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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

girren hat, daß jeder geschichtliche Fortschritt mit der Selbstbefreiung beginnen
muß. Nur wer sich so selbst befreit und den Kienbaum in seinen eignen vier
Wanden gebannt hat, nur der kann auch den Kienbaum, der in der roten
Schanze des deutschen Vaterlandes umgeht, heiße er nun Sozialismus oder
Svnderbnndelei, bannen und unschädlich machen.

Die große Errungenschaft des wissenschaftlichen Lebens im neunzehnten
Jahrhundert, die Idee der Entwicklung, und die große Frucht des politischen
Lebens im neunzehnten Jahrhundert, vie Idee des Nationalismus, hat so
Raabe in seineu Werken nicht nur lebensvoll verkörpert, sondern auch in lebens¬
volle Verbindung gesetzt, sodaß die eine dnrch die andre belebt, befruchtet, er¬
neuert wird. Heraus aus dem Herdeukasten öden Spießbürgertums, wie Stopf¬
kuchen! Heraus durch diesen Akt der Selbstbefreiung, der allein den ganzen,
freien Mann an den Tag kommen läßt! Und wer so selber frei ist, der ist
auch allem Gespenstergesindel und Geisterjanhagel in der deutschen Volksfamilie
gewachsen. Nicht Entwicklung und Nationalismus als zwei Parallelen neben
einander hergehen lassen, sondern sie mit einander vermählen, auf daß -- nicht
ein neues deutsches Reich aufgerichtet, sondern das alte ausgebaut werde,
damit sichs drin leben lasse zu aller Zeit wie auf der roten Schanze!

Wenn Naabes Bücher Hausbücher der deutschen Nation wären, man sollte
meinen, wir wären weiter ans diesem Wege.


Ldmund Streiter


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der neue Landwirtschaften inister.

Die Programmrede des Herrn
von Hammerstein-Loxten wird mit Recht von einigen Zeitungen als das wichtigste
unter den bisherigen Ereignissen der laufenden parlamentarischen "Kampagne" be¬
zeichnet. Registriren wir ihre Hauptgedanken. Der Minister bekennt sich als ent-
schiednen Gegner der Handelsverträge, hält aber dafür, daß nach Abschluß des
österreichischen die übrigen unvermeidlich gewesen seien. Und er sagt später: "Ist
denn die Agrarkrisis auf Preußen, auf Deutschland beschränkt? In Rußland, Eng¬
land, Frankreich, Österreich, Amerika, Italien finden Sie jetzt eine noch gefahr¬
drohendere Krisis als bei uns. Während sich bei uns die Zinsrückstände bei den
öffentlichen Kreditiustituten zwischen 2 und 6 Prozent bewegen, haben sie im
vorigen Jahre in jdem hochschntzzöllnerischen^ Rußland 65 Prozent betragen. Mag
in den genannten Ländern das prvtektionistische System oder das Monchestertum
maßgebend sein, überall dieselbe kritische Lage. Daraus ziehe ich den Schluß, daß
nicht seinzelnel Personen oder ein einzelnes wirtschaftliches System ein der Krisis
Schuld hat, soudern daß die Ursachen internationaler Natur sind, und daß die
Mittel zur Beseitigung der Krisis nicht so leicht zu ergreifen sind." (Hieraus geht


Maßgebliches und Unmaßgebliches

girren hat, daß jeder geschichtliche Fortschritt mit der Selbstbefreiung beginnen
muß. Nur wer sich so selbst befreit und den Kienbaum in seinen eignen vier
Wanden gebannt hat, nur der kann auch den Kienbaum, der in der roten
Schanze des deutschen Vaterlandes umgeht, heiße er nun Sozialismus oder
Svnderbnndelei, bannen und unschädlich machen.

Die große Errungenschaft des wissenschaftlichen Lebens im neunzehnten
Jahrhundert, die Idee der Entwicklung, und die große Frucht des politischen
Lebens im neunzehnten Jahrhundert, vie Idee des Nationalismus, hat so
Raabe in seineu Werken nicht nur lebensvoll verkörpert, sondern auch in lebens¬
volle Verbindung gesetzt, sodaß die eine dnrch die andre belebt, befruchtet, er¬
neuert wird. Heraus aus dem Herdeukasten öden Spießbürgertums, wie Stopf¬
kuchen! Heraus durch diesen Akt der Selbstbefreiung, der allein den ganzen,
freien Mann an den Tag kommen läßt! Und wer so selber frei ist, der ist
auch allem Gespenstergesindel und Geisterjanhagel in der deutschen Volksfamilie
gewachsen. Nicht Entwicklung und Nationalismus als zwei Parallelen neben
einander hergehen lassen, sondern sie mit einander vermählen, auf daß — nicht
ein neues deutsches Reich aufgerichtet, sondern das alte ausgebaut werde,
damit sichs drin leben lasse zu aller Zeit wie auf der roten Schanze!

Wenn Naabes Bücher Hausbücher der deutschen Nation wären, man sollte
meinen, wir wären weiter ans diesem Wege.


Ldmund Streiter


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der neue Landwirtschaften inister.

Die Programmrede des Herrn
von Hammerstein-Loxten wird mit Recht von einigen Zeitungen als das wichtigste
unter den bisherigen Ereignissen der laufenden parlamentarischen „Kampagne" be¬
zeichnet. Registriren wir ihre Hauptgedanken. Der Minister bekennt sich als ent-
schiednen Gegner der Handelsverträge, hält aber dafür, daß nach Abschluß des
österreichischen die übrigen unvermeidlich gewesen seien. Und er sagt später: „Ist
denn die Agrarkrisis auf Preußen, auf Deutschland beschränkt? In Rußland, Eng¬
land, Frankreich, Österreich, Amerika, Italien finden Sie jetzt eine noch gefahr¬
drohendere Krisis als bei uns. Während sich bei uns die Zinsrückstände bei den
öffentlichen Kreditiustituten zwischen 2 und 6 Prozent bewegen, haben sie im
vorigen Jahre in jdem hochschntzzöllnerischen^ Rußland 65 Prozent betragen. Mag
in den genannten Ländern das prvtektionistische System oder das Monchestertum
maßgebend sein, überall dieselbe kritische Lage. Daraus ziehe ich den Schluß, daß
nicht seinzelnel Personen oder ein einzelnes wirtschaftliches System ein der Krisis
Schuld hat, soudern daß die Ursachen internationaler Natur sind, und daß die
Mittel zur Beseitigung der Krisis nicht so leicht zu ergreifen sind." (Hieraus geht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/286>, abgerufen am 28.04.2024.