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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der feinen Sitte

die dort in Stellung waren oder gastliche Aufnahme gefunden hatten, traf
Bembo auch einen äußerst feinsinnigen Jüngling, den Grafen Cnstiglione. Er
machte lateinische und italienische Verse, wie vielleicht alle Herren dieses Kreises,
und ist dann durch Raffaels Freundschaft bekannter geworden. Später führte
er ein bewegtes Leben als Gesandter und starb, erst wenig über fünfzig Jahre
alt, in Spanien. Karl V. hatte ihn den besten Kavalier der Welt genannt.
Rasfael hatte ihn gemalt. Vembo schrieb ihm jetzt die Grabschrift. Als
Ccistiglione nach Urbino kam, war er ganz jung. Er blieb dort zehn Jahre,
und bald nachdem Bembo den Hof verlassen hatte, um in Leos X. Dienste zu
treten, ging er auch fort (1516) und lebte in seiner Heimat, im Mantuanischen.
Hier war er kurze Zeit glücklich verheiratet. Ein wirklich schönes lateinisches
Gedicht von ihm in elegischem Maß ist ans der Seele seiner Gattin gedichtet,
wie sie ängstlich und sehnsüchtig den Gatten aus dem unruhigen römischen
Leben in die stille, sichere Heimat zurückruft. Hier entwarf Ccistiglione auch
das Werk, das seinen Ruhm ausmacht, das Buch vom vollendeten Weltmann,
den Cvrtegiano, der in einem sehr reich gestalteten Dialog den Kreis des
Hofes von Urbino schildert. Der Inhalt ist mannichfciltiger als in den Asolcmi.
Er besteht hauptsächlich aus Regeln über das gesellschaftliche Leben und über
die feinere Unterhaltung. Die Gespräche nehmen gegen das Ende des Buches
eine höhere Wendung, und zuletzt ist man wieder bei dem Thema der Asvlani
angelangt, der irdischen und himmlischen Liebe. Hier hat Pietro Bembo die
Hauptrolle der Unterhaltung, die mit einer begeisterten Lobrede auf Amor aus
seinem Munde schließt. Wenn wir hier den Einfluß des bedeutender" Freundes
erkennen, so besteht Castigliones geistiges Eigentum in dem Hauptinhalte des
Buches, in dem Kanon der Höflichkeit und des äußern Lebens. Aber wie gut
der feinsinnige Mann von da aus auch tiefer liegenden Problemen zu folgen
wußte, zeigt eine Auseinandersetzung über den Sprachgebrauch, die in den Ab¬
schnitt über die Grazie des Auftretens und Handelns eingelegt ist. Bembo
gehörte nämlich zu den Verehrern Boccaccios, die im Anschluß an die Muster
des vierzehnten Jahrhunderts das alte Toskanisch neu beleben wollten. Dem
gegenüber stellt sich Ccistiglione auf die Seite der Modernen, die ans die weiter¬
lebende Sprache der Gegenwart und zwar ganz Italiens, nicht nnr Toskcmas,
als für den Gebrauch maßgebend hinweisen. Die Nachahmung, sagt er, führt
zum Archaismus, nicht zum Ausdrucke der Natur, uicht zur wahren Grazie
also, sondern zur Affektation. In Italien hatte schon Dante begonnen, die
Grenzen zwischen Regeln und "Usus" zu bestimmen, in seiner Schrift: of
vuIgW slociusnUa. Die letzte bedeutende Schrift auf diesem Gebiete, soweit
dergleichen nicht der Fachwissenschaft angehört, werden Wohl Torquato Tassos
Diskurse über die Dichtkunst (erschienen 1587) sein. Castigliones Äußerungen
gehen von der antiken Theorie aus, stellen vielfache Vergleiche an und zeugen
von weitem Blick und von Geschmack. Das mag genügen und zugleich ver-


Zur Geschichte der feinen Sitte

die dort in Stellung waren oder gastliche Aufnahme gefunden hatten, traf
Bembo auch einen äußerst feinsinnigen Jüngling, den Grafen Cnstiglione. Er
machte lateinische und italienische Verse, wie vielleicht alle Herren dieses Kreises,
und ist dann durch Raffaels Freundschaft bekannter geworden. Später führte
er ein bewegtes Leben als Gesandter und starb, erst wenig über fünfzig Jahre
alt, in Spanien. Karl V. hatte ihn den besten Kavalier der Welt genannt.
Rasfael hatte ihn gemalt. Vembo schrieb ihm jetzt die Grabschrift. Als
Ccistiglione nach Urbino kam, war er ganz jung. Er blieb dort zehn Jahre,
und bald nachdem Bembo den Hof verlassen hatte, um in Leos X. Dienste zu
treten, ging er auch fort (1516) und lebte in seiner Heimat, im Mantuanischen.
Hier war er kurze Zeit glücklich verheiratet. Ein wirklich schönes lateinisches
Gedicht von ihm in elegischem Maß ist ans der Seele seiner Gattin gedichtet,
wie sie ängstlich und sehnsüchtig den Gatten aus dem unruhigen römischen
Leben in die stille, sichere Heimat zurückruft. Hier entwarf Ccistiglione auch
das Werk, das seinen Ruhm ausmacht, das Buch vom vollendeten Weltmann,
den Cvrtegiano, der in einem sehr reich gestalteten Dialog den Kreis des
Hofes von Urbino schildert. Der Inhalt ist mannichfciltiger als in den Asolcmi.
Er besteht hauptsächlich aus Regeln über das gesellschaftliche Leben und über
die feinere Unterhaltung. Die Gespräche nehmen gegen das Ende des Buches
eine höhere Wendung, und zuletzt ist man wieder bei dem Thema der Asvlani
angelangt, der irdischen und himmlischen Liebe. Hier hat Pietro Bembo die
Hauptrolle der Unterhaltung, die mit einer begeisterten Lobrede auf Amor aus
seinem Munde schließt. Wenn wir hier den Einfluß des bedeutender» Freundes
erkennen, so besteht Castigliones geistiges Eigentum in dem Hauptinhalte des
Buches, in dem Kanon der Höflichkeit und des äußern Lebens. Aber wie gut
der feinsinnige Mann von da aus auch tiefer liegenden Problemen zu folgen
wußte, zeigt eine Auseinandersetzung über den Sprachgebrauch, die in den Ab¬
schnitt über die Grazie des Auftretens und Handelns eingelegt ist. Bembo
gehörte nämlich zu den Verehrern Boccaccios, die im Anschluß an die Muster
des vierzehnten Jahrhunderts das alte Toskanisch neu beleben wollten. Dem
gegenüber stellt sich Ccistiglione auf die Seite der Modernen, die ans die weiter¬
lebende Sprache der Gegenwart und zwar ganz Italiens, nicht nnr Toskcmas,
als für den Gebrauch maßgebend hinweisen. Die Nachahmung, sagt er, führt
zum Archaismus, nicht zum Ausdrucke der Natur, uicht zur wahren Grazie
also, sondern zur Affektation. In Italien hatte schon Dante begonnen, die
Grenzen zwischen Regeln und „Usus" zu bestimmen, in seiner Schrift: of
vuIgW slociusnUa. Die letzte bedeutende Schrift auf diesem Gebiete, soweit
dergleichen nicht der Fachwissenschaft angehört, werden Wohl Torquato Tassos
Diskurse über die Dichtkunst (erschienen 1587) sein. Castigliones Äußerungen
gehen von der antiken Theorie aus, stellen vielfache Vergleiche an und zeugen
von weitem Blick und von Geschmack. Das mag genügen und zugleich ver-


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[0629] Zur Geschichte der feinen Sitte die dort in Stellung waren oder gastliche Aufnahme gefunden hatten, traf Bembo auch einen äußerst feinsinnigen Jüngling, den Grafen Cnstiglione. Er machte lateinische und italienische Verse, wie vielleicht alle Herren dieses Kreises, und ist dann durch Raffaels Freundschaft bekannter geworden. Später führte er ein bewegtes Leben als Gesandter und starb, erst wenig über fünfzig Jahre alt, in Spanien. Karl V. hatte ihn den besten Kavalier der Welt genannt. Rasfael hatte ihn gemalt. Vembo schrieb ihm jetzt die Grabschrift. Als Ccistiglione nach Urbino kam, war er ganz jung. Er blieb dort zehn Jahre, und bald nachdem Bembo den Hof verlassen hatte, um in Leos X. Dienste zu treten, ging er auch fort (1516) und lebte in seiner Heimat, im Mantuanischen. Hier war er kurze Zeit glücklich verheiratet. Ein wirklich schönes lateinisches Gedicht von ihm in elegischem Maß ist ans der Seele seiner Gattin gedichtet, wie sie ängstlich und sehnsüchtig den Gatten aus dem unruhigen römischen Leben in die stille, sichere Heimat zurückruft. Hier entwarf Ccistiglione auch das Werk, das seinen Ruhm ausmacht, das Buch vom vollendeten Weltmann, den Cvrtegiano, der in einem sehr reich gestalteten Dialog den Kreis des Hofes von Urbino schildert. Der Inhalt ist mannichfciltiger als in den Asolcmi. Er besteht hauptsächlich aus Regeln über das gesellschaftliche Leben und über die feinere Unterhaltung. Die Gespräche nehmen gegen das Ende des Buches eine höhere Wendung, und zuletzt ist man wieder bei dem Thema der Asvlani angelangt, der irdischen und himmlischen Liebe. Hier hat Pietro Bembo die Hauptrolle der Unterhaltung, die mit einer begeisterten Lobrede auf Amor aus seinem Munde schließt. Wenn wir hier den Einfluß des bedeutender» Freundes erkennen, so besteht Castigliones geistiges Eigentum in dem Hauptinhalte des Buches, in dem Kanon der Höflichkeit und des äußern Lebens. Aber wie gut der feinsinnige Mann von da aus auch tiefer liegenden Problemen zu folgen wußte, zeigt eine Auseinandersetzung über den Sprachgebrauch, die in den Ab¬ schnitt über die Grazie des Auftretens und Handelns eingelegt ist. Bembo gehörte nämlich zu den Verehrern Boccaccios, die im Anschluß an die Muster des vierzehnten Jahrhunderts das alte Toskanisch neu beleben wollten. Dem gegenüber stellt sich Ccistiglione auf die Seite der Modernen, die ans die weiter¬ lebende Sprache der Gegenwart und zwar ganz Italiens, nicht nnr Toskcmas, als für den Gebrauch maßgebend hinweisen. Die Nachahmung, sagt er, führt zum Archaismus, nicht zum Ausdrucke der Natur, uicht zur wahren Grazie also, sondern zur Affektation. In Italien hatte schon Dante begonnen, die Grenzen zwischen Regeln und „Usus" zu bestimmen, in seiner Schrift: of vuIgW slociusnUa. Die letzte bedeutende Schrift auf diesem Gebiete, soweit dergleichen nicht der Fachwissenschaft angehört, werden Wohl Torquato Tassos Diskurse über die Dichtkunst (erschienen 1587) sein. Castigliones Äußerungen gehen von der antiken Theorie aus, stellen vielfache Vergleiche an und zeugen von weitem Blick und von Geschmack. Das mag genügen und zugleich ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/629>, abgerufen am 12.05.2024.