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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Ans der Geschichte der deutschen Studentensprache

der bildenden Künste in Wien; alle einzelnen Glieder des Baues wird das
große Werk, das bei Holder in Wien erscheint, den Altertumssreunden vor¬
führen. Außerdem geht, wie Tönnchen berichtet, die rumänische Negierung
damit um, womöglich das ganze Denkmal in Bukarest in seiner urspünglichen
Schönheit wieder aufzubauen. Möge auch dieses Unternehmen gelingen und
als ein Zeichen dafür gelten, welchen Segen ein aufstrebendes Volk aus der
treuen Bewahrung seiner geschichtlichen Erinnerungen und Vermächtnisse
ziehen kann.


Otto Eduard Schmidt


Aus der Geschichte der deutschen Studentensprache

L'^TBM'"
^sM.er sich um die Geschichte der deutschen Sprache bemüht, weiß,
wie wichtig für die Entwicklung und das wechselnde Bild der
Gemeinsprache allezeit die Sondersprachen gewisser Lebenskreise
gewesen sind. Zu einem guten Teil besteht ja die Geschichte der
Gemeinsprache eben darin, daß Fachausdrücke bestimmter Arbeits¬
gebiete, Wendungen und Redensarten einzelner Berufs- und Gesellschaftsschichten
Gemeingut der nationalen Sprache geworden sind. Welch reiches Sprachgut
verdanken wir der materiellen wie der geistigen Kultur des mittelalterlichen
Klerus, namentlich der Klöster! Die Blütezeit des Rittertums, die religiöse
Gedankenwelt der Mystiker, die goldnen Tage des städtischen Handwerks zu
Ausgange des Mittelalters umglänzcn für den Kenner der Sprachgeschichte
noch manchen heute verblaßten Begriff, der bei ihnen entsprungen und bei ihnen
allein eine Zeit lang heimisch gewesen ist. Biblische Worte und Wendungen
sind Eigentum der Gemeinsprache geworden in dem Maße, wie die Reformation
ihre Kreise immer weiter zog, und neben ihnen leben bis auf unsre Tage,
gleichfalls Kinder jenes religiös erregten Zeitalters, Reste eines Glaubens an
den leibhaftigen Satanas und an tausend andre Teufel in der Sprache fort.
Es entstand eine Juristensprache, eine Soldatensprache und andre Berufs¬
sprachen, und aus allen sickerte es in die Gemeinsprache herüber.

Zu den jüngsten Erscheinungen dieser Art gehört die Studentensprache.
Nicht als ob sie selbst durchaus ein junges Gebilde wäre; aber ihre Ein¬
wirkung auf die gemeine Sprache wird nicht viel älter als 150 Jahre sein.
Erst Günthers Lieder, Zachariaes Renommist, Bürgers Gedichte, die Szene in
Auerbachs Keller haben studentische Lebensart und Denkweise auch dort bekannt
gemacht, wo sie nicht zu Hause war; und um dieselbe Zeit, wo die ersten


Ans der Geschichte der deutschen Studentensprache

der bildenden Künste in Wien; alle einzelnen Glieder des Baues wird das
große Werk, das bei Holder in Wien erscheint, den Altertumssreunden vor¬
führen. Außerdem geht, wie Tönnchen berichtet, die rumänische Negierung
damit um, womöglich das ganze Denkmal in Bukarest in seiner urspünglichen
Schönheit wieder aufzubauen. Möge auch dieses Unternehmen gelingen und
als ein Zeichen dafür gelten, welchen Segen ein aufstrebendes Volk aus der
treuen Bewahrung seiner geschichtlichen Erinnerungen und Vermächtnisse
ziehen kann.


Otto Eduard Schmidt


Aus der Geschichte der deutschen Studentensprache

L'^TBM'»
^sM.er sich um die Geschichte der deutschen Sprache bemüht, weiß,
wie wichtig für die Entwicklung und das wechselnde Bild der
Gemeinsprache allezeit die Sondersprachen gewisser Lebenskreise
gewesen sind. Zu einem guten Teil besteht ja die Geschichte der
Gemeinsprache eben darin, daß Fachausdrücke bestimmter Arbeits¬
gebiete, Wendungen und Redensarten einzelner Berufs- und Gesellschaftsschichten
Gemeingut der nationalen Sprache geworden sind. Welch reiches Sprachgut
verdanken wir der materiellen wie der geistigen Kultur des mittelalterlichen
Klerus, namentlich der Klöster! Die Blütezeit des Rittertums, die religiöse
Gedankenwelt der Mystiker, die goldnen Tage des städtischen Handwerks zu
Ausgange des Mittelalters umglänzcn für den Kenner der Sprachgeschichte
noch manchen heute verblaßten Begriff, der bei ihnen entsprungen und bei ihnen
allein eine Zeit lang heimisch gewesen ist. Biblische Worte und Wendungen
sind Eigentum der Gemeinsprache geworden in dem Maße, wie die Reformation
ihre Kreise immer weiter zog, und neben ihnen leben bis auf unsre Tage,
gleichfalls Kinder jenes religiös erregten Zeitalters, Reste eines Glaubens an
den leibhaftigen Satanas und an tausend andre Teufel in der Sprache fort.
Es entstand eine Juristensprache, eine Soldatensprache und andre Berufs¬
sprachen, und aus allen sickerte es in die Gemeinsprache herüber.

Zu den jüngsten Erscheinungen dieser Art gehört die Studentensprache.
Nicht als ob sie selbst durchaus ein junges Gebilde wäre; aber ihre Ein¬
wirkung auf die gemeine Sprache wird nicht viel älter als 150 Jahre sein.
Erst Günthers Lieder, Zachariaes Renommist, Bürgers Gedichte, die Szene in
Auerbachs Keller haben studentische Lebensart und Denkweise auch dort bekannt
gemacht, wo sie nicht zu Hause war; und um dieselbe Zeit, wo die ersten


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[0588] Ans der Geschichte der deutschen Studentensprache der bildenden Künste in Wien; alle einzelnen Glieder des Baues wird das große Werk, das bei Holder in Wien erscheint, den Altertumssreunden vor¬ führen. Außerdem geht, wie Tönnchen berichtet, die rumänische Negierung damit um, womöglich das ganze Denkmal in Bukarest in seiner urspünglichen Schönheit wieder aufzubauen. Möge auch dieses Unternehmen gelingen und als ein Zeichen dafür gelten, welchen Segen ein aufstrebendes Volk aus der treuen Bewahrung seiner geschichtlichen Erinnerungen und Vermächtnisse ziehen kann. Otto Eduard Schmidt Aus der Geschichte der deutschen Studentensprache L'^TBM'» ^sM.er sich um die Geschichte der deutschen Sprache bemüht, weiß, wie wichtig für die Entwicklung und das wechselnde Bild der Gemeinsprache allezeit die Sondersprachen gewisser Lebenskreise gewesen sind. Zu einem guten Teil besteht ja die Geschichte der Gemeinsprache eben darin, daß Fachausdrücke bestimmter Arbeits¬ gebiete, Wendungen und Redensarten einzelner Berufs- und Gesellschaftsschichten Gemeingut der nationalen Sprache geworden sind. Welch reiches Sprachgut verdanken wir der materiellen wie der geistigen Kultur des mittelalterlichen Klerus, namentlich der Klöster! Die Blütezeit des Rittertums, die religiöse Gedankenwelt der Mystiker, die goldnen Tage des städtischen Handwerks zu Ausgange des Mittelalters umglänzcn für den Kenner der Sprachgeschichte noch manchen heute verblaßten Begriff, der bei ihnen entsprungen und bei ihnen allein eine Zeit lang heimisch gewesen ist. Biblische Worte und Wendungen sind Eigentum der Gemeinsprache geworden in dem Maße, wie die Reformation ihre Kreise immer weiter zog, und neben ihnen leben bis auf unsre Tage, gleichfalls Kinder jenes religiös erregten Zeitalters, Reste eines Glaubens an den leibhaftigen Satanas und an tausend andre Teufel in der Sprache fort. Es entstand eine Juristensprache, eine Soldatensprache und andre Berufs¬ sprachen, und aus allen sickerte es in die Gemeinsprache herüber. Zu den jüngsten Erscheinungen dieser Art gehört die Studentensprache. Nicht als ob sie selbst durchaus ein junges Gebilde wäre; aber ihre Ein¬ wirkung auf die gemeine Sprache wird nicht viel älter als 150 Jahre sein. Erst Günthers Lieder, Zachariaes Renommist, Bürgers Gedichte, die Szene in Auerbachs Keller haben studentische Lebensart und Denkweise auch dort bekannt gemacht, wo sie nicht zu Hause war; und um dieselbe Zeit, wo die ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/588>, abgerufen am 28.04.2024.