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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der feinen Sitte

is Caterina Cornaro in ihr Heimatland zurückkehren mußte,
wies ihr die Republik Venedig das nordwärts nach dem Ge¬
birge zu gelegne Schloß von Asvlo an, wo die noch junge
Königinwitwe zwanzig Jahre lang bis an ihren Tod (1510)
Hof hielt. Ihr Vetter war Pietro Bembo aus Venedig, nach¬
mals der berühmte Sekretär Leos X. und schließlich Kardinal, damals noch
ein ganz junger Manu. Er war von tiefgehender humanistischer Bildung,
hatte bereits hinreißend schöne lateinische Gedichte gemacht und verstand auch
italienisch zu schreiben in Prosa und in Versen. Bembo hat das Leben an
dem kleinen Hofe von Asolo in jenen Tagen, wo die schöne Königin Giorgione
aus dem nahen Castelfraneo und Tizian zum Bildnis saß, in einem anmutigen
Dialog geschildert. Im Schloßpark, dessen Aussicht sich auf die nahen Berge
öffnet, treffen wir drei Damen und drei Kavaliere, die nachmittags bis zur
Zeit des Abendessens Canzonen singen und sich dazu mit Freiheit und Witz
über irdische und himmlische Liebe unterhalten. Dieses Buch, "die Leute von
Asolo," schließt ab mit einer großartigen und glänzenden Schilderung der
ewigen Welt. Ein allerliebster kleiner Ueberzug, der dazu gehört, ist ebenso
bezeichnend für die Gedankenrichtung der Zeit, wie für Bembos Gabe, neue
Mythen zu erdichten. In ihrem Zauberschloß sitzt die Königin der glückseligen
Inseln. Sie berührt alle Menschen, die zu ihr gebracht werden, mit ihrem
Stäbe, dann fallen sie in einen tiefen Schlaf und träumen. Der Reihe nach
werden sie wieder von ihr erweckt und nach dem Inhalt ihrer Träume be¬
fragt. Wenn sie von Pferden und Hunden und Jagd geträumt haben, so
werden sie auf immer heimgeschickt "zu ihren Bestien"; wenn von Ämtern oder
Familienangelegenheiten, so kehren sie zunächst in die Städte zurück und dürfen
dann noch einmal wiederkommen. Haben sie aber von der Königin geträumt,
so bleiben sie bei ihr, um sich ewig mit ihr an Sang und Spiel und edeln
Gesprächen zu erfreuen.

Die Asolcmi sind 1505 erschienen. Gleich darauf ging Bembo nach Ur-
bino. Die Hofhaltung des Herzogs Guidobaldo I. und seiner Gemahlin Elisa-
bettci Gonzaga galt damals für ein Muster fürstlicher Einrichtung und für die
hohe Schule aller feinen Geselligkeit. In dem großen Kreise vornehmer Herren,




Zur Geschichte der feinen Sitte

is Caterina Cornaro in ihr Heimatland zurückkehren mußte,
wies ihr die Republik Venedig das nordwärts nach dem Ge¬
birge zu gelegne Schloß von Asvlo an, wo die noch junge
Königinwitwe zwanzig Jahre lang bis an ihren Tod (1510)
Hof hielt. Ihr Vetter war Pietro Bembo aus Venedig, nach¬
mals der berühmte Sekretär Leos X. und schließlich Kardinal, damals noch
ein ganz junger Manu. Er war von tiefgehender humanistischer Bildung,
hatte bereits hinreißend schöne lateinische Gedichte gemacht und verstand auch
italienisch zu schreiben in Prosa und in Versen. Bembo hat das Leben an
dem kleinen Hofe von Asolo in jenen Tagen, wo die schöne Königin Giorgione
aus dem nahen Castelfraneo und Tizian zum Bildnis saß, in einem anmutigen
Dialog geschildert. Im Schloßpark, dessen Aussicht sich auf die nahen Berge
öffnet, treffen wir drei Damen und drei Kavaliere, die nachmittags bis zur
Zeit des Abendessens Canzonen singen und sich dazu mit Freiheit und Witz
über irdische und himmlische Liebe unterhalten. Dieses Buch, „die Leute von
Asolo," schließt ab mit einer großartigen und glänzenden Schilderung der
ewigen Welt. Ein allerliebster kleiner Ueberzug, der dazu gehört, ist ebenso
bezeichnend für die Gedankenrichtung der Zeit, wie für Bembos Gabe, neue
Mythen zu erdichten. In ihrem Zauberschloß sitzt die Königin der glückseligen
Inseln. Sie berührt alle Menschen, die zu ihr gebracht werden, mit ihrem
Stäbe, dann fallen sie in einen tiefen Schlaf und träumen. Der Reihe nach
werden sie wieder von ihr erweckt und nach dem Inhalt ihrer Träume be¬
fragt. Wenn sie von Pferden und Hunden und Jagd geträumt haben, so
werden sie auf immer heimgeschickt „zu ihren Bestien"; wenn von Ämtern oder
Familienangelegenheiten, so kehren sie zunächst in die Städte zurück und dürfen
dann noch einmal wiederkommen. Haben sie aber von der Königin geträumt,
so bleiben sie bei ihr, um sich ewig mit ihr an Sang und Spiel und edeln
Gesprächen zu erfreuen.

Die Asolcmi sind 1505 erschienen. Gleich darauf ging Bembo nach Ur-
bino. Die Hofhaltung des Herzogs Guidobaldo I. und seiner Gemahlin Elisa-
bettci Gonzaga galt damals für ein Muster fürstlicher Einrichtung und für die
hohe Schule aller feinen Geselligkeit. In dem großen Kreise vornehmer Herren,


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[0628] [Abbildung] Zur Geschichte der feinen Sitte is Caterina Cornaro in ihr Heimatland zurückkehren mußte, wies ihr die Republik Venedig das nordwärts nach dem Ge¬ birge zu gelegne Schloß von Asvlo an, wo die noch junge Königinwitwe zwanzig Jahre lang bis an ihren Tod (1510) Hof hielt. Ihr Vetter war Pietro Bembo aus Venedig, nach¬ mals der berühmte Sekretär Leos X. und schließlich Kardinal, damals noch ein ganz junger Manu. Er war von tiefgehender humanistischer Bildung, hatte bereits hinreißend schöne lateinische Gedichte gemacht und verstand auch italienisch zu schreiben in Prosa und in Versen. Bembo hat das Leben an dem kleinen Hofe von Asolo in jenen Tagen, wo die schöne Königin Giorgione aus dem nahen Castelfraneo und Tizian zum Bildnis saß, in einem anmutigen Dialog geschildert. Im Schloßpark, dessen Aussicht sich auf die nahen Berge öffnet, treffen wir drei Damen und drei Kavaliere, die nachmittags bis zur Zeit des Abendessens Canzonen singen und sich dazu mit Freiheit und Witz über irdische und himmlische Liebe unterhalten. Dieses Buch, „die Leute von Asolo," schließt ab mit einer großartigen und glänzenden Schilderung der ewigen Welt. Ein allerliebster kleiner Ueberzug, der dazu gehört, ist ebenso bezeichnend für die Gedankenrichtung der Zeit, wie für Bembos Gabe, neue Mythen zu erdichten. In ihrem Zauberschloß sitzt die Königin der glückseligen Inseln. Sie berührt alle Menschen, die zu ihr gebracht werden, mit ihrem Stäbe, dann fallen sie in einen tiefen Schlaf und träumen. Der Reihe nach werden sie wieder von ihr erweckt und nach dem Inhalt ihrer Träume be¬ fragt. Wenn sie von Pferden und Hunden und Jagd geträumt haben, so werden sie auf immer heimgeschickt „zu ihren Bestien"; wenn von Ämtern oder Familienangelegenheiten, so kehren sie zunächst in die Städte zurück und dürfen dann noch einmal wiederkommen. Haben sie aber von der Königin geträumt, so bleiben sie bei ihr, um sich ewig mit ihr an Sang und Spiel und edeln Gesprächen zu erfreuen. Die Asolcmi sind 1505 erschienen. Gleich darauf ging Bembo nach Ur- bino. Die Hofhaltung des Herzogs Guidobaldo I. und seiner Gemahlin Elisa- bettci Gonzaga galt damals für ein Muster fürstlicher Einrichtung und für die hohe Schule aller feinen Geselligkeit. In dem großen Kreise vornehmer Herren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/628>, abgerufen am 28.04.2024.