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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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sichtlich dem Reiche Schaden bringen, daß sie sogar vielfach zunehmen, wer
leugnet das? Die Sozialdemokraten haben ja schon 46 Abgeordnete im
Reichstag -- es fehle" ihnen also nnr noch 153 zur "absoluten Majorität"!
Und ist die erst da -- dann wird eben allen alles genommen, damit allen
alles gegeben werden kaun. Dann ist kein Mensch keines Dinges mehr sicher --
der allgemeinen Sicherheit wegen. Und die vom Zentrum -- die Habens doch
nie gut mit uns gemeint; und wenn jeder von ihnen seinen Schlafrock hat
wie der allergetreueste Regierungsfreund, so ist das nur Arglist, damit sie
uns über ihre Absichten irreführen können; unter den Schafspelzen stecken doch
die Wölfe! Was sich nun aber gar "f. Vgg.." "f. Vp." und "öd. Vp."
schreibt, wenn die soviel Macht hätten wie Redefluß, dann könnte wohl alle
Welt vor lauter Freiheit betteln gehen! Und wenn man deren Äußerungen
liest, so erfährt man, daß das gräßliche Ungetüm, das sich in seinem Stolz
"Bund der Landwirte" nennt, drauf und dran ist, allen andern Staatsbürgern
nicht nur alle Nahrung zu nehmen, sondern ihnen auch die Daseinsberechtigung
abzusprechen oder sie mindestens zu seinen Knechten zu erniedrigen, wie einst
im Mittelalter die wenigstens doch noch von Angesicht schönen Damen alle
die eisenrasselndcn Ritter. Die "Kapitalisten" aber, die nichts thun als dem
lieben Vaterland und besonders den unglücklichen Arbeitern alles Mark aus¬
saugen und es täglich in luxuriösen Gastmählern Verschweigen -- und ihnen
gegenüber die abenteuerlichen Antisemiten, die, sowie sie nur den Mund auf¬
thun, lügen und schimpfen -- wie froh kann der sein, der zwischen diesen
beiden nicht den bessern auszuwählen hat! Was bleibt aber dann noch von
Politikern? Liebedienerische Ämter- und Geldjäger, denen der Paletot ihrer
Überzeugung durch jeden wechselnden Windstoß "von oben" umgedreht wird,
rohe Vergewaltiger des edeln Polentums einerseits und unduldsame, brand¬
stifterische Polen, Dänen und Franzosen andrerseits, zwischen denen der arme
Deutsche seinem Leibe keinen Rat weiß, Beamte, deren Gesichtskreis nur vom
Aktenschrank in der einen Ecke ihres Zimmers bis zum Pfeifenständer in der
andern reicht, und die deshalb vom Volk jederzeit das allerunmöglichste ver¬
langen, bis es vor Qual aufschreit, wofür es dann in Ungebührstrafe ge¬
nommen wird, Stimmvieh, das selbst zu dumm ist, einzusehen, daß es un¬
glücklich ist, und endlich Leute von einiger moralischer Achtbarkeit, die aber
leider durch das fortwährende Hinstarren auf eine große Vergangenheit das
gesunde Augenlicht verloren haben und nun vor lauter Sonne die Flecken
nicht sehen können, daher in trügerischer Zufriedenheit hindämmern, ohne zu
merken, daß der alles zerschmetternde Krach vor der Thüre steht! Ja, so
schildert man meine lieben guten deutschen Landsleute, deren Tugenden von
dem Pessimisten Tacitus bis auf die heutigen türkischen, chinesischen und
japanischen Staatsmänner so viele Stimmen gerühmt haben! Wehe, wehe,
wehe! Wo ist Deutschlands moralische Kraft, seine Bravheit, seine Vater-


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sichtlich dem Reiche Schaden bringen, daß sie sogar vielfach zunehmen, wer
leugnet das? Die Sozialdemokraten haben ja schon 46 Abgeordnete im
Reichstag — es fehle» ihnen also nnr noch 153 zur „absoluten Majorität"!
Und ist die erst da — dann wird eben allen alles genommen, damit allen
alles gegeben werden kaun. Dann ist kein Mensch keines Dinges mehr sicher —
der allgemeinen Sicherheit wegen. Und die vom Zentrum — die Habens doch
nie gut mit uns gemeint; und wenn jeder von ihnen seinen Schlafrock hat
wie der allergetreueste Regierungsfreund, so ist das nur Arglist, damit sie
uns über ihre Absichten irreführen können; unter den Schafspelzen stecken doch
die Wölfe! Was sich nun aber gar „f. Vgg.." „f. Vp." und „öd. Vp."
schreibt, wenn die soviel Macht hätten wie Redefluß, dann könnte wohl alle
Welt vor lauter Freiheit betteln gehen! Und wenn man deren Äußerungen
liest, so erfährt man, daß das gräßliche Ungetüm, das sich in seinem Stolz
»Bund der Landwirte" nennt, drauf und dran ist, allen andern Staatsbürgern
nicht nur alle Nahrung zu nehmen, sondern ihnen auch die Daseinsberechtigung
abzusprechen oder sie mindestens zu seinen Knechten zu erniedrigen, wie einst
im Mittelalter die wenigstens doch noch von Angesicht schönen Damen alle
die eisenrasselndcn Ritter. Die „Kapitalisten" aber, die nichts thun als dem
lieben Vaterland und besonders den unglücklichen Arbeitern alles Mark aus¬
saugen und es täglich in luxuriösen Gastmählern Verschweigen — und ihnen
gegenüber die abenteuerlichen Antisemiten, die, sowie sie nur den Mund auf¬
thun, lügen und schimpfen — wie froh kann der sein, der zwischen diesen
beiden nicht den bessern auszuwählen hat! Was bleibt aber dann noch von
Politikern? Liebedienerische Ämter- und Geldjäger, denen der Paletot ihrer
Überzeugung durch jeden wechselnden Windstoß „von oben" umgedreht wird,
rohe Vergewaltiger des edeln Polentums einerseits und unduldsame, brand¬
stifterische Polen, Dänen und Franzosen andrerseits, zwischen denen der arme
Deutsche seinem Leibe keinen Rat weiß, Beamte, deren Gesichtskreis nur vom
Aktenschrank in der einen Ecke ihres Zimmers bis zum Pfeifenständer in der
andern reicht, und die deshalb vom Volk jederzeit das allerunmöglichste ver¬
langen, bis es vor Qual aufschreit, wofür es dann in Ungebührstrafe ge¬
nommen wird, Stimmvieh, das selbst zu dumm ist, einzusehen, daß es un¬
glücklich ist, und endlich Leute von einiger moralischer Achtbarkeit, die aber
leider durch das fortwährende Hinstarren auf eine große Vergangenheit das
gesunde Augenlicht verloren haben und nun vor lauter Sonne die Flecken
nicht sehen können, daher in trügerischer Zufriedenheit hindämmern, ohne zu
merken, daß der alles zerschmetternde Krach vor der Thüre steht! Ja, so
schildert man meine lieben guten deutschen Landsleute, deren Tugenden von
dem Pessimisten Tacitus bis auf die heutigen türkischen, chinesischen und
japanischen Staatsmänner so viele Stimmen gerühmt haben! Wehe, wehe,
wehe! Wo ist Deutschlands moralische Kraft, seine Bravheit, seine Vater-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/487>, abgerufen am 12.05.2024.