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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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t>er Streit der Fakultäten

meist die Genußfreudigkeit fehlte, fo zog es ihn zu den höher" Schichten der
Gesellschaft, in denen nicht fo offenkundig die beängstigende Sorge herrscht,
und wo Neid, Mißgunst, Geld- und Habgier verhüllt werden, Das Zählen
und Ausstreichen der Vordermänner und Gehaltsfragen zogen ihn nicht an,
da er in seiner selbständigen Stellung als Rechtsanwalt und Notar sein Vor¬
wärtskommen von andern Bedingungen abhängig wußte, Dienstgespräche schienen
ihm im Vergleich zu seinen mannichfachen Geschäften langweilig und nicht der
Mühe wert. Dennoch zog er den Umgang mit Beamten und Offizieren dem
Zusammensein mit Berufsgenossen vor, da er sein Leben nicht ganz vom Ge¬
schäftsgeist beherrschen lassen wollte. Der etwas üppigen Geselligkeit der An¬
wälte, Aufsichts- und Kommerzienräte vermochte er sich zwar nicht ganz zu ent¬
ziehen, um so weniger, als er als junger Mann von Aussichten ein beliebter
Adressat von reich ausgestatteten Einladuugskarten war und mancher jungen
Dame von Besitz und Bildung als Freier willkommen gewesen wäre. Diese
Beliebtheit ließ ihn nicht ganz gleichgiltig, wenn er es auch niemals zu¬
gestanden hätte.

Eine gewisse Eitelkeit war ihm im höhern Maße eigen, als zur Durch¬
führung des Lebens nötig ist. Sein Vater, ein Kaufmann in einer kleinen
Landstadt, und seine Mutter hatten diese Eigenschaft geradezu in ihm gro߬
gezogen. Schon als er geboren wurde, stand es bei ihnen fest, daß er zu
gut dazu sei, sein Leben nach der Art des Vaters zu führe" und das Geschäft
zu leiten, wo man nach gut kleinstädtischer Weise Kolonialwaren so gut wie
Leinen, Baumwolle, Eisen- und Kurzwaren kaufen konnte, und wo der spar¬
same Bauer auch seine kleinen und mit der Zeit auch seine größern Geld¬
geschäfte abzumachen sich gewöhnt hatte. Schon der für ihn gewählte Name
Walter entsprach der glänzenden Zukunft, für die er erzogen wurde. Seine
beiden ältern Schwestern blieben dagegen in dem althergebrachten Geleise, be¬
suchten die Rektorschule, lernten den Haushalt, konnten allenfalls einen
bescheidnen Rektor oder Apotheker heiraten, blieben aber in jedem Betracht
hinter dem herrlichen Jungen zurück, für den es nur el" Glück war, daß er
nicht durch nachfolgende Geburten vo" Brüdern entwertet wurde. Er bekam
früh, früher beinahe, als für seine Gemütsentwicklung gut war, die Freuden seiner
zukünftigen sozialen Sonderstellung in der Familie zu kosten, indem man ihn
teils bei dem Herrn Pastor, vorübergehend auch bei einem eigens angestellten
Hauslehrer, dessen Anwesenheit im Orte auch von einigen andern Zugehörigen
des goldnen Ringes der Kleinstadt zu Gunsten ihrer Jungen ausgenutzt wurde,
Privatunterricht erteilen ließ. Die Einrichtung mit dem Hauslehrer bewährte
sich nicht. Einmal war bei dessen wenig ehrgeizigen und mehr klebsamen Art
Gefahr vorhanden, daß er sich im Orte den Unterstützungswohnsitz erwerben
und auch schlimmsten Falls davon Gebrauch machen würde, sodann fürchtete
trotz dieser bedenklichen Beurteilung des Hausgenossen das Ehepaar Vogelsang


t>er Streit der Fakultäten

meist die Genußfreudigkeit fehlte, fo zog es ihn zu den höher» Schichten der
Gesellschaft, in denen nicht fo offenkundig die beängstigende Sorge herrscht,
und wo Neid, Mißgunst, Geld- und Habgier verhüllt werden, Das Zählen
und Ausstreichen der Vordermänner und Gehaltsfragen zogen ihn nicht an,
da er in seiner selbständigen Stellung als Rechtsanwalt und Notar sein Vor¬
wärtskommen von andern Bedingungen abhängig wußte, Dienstgespräche schienen
ihm im Vergleich zu seinen mannichfachen Geschäften langweilig und nicht der
Mühe wert. Dennoch zog er den Umgang mit Beamten und Offizieren dem
Zusammensein mit Berufsgenossen vor, da er sein Leben nicht ganz vom Ge¬
schäftsgeist beherrschen lassen wollte. Der etwas üppigen Geselligkeit der An¬
wälte, Aufsichts- und Kommerzienräte vermochte er sich zwar nicht ganz zu ent¬
ziehen, um so weniger, als er als junger Mann von Aussichten ein beliebter
Adressat von reich ausgestatteten Einladuugskarten war und mancher jungen
Dame von Besitz und Bildung als Freier willkommen gewesen wäre. Diese
Beliebtheit ließ ihn nicht ganz gleichgiltig, wenn er es auch niemals zu¬
gestanden hätte.

Eine gewisse Eitelkeit war ihm im höhern Maße eigen, als zur Durch¬
führung des Lebens nötig ist. Sein Vater, ein Kaufmann in einer kleinen
Landstadt, und seine Mutter hatten diese Eigenschaft geradezu in ihm gro߬
gezogen. Schon als er geboren wurde, stand es bei ihnen fest, daß er zu
gut dazu sei, sein Leben nach der Art des Vaters zu führe» und das Geschäft
zu leiten, wo man nach gut kleinstädtischer Weise Kolonialwaren so gut wie
Leinen, Baumwolle, Eisen- und Kurzwaren kaufen konnte, und wo der spar¬
same Bauer auch seine kleinen und mit der Zeit auch seine größern Geld¬
geschäfte abzumachen sich gewöhnt hatte. Schon der für ihn gewählte Name
Walter entsprach der glänzenden Zukunft, für die er erzogen wurde. Seine
beiden ältern Schwestern blieben dagegen in dem althergebrachten Geleise, be¬
suchten die Rektorschule, lernten den Haushalt, konnten allenfalls einen
bescheidnen Rektor oder Apotheker heiraten, blieben aber in jedem Betracht
hinter dem herrlichen Jungen zurück, für den es nur el» Glück war, daß er
nicht durch nachfolgende Geburten vo» Brüdern entwertet wurde. Er bekam
früh, früher beinahe, als für seine Gemütsentwicklung gut war, die Freuden seiner
zukünftigen sozialen Sonderstellung in der Familie zu kosten, indem man ihn
teils bei dem Herrn Pastor, vorübergehend auch bei einem eigens angestellten
Hauslehrer, dessen Anwesenheit im Orte auch von einigen andern Zugehörigen
des goldnen Ringes der Kleinstadt zu Gunsten ihrer Jungen ausgenutzt wurde,
Privatunterricht erteilen ließ. Die Einrichtung mit dem Hauslehrer bewährte
sich nicht. Einmal war bei dessen wenig ehrgeizigen und mehr klebsamen Art
Gefahr vorhanden, daß er sich im Orte den Unterstützungswohnsitz erwerben
und auch schlimmsten Falls davon Gebrauch machen würde, sodann fürchtete
trotz dieser bedenklichen Beurteilung des Hausgenossen das Ehepaar Vogelsang


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[0328] t>er Streit der Fakultäten meist die Genußfreudigkeit fehlte, fo zog es ihn zu den höher» Schichten der Gesellschaft, in denen nicht fo offenkundig die beängstigende Sorge herrscht, und wo Neid, Mißgunst, Geld- und Habgier verhüllt werden, Das Zählen und Ausstreichen der Vordermänner und Gehaltsfragen zogen ihn nicht an, da er in seiner selbständigen Stellung als Rechtsanwalt und Notar sein Vor¬ wärtskommen von andern Bedingungen abhängig wußte, Dienstgespräche schienen ihm im Vergleich zu seinen mannichfachen Geschäften langweilig und nicht der Mühe wert. Dennoch zog er den Umgang mit Beamten und Offizieren dem Zusammensein mit Berufsgenossen vor, da er sein Leben nicht ganz vom Ge¬ schäftsgeist beherrschen lassen wollte. Der etwas üppigen Geselligkeit der An¬ wälte, Aufsichts- und Kommerzienräte vermochte er sich zwar nicht ganz zu ent¬ ziehen, um so weniger, als er als junger Mann von Aussichten ein beliebter Adressat von reich ausgestatteten Einladuugskarten war und mancher jungen Dame von Besitz und Bildung als Freier willkommen gewesen wäre. Diese Beliebtheit ließ ihn nicht ganz gleichgiltig, wenn er es auch niemals zu¬ gestanden hätte. Eine gewisse Eitelkeit war ihm im höhern Maße eigen, als zur Durch¬ führung des Lebens nötig ist. Sein Vater, ein Kaufmann in einer kleinen Landstadt, und seine Mutter hatten diese Eigenschaft geradezu in ihm gro߬ gezogen. Schon als er geboren wurde, stand es bei ihnen fest, daß er zu gut dazu sei, sein Leben nach der Art des Vaters zu führe» und das Geschäft zu leiten, wo man nach gut kleinstädtischer Weise Kolonialwaren so gut wie Leinen, Baumwolle, Eisen- und Kurzwaren kaufen konnte, und wo der spar¬ same Bauer auch seine kleinen und mit der Zeit auch seine größern Geld¬ geschäfte abzumachen sich gewöhnt hatte. Schon der für ihn gewählte Name Walter entsprach der glänzenden Zukunft, für die er erzogen wurde. Seine beiden ältern Schwestern blieben dagegen in dem althergebrachten Geleise, be¬ suchten die Rektorschule, lernten den Haushalt, konnten allenfalls einen bescheidnen Rektor oder Apotheker heiraten, blieben aber in jedem Betracht hinter dem herrlichen Jungen zurück, für den es nur el» Glück war, daß er nicht durch nachfolgende Geburten vo» Brüdern entwertet wurde. Er bekam früh, früher beinahe, als für seine Gemütsentwicklung gut war, die Freuden seiner zukünftigen sozialen Sonderstellung in der Familie zu kosten, indem man ihn teils bei dem Herrn Pastor, vorübergehend auch bei einem eigens angestellten Hauslehrer, dessen Anwesenheit im Orte auch von einigen andern Zugehörigen des goldnen Ringes der Kleinstadt zu Gunsten ihrer Jungen ausgenutzt wurde, Privatunterricht erteilen ließ. Die Einrichtung mit dem Hauslehrer bewährte sich nicht. Einmal war bei dessen wenig ehrgeizigen und mehr klebsamen Art Gefahr vorhanden, daß er sich im Orte den Unterstützungswohnsitz erwerben und auch schlimmsten Falls davon Gebrauch machen würde, sodann fürchtete trotz dieser bedenklichen Beurteilung des Hausgenossen das Ehepaar Vogelsang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/328>, abgerufen am 11.05.2024.