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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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A"s der Geschichte der deutschen Studentensprache

künstlerischen Erzeugnisse modernen studentischen Geistes den Weg hinaus über
die Schranken ihrer Gesellschaft gefunden haben, hat auch erst ihre natur¬
wüchsigere Stiefschwester, die Studentensprache, diesen Weg eingeschlagen.*)

Aus der Entwicklung des Vurschentums ragen die Ausgänge des zwölften,
des fünfzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts hervor. Als Friedrich der
Rotbart deutscher Kaiser war, um die Zeit, wo Sultan Saladin Jerusalem
eroberte, da wurde ganz Deutschland und Welschland unsicher gemacht durch
das lockere Volk der fahrenden Kleriker, der bettelnden, singenden, fechtenden,
zechenden Vaganten. Für die geistlichen Weihen bestimmt, hielten sie es doch
nur mit Mühe den Winter über in der Klosterschule aus. Sobald der Früh¬
ling kam, machten sie sich aus dem Staube und wurden Kinder der Welt, in
vollen Zügen Lust und Leid des Lebens draußen übermütig genießend. Unter
ihnen zog auch ein dichterisches Genie von Hof zu Hofe, von einem Kloster
zum andern, das sich selber M<Mxosw, ErzPoet, genannt hat, ein Zecher und
Sänger vor dem Herrn wie wenige wieder. Von ihm stammt das uuvergüng-
liche Nsurri sse xroposiwm in tavern-i. wori,, aus seinem Kreise die ältesten
Teile des (Fauäsg-irms ig'lor, und in der Runde dieser Gesellen erklang auch
schon: LrZo oibsMus! Ihre Zunftsprache war natürlich das Lateinische, und
zwar ein Latein, das oft an Ovid, bisweilen an Vergil und an Horciz an¬
klingt, sehr vieles darin stammt auch aus der Bibel. Mitunter warfen sie
auch deutsche Brocken ein, und wie ein Vorläufer des spätern Sprachgcmeuges
des Burschenjargous klingt es, wenn einer von ihnen einmal gegen die geizigen
Pfaffen loswettert:


Da? si äsr klopft aUs orslalis!
se ub in Avvum xors"ut!
-l,vo/, s,on>^, s,Jon ÄVÄnt!

?ör"zg.ut! ?<zrsu.ut lMg.<Z68, versiuit, se tenu-vos! so schallt es bald trotzig,
bald halb feierlich, halb spöttisch aus manchem ihrer Lieder und Spiele, und
wenn der Wein und die Würfel die Runde machen sollen, ertönt der Ruf:


?uns Hierum et) tAios, xorsg-t <mi orastins. vurot!

Kein Zweifel: das studentische Pereiren des achtzehnten Jahrhunderts geht
bis in die Zeiten dieses Vagantentums zurück. Sollte es das einzige Überbleibsel
aus jenen Jugendtagen des Burschenlebens sein?

Erst um die Wende des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts taucht
die nasse Sekte wieder häufiger auf, aber ihre Überlieferungen werden deshalb



*) Daß die Bewegung noch nicht zum Stehen gekommen ist, zeigen jeden Tag unsre
Reichstagsredner, zeigt eine Einrichtung wie der "Seniorenkonvent" eben auch im Reichstage
und die bürgerlichen "Kommerse," zu denen sich ergrauende, keineswegs immer akademisch
gebildete Männer zusammenfinden. Und wer wollte das beklagen? In der Studentensprache
steckt volkstümliche Lust und Kraft; mag sich unsre Papiersprache immerzu an diesem nahe¬
liegenden Quell verjüngen! Freilich mag er sich auch von jüdischer Witzelei freihalten!
A»s der Geschichte der deutschen Studentensprache

künstlerischen Erzeugnisse modernen studentischen Geistes den Weg hinaus über
die Schranken ihrer Gesellschaft gefunden haben, hat auch erst ihre natur¬
wüchsigere Stiefschwester, die Studentensprache, diesen Weg eingeschlagen.*)

Aus der Entwicklung des Vurschentums ragen die Ausgänge des zwölften,
des fünfzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts hervor. Als Friedrich der
Rotbart deutscher Kaiser war, um die Zeit, wo Sultan Saladin Jerusalem
eroberte, da wurde ganz Deutschland und Welschland unsicher gemacht durch
das lockere Volk der fahrenden Kleriker, der bettelnden, singenden, fechtenden,
zechenden Vaganten. Für die geistlichen Weihen bestimmt, hielten sie es doch
nur mit Mühe den Winter über in der Klosterschule aus. Sobald der Früh¬
ling kam, machten sie sich aus dem Staube und wurden Kinder der Welt, in
vollen Zügen Lust und Leid des Lebens draußen übermütig genießend. Unter
ihnen zog auch ein dichterisches Genie von Hof zu Hofe, von einem Kloster
zum andern, das sich selber M<Mxosw, ErzPoet, genannt hat, ein Zecher und
Sänger vor dem Herrn wie wenige wieder. Von ihm stammt das uuvergüng-
liche Nsurri sse xroposiwm in tavern-i. wori,, aus seinem Kreise die ältesten
Teile des (Fauäsg-irms ig'lor, und in der Runde dieser Gesellen erklang auch
schon: LrZo oibsMus! Ihre Zunftsprache war natürlich das Lateinische, und
zwar ein Latein, das oft an Ovid, bisweilen an Vergil und an Horciz an¬
klingt, sehr vieles darin stammt auch aus der Bibel. Mitunter warfen sie
auch deutsche Brocken ein, und wie ein Vorläufer des spätern Sprachgcmeuges
des Burschenjargous klingt es, wenn einer von ihnen einmal gegen die geizigen
Pfaffen loswettert:


Da? si äsr klopft aUs orslalis!
se ub in Avvum xors»ut!
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bald halb feierlich, halb spöttisch aus manchem ihrer Lieder und Spiele, und
wenn der Wein und die Würfel die Runde machen sollen, ertönt der Ruf:


?uns Hierum et) tAios, xorsg-t <mi orastins. vurot!

Kein Zweifel: das studentische Pereiren des achtzehnten Jahrhunderts geht
bis in die Zeiten dieses Vagantentums zurück. Sollte es das einzige Überbleibsel
aus jenen Jugendtagen des Burschenlebens sein?

Erst um die Wende des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts taucht
die nasse Sekte wieder häufiger auf, aber ihre Überlieferungen werden deshalb



*) Daß die Bewegung noch nicht zum Stehen gekommen ist, zeigen jeden Tag unsre
Reichstagsredner, zeigt eine Einrichtung wie der „Seniorenkonvent" eben auch im Reichstage
und die bürgerlichen „Kommerse," zu denen sich ergrauende, keineswegs immer akademisch
gebildete Männer zusammenfinden. Und wer wollte das beklagen? In der Studentensprache
steckt volkstümliche Lust und Kraft; mag sich unsre Papiersprache immerzu an diesem nahe¬
liegenden Quell verjüngen! Freilich mag er sich auch von jüdischer Witzelei freihalten!
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[0589] A»s der Geschichte der deutschen Studentensprache künstlerischen Erzeugnisse modernen studentischen Geistes den Weg hinaus über die Schranken ihrer Gesellschaft gefunden haben, hat auch erst ihre natur¬ wüchsigere Stiefschwester, die Studentensprache, diesen Weg eingeschlagen.*) Aus der Entwicklung des Vurschentums ragen die Ausgänge des zwölften, des fünfzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts hervor. Als Friedrich der Rotbart deutscher Kaiser war, um die Zeit, wo Sultan Saladin Jerusalem eroberte, da wurde ganz Deutschland und Welschland unsicher gemacht durch das lockere Volk der fahrenden Kleriker, der bettelnden, singenden, fechtenden, zechenden Vaganten. Für die geistlichen Weihen bestimmt, hielten sie es doch nur mit Mühe den Winter über in der Klosterschule aus. Sobald der Früh¬ ling kam, machten sie sich aus dem Staube und wurden Kinder der Welt, in vollen Zügen Lust und Leid des Lebens draußen übermütig genießend. Unter ihnen zog auch ein dichterisches Genie von Hof zu Hofe, von einem Kloster zum andern, das sich selber M<Mxosw, ErzPoet, genannt hat, ein Zecher und Sänger vor dem Herrn wie wenige wieder. Von ihm stammt das uuvergüng- liche Nsurri sse xroposiwm in tavern-i. wori,, aus seinem Kreise die ältesten Teile des (Fauäsg-irms ig'lor, und in der Runde dieser Gesellen erklang auch schon: LrZo oibsMus! Ihre Zunftsprache war natürlich das Lateinische, und zwar ein Latein, das oft an Ovid, bisweilen an Vergil und an Horciz an¬ klingt, sehr vieles darin stammt auch aus der Bibel. Mitunter warfen sie auch deutsche Brocken ein, und wie ein Vorläufer des spätern Sprachgcmeuges des Burschenjargous klingt es, wenn einer von ihnen einmal gegen die geizigen Pfaffen loswettert: Da? si äsr klopft aUs orslalis! se ub in Avvum xors»ut! -l,vo/, s,on>^, s,Jon ÄVÄnt! ?ör«zg.ut! ?<zrsu.ut lMg.<Z68, versiuit, se tenu-vos! so schallt es bald trotzig, bald halb feierlich, halb spöttisch aus manchem ihrer Lieder und Spiele, und wenn der Wein und die Würfel die Runde machen sollen, ertönt der Ruf: ?uns Hierum et) tAios, xorsg-t <mi orastins. vurot! Kein Zweifel: das studentische Pereiren des achtzehnten Jahrhunderts geht bis in die Zeiten dieses Vagantentums zurück. Sollte es das einzige Überbleibsel aus jenen Jugendtagen des Burschenlebens sein? Erst um die Wende des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts taucht die nasse Sekte wieder häufiger auf, aber ihre Überlieferungen werden deshalb *) Daß die Bewegung noch nicht zum Stehen gekommen ist, zeigen jeden Tag unsre Reichstagsredner, zeigt eine Einrichtung wie der „Seniorenkonvent" eben auch im Reichstage und die bürgerlichen „Kommerse," zu denen sich ergrauende, keineswegs immer akademisch gebildete Männer zusammenfinden. Und wer wollte das beklagen? In der Studentensprache steckt volkstümliche Lust und Kraft; mag sich unsre Papiersprache immerzu an diesem nahe¬ liegenden Quell verjüngen! Freilich mag er sich auch von jüdischer Witzelei freihalten!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/589>, abgerufen am 08.05.2024.