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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Aus einer kleinen Lake

Ruhm geleistet. Aber die ununterbrochne Reklame ist doch erst heute möglich
und gewöhnlich geworden. Wenn ich bedenke, wie Mörike seine einzigen Lieder
für sich und seine wenigen Freunde sang, wie Otto Ludwig nicht müde wurde,
fertige Stücke immer und immer wieder umzuschmelzen, wie Hebbel ein Drama
wie "Gyges und sein Ring" resignirt in den Kasten legte, wie noch Gottfried
Keller fünfzehn Jahre lang den Stadtschreiber in Zürich machte, ohne um
seinen dichterischen Nuhm allzu sehr besorgt zu sein -- nein, es waren doch
bessere Zeiten und andre Menschen. Als Sudermanns "Schmetterlingsschlacht"
durchfiel, da wagte einer seiner Anhänger von dem "großen Moment, der ein
kleines Geschlecht finde," zu reden! Ich verdenke es dem Dichter gewiß nicht,
wenn er nicht länger in das sagenhafte Poetenstüblein gebannt sein will und
auf den Markt hinaufstrebt, wo der Kampf der Meinungen und Ideen aus¬
gefochten wird. Es ist möglich, daß eine große Kunst nur im bewegten Leben
gedeiht. Aber braucht der bedeutende Dichter Trabanten und Sykophanten,
ist ihm der Hervorruf auf der Bühne und das stete Paradiren unter dem
Strich der Zeitungen Lebensbedürfnis? Ich habe kein Vertrauen zu einer Kunst,
die ein Bündnis mit dem Geschäft schließt, und schwöre nach wie vor zu dem
Spruche: "Reif sein ist alles!"

Man wird wohl gemerkt haben, daß das einer geschrieben hat, der noch
keinen Erfolg gehabt hat. Ja ja. Unerreichbare Trauben sind sauer, und
der Franzose hat schon Recht, wenn er sagt: Kiön r0v.88it, vus 1s sueevs.




Aus einer kleinen Lake

n der That, wenn unsereins durch seine einzige Brille, das
heißt durch die Zeitung, in die große Welt hinausblickt, so
überläuft ihn ein Schauer nach dem andern. Kann es eigentlich
noch schlechter werden in unserm unglücklichen Vaterland ins¬
besondre und in der ganzen Welt am Ende des neunzehnten
Jahrhunderts im allgemeinen? Zunächst einmal das Vaterland. Daß wir
"Epigonen" sind, was in gewöhnlichem Deutsch sagen will: daß die Zeit der
großen Thaten zur Geschichte unsrer Väter gehört und wir im großen und
ganzen nur für die Festigkeit des Geldschranks zu sorgen haben, in denen
die Erwerbungen unsrer Väter aufbewahrt werden, daß gewaltige Gestalten
zur Zeit nicht auf dein Vordergrunde der Bühne umherwandeln -- das ist
doch wahr. Und daß sich ringsum Kräfte regen, die absichtlich oder unab-


Aus einer kleinen Lake

Ruhm geleistet. Aber die ununterbrochne Reklame ist doch erst heute möglich
und gewöhnlich geworden. Wenn ich bedenke, wie Mörike seine einzigen Lieder
für sich und seine wenigen Freunde sang, wie Otto Ludwig nicht müde wurde,
fertige Stücke immer und immer wieder umzuschmelzen, wie Hebbel ein Drama
wie „Gyges und sein Ring" resignirt in den Kasten legte, wie noch Gottfried
Keller fünfzehn Jahre lang den Stadtschreiber in Zürich machte, ohne um
seinen dichterischen Nuhm allzu sehr besorgt zu sein — nein, es waren doch
bessere Zeiten und andre Menschen. Als Sudermanns „Schmetterlingsschlacht"
durchfiel, da wagte einer seiner Anhänger von dem „großen Moment, der ein
kleines Geschlecht finde," zu reden! Ich verdenke es dem Dichter gewiß nicht,
wenn er nicht länger in das sagenhafte Poetenstüblein gebannt sein will und
auf den Markt hinaufstrebt, wo der Kampf der Meinungen und Ideen aus¬
gefochten wird. Es ist möglich, daß eine große Kunst nur im bewegten Leben
gedeiht. Aber braucht der bedeutende Dichter Trabanten und Sykophanten,
ist ihm der Hervorruf auf der Bühne und das stete Paradiren unter dem
Strich der Zeitungen Lebensbedürfnis? Ich habe kein Vertrauen zu einer Kunst,
die ein Bündnis mit dem Geschäft schließt, und schwöre nach wie vor zu dem
Spruche: „Reif sein ist alles!"

Man wird wohl gemerkt haben, daß das einer geschrieben hat, der noch
keinen Erfolg gehabt hat. Ja ja. Unerreichbare Trauben sind sauer, und
der Franzose hat schon Recht, wenn er sagt: Kiön r0v.88it, vus 1s sueevs.




Aus einer kleinen Lake

n der That, wenn unsereins durch seine einzige Brille, das
heißt durch die Zeitung, in die große Welt hinausblickt, so
überläuft ihn ein Schauer nach dem andern. Kann es eigentlich
noch schlechter werden in unserm unglücklichen Vaterland ins¬
besondre und in der ganzen Welt am Ende des neunzehnten
Jahrhunderts im allgemeinen? Zunächst einmal das Vaterland. Daß wir
„Epigonen" sind, was in gewöhnlichem Deutsch sagen will: daß die Zeit der
großen Thaten zur Geschichte unsrer Väter gehört und wir im großen und
ganzen nur für die Festigkeit des Geldschranks zu sorgen haben, in denen
die Erwerbungen unsrer Väter aufbewahrt werden, daß gewaltige Gestalten
zur Zeit nicht auf dein Vordergrunde der Bühne umherwandeln — das ist
doch wahr. Und daß sich ringsum Kräfte regen, die absichtlich oder unab-


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[0486] Aus einer kleinen Lake Ruhm geleistet. Aber die ununterbrochne Reklame ist doch erst heute möglich und gewöhnlich geworden. Wenn ich bedenke, wie Mörike seine einzigen Lieder für sich und seine wenigen Freunde sang, wie Otto Ludwig nicht müde wurde, fertige Stücke immer und immer wieder umzuschmelzen, wie Hebbel ein Drama wie „Gyges und sein Ring" resignirt in den Kasten legte, wie noch Gottfried Keller fünfzehn Jahre lang den Stadtschreiber in Zürich machte, ohne um seinen dichterischen Nuhm allzu sehr besorgt zu sein — nein, es waren doch bessere Zeiten und andre Menschen. Als Sudermanns „Schmetterlingsschlacht" durchfiel, da wagte einer seiner Anhänger von dem „großen Moment, der ein kleines Geschlecht finde," zu reden! Ich verdenke es dem Dichter gewiß nicht, wenn er nicht länger in das sagenhafte Poetenstüblein gebannt sein will und auf den Markt hinaufstrebt, wo der Kampf der Meinungen und Ideen aus¬ gefochten wird. Es ist möglich, daß eine große Kunst nur im bewegten Leben gedeiht. Aber braucht der bedeutende Dichter Trabanten und Sykophanten, ist ihm der Hervorruf auf der Bühne und das stete Paradiren unter dem Strich der Zeitungen Lebensbedürfnis? Ich habe kein Vertrauen zu einer Kunst, die ein Bündnis mit dem Geschäft schließt, und schwöre nach wie vor zu dem Spruche: „Reif sein ist alles!" Man wird wohl gemerkt haben, daß das einer geschrieben hat, der noch keinen Erfolg gehabt hat. Ja ja. Unerreichbare Trauben sind sauer, und der Franzose hat schon Recht, wenn er sagt: Kiön r0v.88it, vus 1s sueevs. Aus einer kleinen Lake n der That, wenn unsereins durch seine einzige Brille, das heißt durch die Zeitung, in die große Welt hinausblickt, so überläuft ihn ein Schauer nach dem andern. Kann es eigentlich noch schlechter werden in unserm unglücklichen Vaterland ins¬ besondre und in der ganzen Welt am Ende des neunzehnten Jahrhunderts im allgemeinen? Zunächst einmal das Vaterland. Daß wir „Epigonen" sind, was in gewöhnlichem Deutsch sagen will: daß die Zeit der großen Thaten zur Geschichte unsrer Väter gehört und wir im großen und ganzen nur für die Festigkeit des Geldschranks zu sorgen haben, in denen die Erwerbungen unsrer Väter aufbewahrt werden, daß gewaltige Gestalten zur Zeit nicht auf dein Vordergrunde der Bühne umherwandeln — das ist doch wahr. Und daß sich ringsum Kräfte regen, die absichtlich oder unab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/486>, abgerufen am 28.04.2024.