erhebungen auch die Wirk¬
samkeit der Gewerbekorporationen und ihre Bedeutung für das gesamte Hand¬
werk mit ins Auge fassen müssen, ist selbstverständlich. Sind aber dann diese
Untersuchungen abgeschlossen, so möge man auch nicht länger säumen, dem
Handwerk die notwendige Interessenvertretung zu geben.




Neue Novellen
(Schluß)

mer andern Gruppe gehören die Novellen von Franz Wolff
an (Leipzig, Oswald Mütze), Proben einer Erzählungskunst, die
Wirkung und Stimmung sucht, gelegentlich auch erreicht, ohne
dabei die Natur, die Unmittelbarkeit des Lebens zur Führerin
zu haben. Geschichten wie „Ein Modell" und „Ein Talent"
sind gut gruppirt und gut erzählt, aber glaubhaft erscheinen sie nicht, und er¬
greifen können sie auch nicht, weil ihnen der warm belebende Hauch der Wirk¬
lichkeit fehlt. Wer sein und tief genng fühlt, sich eines Kindes so anzunehmen,
wie es Frau Julie in der Novelle „Ein Modell" thut, der läßt auch die
Mutter des Kindes nicht in den nassen Tod rennen; noch weniger erzieht ein
wackrer pensionirter Hauptmann seinen Sohn so zum „Dichter," wie es in der
Novelle „Ein Talent" mit Richard Bogner geschieht.

Die ältere kurze und knappe Novelle, die eine in ihrer Art einzige Be¬
gebenheit, einen eigentümlichen Charakterzug vorträgt, ist von dem modernen


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[0223] Neue Novelle» Jetzt sind wir in dieser Hinsicht ans die Ergebnisse der Gewerbczählung vom 1. Dezember 1875 und der Bernfszählnng vom 5. Juni 1882 angewiesen, und schon aus den wesentlichen Zahlen dieser Gewerbeaufnahme geht hervor, welchen beständigen Veränderungen die Gesamtheit jener Gewerbebetriebe in der neuern Zeit ausgesetzt ist durch Vernichtung lebensunfähiger Betriebe, durch Entwicklung kleiner Betriebe zu großen oder durch Aufsaugung der kleinen durch die großen. Es geht aus diesen Zahlen hervor, daß sich der Großbetrieb stärker entwickelt hat als der Kleinbetrieb, und dieser Prozeß ist in keiner Gewerbeart schon abgeschlossen. Wenn darüber noch einige Zeit verloren geht, so ist das zu bedauern. Jedenfalls wird man aber dann festern Boden unter den Füßen haben als jetzt, wo man sich nur auf die lückenhaften Erhebungen, die vor zwölf Jahren gemacht worden sind, stützen kaun. Daß die neuen Erhebungen auch die Wirk¬ samkeit der Gewerbekorporationen und ihre Bedeutung für das gesamte Hand¬ werk mit ins Auge fassen müssen, ist selbstverständlich. Sind aber dann diese Untersuchungen abgeschlossen, so möge man auch nicht länger säumen, dem Handwerk die notwendige Interessenvertretung zu geben. Neue Novellen (Schluß) mer andern Gruppe gehören die Novellen von Franz Wolff an (Leipzig, Oswald Mütze), Proben einer Erzählungskunst, die Wirkung und Stimmung sucht, gelegentlich auch erreicht, ohne dabei die Natur, die Unmittelbarkeit des Lebens zur Führerin zu haben. Geschichten wie „Ein Modell" und „Ein Talent" sind gut gruppirt und gut erzählt, aber glaubhaft erscheinen sie nicht, und er¬ greifen können sie auch nicht, weil ihnen der warm belebende Hauch der Wirk¬ lichkeit fehlt. Wer sein und tief genng fühlt, sich eines Kindes so anzunehmen, wie es Frau Julie in der Novelle „Ein Modell" thut, der läßt auch die Mutter des Kindes nicht in den nassen Tod rennen; noch weniger erzieht ein wackrer pensionirter Hauptmann seinen Sohn so zum „Dichter," wie es in der Novelle „Ein Talent" mit Richard Bogner geschieht. Die ältere kurze und knappe Novelle, die eine in ihrer Art einzige Be¬ gebenheit, einen eigentümlichen Charakterzug vorträgt, ist von dem modernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/223>, abgerufen am 28.04.2024.