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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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verstorbnen Lotze, der freilich von Haus aus Mediziner war, nahe, und schon dies
sollte ihn vor der Unterordnung unter Hegel schützen.

Unverkennbar ist er freilich als Dichter und Ästhetiker über die Schranken
eines exakten Positivismus hinaus vom Wissen zum Glauben fortgeschritten. Er
war übrigens nicht nur Dichter als Denker, sondern verdient auch als Dichter an
und für sich die Anerkennung der Nachwelt. Bei seiner großen Bescheidenheit hat
er selber auf seine 1883 uuter dem Titel "Agnes" veröffentlichte Auswahl von
Liebesliedern und Gedmikcndichtungen niemals großen Wert gelegt, nur Freunden
und Freundinnen wollte er dieses Buch gewidmet haben. Aber die Liebeslieder
sind einer echten und edeln Leidenschaft entsprungen, einer Leidenschaft, die nach
dem frühzeitigen Tode der Geliebten, seiner schon nach wenigen Jahren des reinsten
Eheglücks gestorbnen Gattin, einer Tochter des Chemikers Justus Liebig, in tiefem
Seelenschmerz ausgeklungen ist.

In erhabnen Gedankendichtungen, in denen es ihm gelingt, seiner versöhnenden
Weltanschauung formvollendeten Ausdruck zu geben, hat er dann diesen Schmerz,
wenn auch wohl nie völlig überwunden, so doch geadelt. Als Gedankendichtcr
verdient er einen hervorragenden Platz in der Litteraturgeschichte. Die erste Strophe
seiner "Hhmne" mag zur Nachprüfung meines Urteils wenigstens anregein

Wie er aber in allen seinen Schriften erscheint als eine harmonische und
vornehme liebenswürdige Persönlichkeit, so bezeugte er sich auch im Leben alleu,
die mit ihm, und sei es auch nur aus der Ferne und brieflich, in Verkehr traten.
Aus einem seiner Briefe an mich will ich zum Schluß folgende Äußerung mit¬
teilen: "Was Sie von der Bedeutung sagen, welche die sittliche Weltordnung und
andre Bücher für ringende Seelen tröst- und lichtspendend gewonnen, gehört zu
den Stimmen, die ich manchmal vernehme, und die mich dafür trösten müssen, daß
der offiziellen und fachgenössischen Anerkennung gar nichts oder sehr wenig ist.
Ob die Nachwelt wirklich das wieder gutmachen wird? Ich habe gesucht, meine
Pflicht zu thun, und das andre Gott überlassen."


L. Auhlenbeck
Ein Wort in eigner Sache.

Der Aufsatz über die "Disziplin der Richter"
in Heft 46 der vorjährigen Grenzboten erwähnt auch das Disziplinarverfahren,
das vor einigen Monaten gegen mich durchgeführt worden ist und mit meiner
schimpflichen Entlassung geendet hat. Der Aufsatz sagt: "Die öffentliche Meinung
in Deutschland zeigt in Fragen, die es nicht unmittelbar mit der leidigen Politik
zu thun haben, gottlob immer noch eine erfreuliche Übereinstimmung über das,
was Recht und Unrecht ist. Dies hat eben erst wieder der Leistische Disziplinar-
prozeß bewiesen. Sie war sich auch im Pfizerischen Fall darüber klar, daß die


verstorbnen Lotze, der freilich von Haus aus Mediziner war, nahe, und schon dies
sollte ihn vor der Unterordnung unter Hegel schützen.

Unverkennbar ist er freilich als Dichter und Ästhetiker über die Schranken
eines exakten Positivismus hinaus vom Wissen zum Glauben fortgeschritten. Er
war übrigens nicht nur Dichter als Denker, sondern verdient auch als Dichter an
und für sich die Anerkennung der Nachwelt. Bei seiner großen Bescheidenheit hat
er selber auf seine 1883 uuter dem Titel „Agnes" veröffentlichte Auswahl von
Liebesliedern und Gedmikcndichtungen niemals großen Wert gelegt, nur Freunden
und Freundinnen wollte er dieses Buch gewidmet haben. Aber die Liebeslieder
sind einer echten und edeln Leidenschaft entsprungen, einer Leidenschaft, die nach
dem frühzeitigen Tode der Geliebten, seiner schon nach wenigen Jahren des reinsten
Eheglücks gestorbnen Gattin, einer Tochter des Chemikers Justus Liebig, in tiefem
Seelenschmerz ausgeklungen ist.

In erhabnen Gedankendichtungen, in denen es ihm gelingt, seiner versöhnenden
Weltanschauung formvollendeten Ausdruck zu geben, hat er dann diesen Schmerz,
wenn auch wohl nie völlig überwunden, so doch geadelt. Als Gedankendichtcr
verdient er einen hervorragenden Platz in der Litteraturgeschichte. Die erste Strophe
seiner „Hhmne" mag zur Nachprüfung meines Urteils wenigstens anregein

Wie er aber in allen seinen Schriften erscheint als eine harmonische und
vornehme liebenswürdige Persönlichkeit, so bezeugte er sich auch im Leben alleu,
die mit ihm, und sei es auch nur aus der Ferne und brieflich, in Verkehr traten.
Aus einem seiner Briefe an mich will ich zum Schluß folgende Äußerung mit¬
teilen: „Was Sie von der Bedeutung sagen, welche die sittliche Weltordnung und
andre Bücher für ringende Seelen tröst- und lichtspendend gewonnen, gehört zu
den Stimmen, die ich manchmal vernehme, und die mich dafür trösten müssen, daß
der offiziellen und fachgenössischen Anerkennung gar nichts oder sehr wenig ist.
Ob die Nachwelt wirklich das wieder gutmachen wird? Ich habe gesucht, meine
Pflicht zu thun, und das andre Gott überlassen."


L. Auhlenbeck
Ein Wort in eigner Sache.

Der Aufsatz über die „Disziplin der Richter"
in Heft 46 der vorjährigen Grenzboten erwähnt auch das Disziplinarverfahren,
das vor einigen Monaten gegen mich durchgeführt worden ist und mit meiner
schimpflichen Entlassung geendet hat. Der Aufsatz sagt: „Die öffentliche Meinung
in Deutschland zeigt in Fragen, die es nicht unmittelbar mit der leidigen Politik
zu thun haben, gottlob immer noch eine erfreuliche Übereinstimmung über das,
was Recht und Unrecht ist. Dies hat eben erst wieder der Leistische Disziplinar-
prozeß bewiesen. Sie war sich auch im Pfizerischen Fall darüber klar, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/398>, abgerufen am 27.04.2024.