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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der streit der Fakultäten
2

alter Vogelfang, der junge Rechtsanwalt, wurde als Mann der
Realitäten dieses Lebens von vornherein mit mehr weitläufiger
Höflichkeit in Marienzelle aufgenommen, als den geistlichen
Herren bezeigt wurde; dafür mußte er freilich auch auf jede rein
menschliche Teilnahme verzichten. Ob er verheiratet, verlobt,
verliebt oder sonst irgend etwas sei, konnte diese Damen niemals interessiren,
er galt ihnen nur als Helfer in den Nöten dieser Welt, der für seiue Dienste
eigentlich mehr als angemessen bezahlt wurde, jedenfalls in guten Verhältnissen
lebte und einer im Grunde feindlichen Welt angehörte. Selbst seine Eigen¬
schaft als Reserveoffizier hätte sie. wen" sie sie auch gekannt hätten, nicht
milder stimmen können, da in ihrer Gesellschaftsordnung diese Charge keinen
Platz hatte und höchstens als unbequem und anspruchsvoll empfunden
und als Zeichen demokratischer Verwischung aller Unterschiede abgelehnt
worden wäre.

Der Rechtsanwalt war nun trotz mancher exklusiven Neigungen nicht der
Mann darnach, sich in diese Stimmungen hineinzudenken und sich darnach ein¬
zurichten. Mit naivem Selbstvertrauen setzte er bei allen, mit denen er ge¬
schäftlich oder gesellig zu thun hatte oder zusammenkam, die gleich günstige
Meinung von sich voraus, die er sich selbst allmählich gebildet hatte, und er
maß darnach das Interesse, das er erwartete. Er kam mit dieser Art
ziemlich weit. Eine eigentliche Mißstimmung im Verkehr konnte gar nicht
aufkommen, denn alle Schwierigkeiten räumte sein sieghaftes Wesen aus dem
Wege. Er wurde mit aller Welt fertig. Seine Klienten fanden an ihm
einen fast mitleidig gestimmten Berater; ihre hilflose Rechtskenntnis gab ihm
in jedem vorliegenden Falle eine begründete Überlegenheit, aber er übertrug
dieses unwillkürliche Gefühl auch auf Beziehungen, die mit dem Rechtsgebiete
nichts zu thun hatten. Er hatte einen ausgesprochnen Höhensinn; da ihm
aber geistig hochstehende Personen nicht in den Gesichtskreis kamen, weil es
deren überhaupt uicht viele giebt, und sie in der Kunst und Litteratur auf¬
zusuchen, ihm einfach die Zeit und nach einem angreifenden Arbeitstage auch




Der streit der Fakultäten
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alter Vogelfang, der junge Rechtsanwalt, wurde als Mann der
Realitäten dieses Lebens von vornherein mit mehr weitläufiger
Höflichkeit in Marienzelle aufgenommen, als den geistlichen
Herren bezeigt wurde; dafür mußte er freilich auch auf jede rein
menschliche Teilnahme verzichten. Ob er verheiratet, verlobt,
verliebt oder sonst irgend etwas sei, konnte diese Damen niemals interessiren,
er galt ihnen nur als Helfer in den Nöten dieser Welt, der für seiue Dienste
eigentlich mehr als angemessen bezahlt wurde, jedenfalls in guten Verhältnissen
lebte und einer im Grunde feindlichen Welt angehörte. Selbst seine Eigen¬
schaft als Reserveoffizier hätte sie. wen» sie sie auch gekannt hätten, nicht
milder stimmen können, da in ihrer Gesellschaftsordnung diese Charge keinen
Platz hatte und höchstens als unbequem und anspruchsvoll empfunden
und als Zeichen demokratischer Verwischung aller Unterschiede abgelehnt
worden wäre.

Der Rechtsanwalt war nun trotz mancher exklusiven Neigungen nicht der
Mann darnach, sich in diese Stimmungen hineinzudenken und sich darnach ein¬
zurichten. Mit naivem Selbstvertrauen setzte er bei allen, mit denen er ge¬
schäftlich oder gesellig zu thun hatte oder zusammenkam, die gleich günstige
Meinung von sich voraus, die er sich selbst allmählich gebildet hatte, und er
maß darnach das Interesse, das er erwartete. Er kam mit dieser Art
ziemlich weit. Eine eigentliche Mißstimmung im Verkehr konnte gar nicht
aufkommen, denn alle Schwierigkeiten räumte sein sieghaftes Wesen aus dem
Wege. Er wurde mit aller Welt fertig. Seine Klienten fanden an ihm
einen fast mitleidig gestimmten Berater; ihre hilflose Rechtskenntnis gab ihm
in jedem vorliegenden Falle eine begründete Überlegenheit, aber er übertrug
dieses unwillkürliche Gefühl auch auf Beziehungen, die mit dem Rechtsgebiete
nichts zu thun hatten. Er hatte einen ausgesprochnen Höhensinn; da ihm
aber geistig hochstehende Personen nicht in den Gesichtskreis kamen, weil es
deren überhaupt uicht viele giebt, und sie in der Kunst und Litteratur auf¬
zusuchen, ihm einfach die Zeit und nach einem angreifenden Arbeitstage auch


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[0327] [Abbildung] Der streit der Fakultäten 2 alter Vogelfang, der junge Rechtsanwalt, wurde als Mann der Realitäten dieses Lebens von vornherein mit mehr weitläufiger Höflichkeit in Marienzelle aufgenommen, als den geistlichen Herren bezeigt wurde; dafür mußte er freilich auch auf jede rein menschliche Teilnahme verzichten. Ob er verheiratet, verlobt, verliebt oder sonst irgend etwas sei, konnte diese Damen niemals interessiren, er galt ihnen nur als Helfer in den Nöten dieser Welt, der für seiue Dienste eigentlich mehr als angemessen bezahlt wurde, jedenfalls in guten Verhältnissen lebte und einer im Grunde feindlichen Welt angehörte. Selbst seine Eigen¬ schaft als Reserveoffizier hätte sie. wen» sie sie auch gekannt hätten, nicht milder stimmen können, da in ihrer Gesellschaftsordnung diese Charge keinen Platz hatte und höchstens als unbequem und anspruchsvoll empfunden und als Zeichen demokratischer Verwischung aller Unterschiede abgelehnt worden wäre. Der Rechtsanwalt war nun trotz mancher exklusiven Neigungen nicht der Mann darnach, sich in diese Stimmungen hineinzudenken und sich darnach ein¬ zurichten. Mit naivem Selbstvertrauen setzte er bei allen, mit denen er ge¬ schäftlich oder gesellig zu thun hatte oder zusammenkam, die gleich günstige Meinung von sich voraus, die er sich selbst allmählich gebildet hatte, und er maß darnach das Interesse, das er erwartete. Er kam mit dieser Art ziemlich weit. Eine eigentliche Mißstimmung im Verkehr konnte gar nicht aufkommen, denn alle Schwierigkeiten räumte sein sieghaftes Wesen aus dem Wege. Er wurde mit aller Welt fertig. Seine Klienten fanden an ihm einen fast mitleidig gestimmten Berater; ihre hilflose Rechtskenntnis gab ihm in jedem vorliegenden Falle eine begründete Überlegenheit, aber er übertrug dieses unwillkürliche Gefühl auch auf Beziehungen, die mit dem Rechtsgebiete nichts zu thun hatten. Er hatte einen ausgesprochnen Höhensinn; da ihm aber geistig hochstehende Personen nicht in den Gesichtskreis kamen, weil es deren überhaupt uicht viele giebt, und sie in der Kunst und Litteratur auf¬ zusuchen, ihm einfach die Zeit und nach einem angreifenden Arbeitstage auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/327>, abgerufen am 27.04.2024.