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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Handwerkskammern

abzuwehren, die Presse aufzuklären und auf die sogenannte öffentliche Meinung
größeren Einfluß zu gewinnen. Ferner müßten sie periodische Berichte heraus¬
geben, die Gewerbestatistik unterstützen und Gutachten über die Angelegenheiten
des Handwerks abfassen. Es darf aber nicht in das Belieben der Behörden
gestellt sein, solche Gutachten einzufordern, wie es der Entwurf Verlepschs
vorschlug, sondern die Negierung muß die Handwerkskammern hören, ehe sie
neue Gesetze und Anordnungen erläßt, die das Handwerk betreffen.

Ferner wäre es Aufgabe der Handwerkskammern, die zur Förderung der
Berufs- und Stnndesinteressen geeigneten Einrichtungen und Maßnahmen der
Selbsthilfe, namentlich auf dem Gebiete des Schul- und Genossenschaftswesens,
zu beraten und solche bei den Verufsgenossen wie bei den Behörden anzuregen.
Ein unmittelbares Eingreifen in die Verwaltung der für das Handwerk ins
Leben gerufnett gemeinnützige"! Einrichtungen würde zu Konflikten mit den be¬
stehenden Körperschaften führen, auch wohl die Kräfte der Handwerkskammern
abschwächen.

Später werden sich ohne Zweifel noch weitere Aufgaben für die Kammern
ergeben. So wird man ihnen vielleicht die zur Regelung des Lehrlingswesens
notwendige Feststellung der verwandten Gewerbe, die Bildung von Prüsnngs-
kommissivuen und andres zuweise". Auch die Bildung von Ausschüssen zur
Bekämpfung des unlauter" Wettbewerbs und des Banschwindels, die Wahl
vou Sachverständigen bei Gerichtsverhandlungen oder gewisse Leistungen bei
neuer Regelung des Submissionswesens u. a. wird man ihnen anvertraue"
dürfe".

Ob die neue" Einrichtnnge" die Kosten, die sich für jede Handwerkskammer
etwa auf 5000 bis 6000 Mark für das Jahr belaufen würden, nnter allen Um¬
ständen sofort durch den Nutzen, den sie dem Handwerkerstande bringen, decken
würde", kann niemand vorhersagen. Für das Handwerk ist seit so langer Zeit
die notwendige Organisativnsarbeit versäumt worden, sodaß es ohne Frage
langer und gründlicher Arbeit bedürft" wird, die Schäden wieder abzustellen.
Wollten die Meister für diese Arbeit die paar Pfennige im Vierteljahr für
den Kopf verweigern, so würde" allerdings ihre Gegner Recht behalte", die
ihnen Mangel an Einsicht, Verzagtheit und trotzige Verbissenheit zum Vorwurf
machen und wegen dieser Eigenschaften ein baldiges unrühmliches Ende pro¬
phezeien.

Man hat nun in der Tagespresse wie in der Fachpresse gefragt, ob es
sich nicht empfehlen würde, die Ergebnisse der im Juli 1895 ausgeschriebnen
Berufs- oder Gewerbezählung oder noch besser der in Aussicht geuominnen
Erhebung über die Verhältnisse des Handwerkerstandes abzuwarten. Diese Frage
hat große Berechtigung. Die Entwicklung der Groß- und der Kleinbetriebe
ist im vollen Fluß. Die Statistik spielt aber in der Begründung und Be¬
urteilung mancher der vorzuschlagenden Maßnahmen eine entscheidende Rolle.


Die Handwerkskammern

abzuwehren, die Presse aufzuklären und auf die sogenannte öffentliche Meinung
größeren Einfluß zu gewinnen. Ferner müßten sie periodische Berichte heraus¬
geben, die Gewerbestatistik unterstützen und Gutachten über die Angelegenheiten
des Handwerks abfassen. Es darf aber nicht in das Belieben der Behörden
gestellt sein, solche Gutachten einzufordern, wie es der Entwurf Verlepschs
vorschlug, sondern die Negierung muß die Handwerkskammern hören, ehe sie
neue Gesetze und Anordnungen erläßt, die das Handwerk betreffen.

Ferner wäre es Aufgabe der Handwerkskammern, die zur Förderung der
Berufs- und Stnndesinteressen geeigneten Einrichtungen und Maßnahmen der
Selbsthilfe, namentlich auf dem Gebiete des Schul- und Genossenschaftswesens,
zu beraten und solche bei den Verufsgenossen wie bei den Behörden anzuregen.
Ein unmittelbares Eingreifen in die Verwaltung der für das Handwerk ins
Leben gerufnett gemeinnützige«! Einrichtungen würde zu Konflikten mit den be¬
stehenden Körperschaften führen, auch wohl die Kräfte der Handwerkskammern
abschwächen.

Später werden sich ohne Zweifel noch weitere Aufgaben für die Kammern
ergeben. So wird man ihnen vielleicht die zur Regelung des Lehrlingswesens
notwendige Feststellung der verwandten Gewerbe, die Bildung von Prüsnngs-
kommissivuen und andres zuweise». Auch die Bildung von Ausschüssen zur
Bekämpfung des unlauter» Wettbewerbs und des Banschwindels, die Wahl
vou Sachverständigen bei Gerichtsverhandlungen oder gewisse Leistungen bei
neuer Regelung des Submissionswesens u. a. wird man ihnen anvertraue»
dürfe».

Ob die neue» Einrichtnnge» die Kosten, die sich für jede Handwerkskammer
etwa auf 5000 bis 6000 Mark für das Jahr belaufen würden, nnter allen Um¬
ständen sofort durch den Nutzen, den sie dem Handwerkerstande bringen, decken
würde», kann niemand vorhersagen. Für das Handwerk ist seit so langer Zeit
die notwendige Organisativnsarbeit versäumt worden, sodaß es ohne Frage
langer und gründlicher Arbeit bedürft» wird, die Schäden wieder abzustellen.
Wollten die Meister für diese Arbeit die paar Pfennige im Vierteljahr für
den Kopf verweigern, so würde» allerdings ihre Gegner Recht behalte», die
ihnen Mangel an Einsicht, Verzagtheit und trotzige Verbissenheit zum Vorwurf
machen und wegen dieser Eigenschaften ein baldiges unrühmliches Ende pro¬
phezeien.

Man hat nun in der Tagespresse wie in der Fachpresse gefragt, ob es
sich nicht empfehlen würde, die Ergebnisse der im Juli 1895 ausgeschriebnen
Berufs- oder Gewerbezählung oder noch besser der in Aussicht geuominnen
Erhebung über die Verhältnisse des Handwerkerstandes abzuwarten. Diese Frage
hat große Berechtigung. Die Entwicklung der Groß- und der Kleinbetriebe
ist im vollen Fluß. Die Statistik spielt aber in der Begründung und Be¬
urteilung mancher der vorzuschlagenden Maßnahmen eine entscheidende Rolle.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/222>, abgerufen am 13.05.2024.