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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der erste Beste

vor sich hin und spann einen heißen Blick zu dem holden Gesicht der blonden
Frau hinüber. Sie bemerkte ihn aber nicht; sie trat neben ihren Mann, der
noch mit Martha Scholz sprach. Leise schob sie ihre Finger in seine nieder-
hängende Hand. Er nahm sie und drückte sie fest, ließ sie auch nicht wieder
los, solange sie da noch zu dritt beisammenstanden. Von Zeit zu Zeit faßte
er die kleinen Finger wieder fester, obwohl sie gar nicht fortgewollt hatten.

Ich muß nun gehen, unterbrach Martha Scholz unwissentlich das zarte
Zwiegespräch. Das heißt, ich habe zu thun, verbesserte sie sich auf Mar¬
garetens verwunderte Frage. Ich verschwinde, es wird nicht bemerkt. Später
komme ich wieder.

Sie ging die Terrassenstnfen hinunter, am großen Springbrunnen vorbei
und den schattigen Weg entlang, der im Bogen um das breite dunkle Dickicht
führte. Margarete sah ihr nach und dann bewundernd über die Büsche, Bäume
und Rasenflächen der herrlichen Anlagen hin.

Sie kämmen unsern Park noch nicht, gnädige Frau? fragte Sternfeldt,
indem er zu den beiden trat, die sich eben losgelassen hatten. Kommen Sie
mit. Er ist wirklich schön.

Ja, das ist wahr, bestätigte Fritz. Sieh ihn dir ordentlich an, Kind;
gegen den ist unser großer Garten nur ein Blumentopf. --

Als sie von dem Spaziergang zurückkamen, wurden gerade die zwei
"schräcklichcn Karte" der Frau Sternfeldt "herumgereicht." Zwillingsbrüder,
sechsjährig, blond, strahlcnäugig, rund, rosig, unverfroren und seelenvergnügt.

Beim Anblick dieser reizenden Menschenknospen fiel Margarete das Kind
der Martha Scholz ein. Sie suchte die junge Frau vergeblich mit den Augen
und fragte nach ihr.

Jedenfalls sei sie bei ihrer Kleinen hinten in der großen Laube, meinte
Frau Sternfeldt; ob sie sie da nicht gesehen hätten. Sie waren aber zufällig
dort nicht vorbeigekommen.

Ich möchte sie wohl aufsuchen, sagte Margarete.

Das machen Sie gut, trautste Frau. Bringen Sie sie nur mit.

17

Martha Scholz saß am Tisch in der breiten Laube. Große Folioblätter,
leere und beschriebne, lagen vor ihr; links neben ihr eine Schicht kleinerer
Papiere mit stenographischen Zeichen bedeckt. Nahe bei ihrem Stuhl, für die
Hand erreichbar, stand der mit einem groben Schleiertuch verdeckte Kinder¬
wagen.

Die Schreiberin bemerkte Margarete nicht eher, als bis sie dicht vor sich
den Kies des Weges knirschen hörte. Überrascht blickte sie auf."

Sie sollen mit mir kommen, liebe Frau Scholz. "Majestät hats gesagt.
So nannten Sie sie ja wohl erst.

Ja, antwortete die andre lächelnd, noch von der Pension her, wo sie
immer die Größte und Stärkste war, und wir ihr alle gehorchen mußten. Ich
soll kommen -- ich kann aber noch nicht; ich muß noch hier -- sie legte die
Hand auf die Blätter.

Darf man fragen, womit Sie so sehr beschäftigt sind?

Mit Abschreiben, für meinen Mann. Das hier ist ein Entwurf, steno-
graphirt; den schreibe ich ab. Dann liest er ihn und ändert, arbeitet aus;
dann schreib ich ihn ins Reine.


Der erste Beste

vor sich hin und spann einen heißen Blick zu dem holden Gesicht der blonden
Frau hinüber. Sie bemerkte ihn aber nicht; sie trat neben ihren Mann, der
noch mit Martha Scholz sprach. Leise schob sie ihre Finger in seine nieder-
hängende Hand. Er nahm sie und drückte sie fest, ließ sie auch nicht wieder
los, solange sie da noch zu dritt beisammenstanden. Von Zeit zu Zeit faßte
er die kleinen Finger wieder fester, obwohl sie gar nicht fortgewollt hatten.

Ich muß nun gehen, unterbrach Martha Scholz unwissentlich das zarte
Zwiegespräch. Das heißt, ich habe zu thun, verbesserte sie sich auf Mar¬
garetens verwunderte Frage. Ich verschwinde, es wird nicht bemerkt. Später
komme ich wieder.

Sie ging die Terrassenstnfen hinunter, am großen Springbrunnen vorbei
und den schattigen Weg entlang, der im Bogen um das breite dunkle Dickicht
führte. Margarete sah ihr nach und dann bewundernd über die Büsche, Bäume
und Rasenflächen der herrlichen Anlagen hin.

Sie kämmen unsern Park noch nicht, gnädige Frau? fragte Sternfeldt,
indem er zu den beiden trat, die sich eben losgelassen hatten. Kommen Sie
mit. Er ist wirklich schön.

Ja, das ist wahr, bestätigte Fritz. Sieh ihn dir ordentlich an, Kind;
gegen den ist unser großer Garten nur ein Blumentopf. —

Als sie von dem Spaziergang zurückkamen, wurden gerade die zwei
„schräcklichcn Karte" der Frau Sternfeldt „herumgereicht." Zwillingsbrüder,
sechsjährig, blond, strahlcnäugig, rund, rosig, unverfroren und seelenvergnügt.

Beim Anblick dieser reizenden Menschenknospen fiel Margarete das Kind
der Martha Scholz ein. Sie suchte die junge Frau vergeblich mit den Augen
und fragte nach ihr.

Jedenfalls sei sie bei ihrer Kleinen hinten in der großen Laube, meinte
Frau Sternfeldt; ob sie sie da nicht gesehen hätten. Sie waren aber zufällig
dort nicht vorbeigekommen.

Ich möchte sie wohl aufsuchen, sagte Margarete.

Das machen Sie gut, trautste Frau. Bringen Sie sie nur mit.

17

Martha Scholz saß am Tisch in der breiten Laube. Große Folioblätter,
leere und beschriebne, lagen vor ihr; links neben ihr eine Schicht kleinerer
Papiere mit stenographischen Zeichen bedeckt. Nahe bei ihrem Stuhl, für die
Hand erreichbar, stand der mit einem groben Schleiertuch verdeckte Kinder¬
wagen.

Die Schreiberin bemerkte Margarete nicht eher, als bis sie dicht vor sich
den Kies des Weges knirschen hörte. Überrascht blickte sie auf."

Sie sollen mit mir kommen, liebe Frau Scholz. „Majestät hats gesagt.
So nannten Sie sie ja wohl erst.

Ja, antwortete die andre lächelnd, noch von der Pension her, wo sie
immer die Größte und Stärkste war, und wir ihr alle gehorchen mußten. Ich
soll kommen — ich kann aber noch nicht; ich muß noch hier — sie legte die
Hand auf die Blätter.

Darf man fragen, womit Sie so sehr beschäftigt sind?

Mit Abschreiben, für meinen Mann. Das hier ist ein Entwurf, steno-
graphirt; den schreibe ich ab. Dann liest er ihn und ändert, arbeitet aus;
dann schreib ich ihn ins Reine.


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[0198] Der erste Beste vor sich hin und spann einen heißen Blick zu dem holden Gesicht der blonden Frau hinüber. Sie bemerkte ihn aber nicht; sie trat neben ihren Mann, der noch mit Martha Scholz sprach. Leise schob sie ihre Finger in seine nieder- hängende Hand. Er nahm sie und drückte sie fest, ließ sie auch nicht wieder los, solange sie da noch zu dritt beisammenstanden. Von Zeit zu Zeit faßte er die kleinen Finger wieder fester, obwohl sie gar nicht fortgewollt hatten. Ich muß nun gehen, unterbrach Martha Scholz unwissentlich das zarte Zwiegespräch. Das heißt, ich habe zu thun, verbesserte sie sich auf Mar¬ garetens verwunderte Frage. Ich verschwinde, es wird nicht bemerkt. Später komme ich wieder. Sie ging die Terrassenstnfen hinunter, am großen Springbrunnen vorbei und den schattigen Weg entlang, der im Bogen um das breite dunkle Dickicht führte. Margarete sah ihr nach und dann bewundernd über die Büsche, Bäume und Rasenflächen der herrlichen Anlagen hin. Sie kämmen unsern Park noch nicht, gnädige Frau? fragte Sternfeldt, indem er zu den beiden trat, die sich eben losgelassen hatten. Kommen Sie mit. Er ist wirklich schön. Ja, das ist wahr, bestätigte Fritz. Sieh ihn dir ordentlich an, Kind; gegen den ist unser großer Garten nur ein Blumentopf. — Als sie von dem Spaziergang zurückkamen, wurden gerade die zwei „schräcklichcn Karte" der Frau Sternfeldt „herumgereicht." Zwillingsbrüder, sechsjährig, blond, strahlcnäugig, rund, rosig, unverfroren und seelenvergnügt. Beim Anblick dieser reizenden Menschenknospen fiel Margarete das Kind der Martha Scholz ein. Sie suchte die junge Frau vergeblich mit den Augen und fragte nach ihr. Jedenfalls sei sie bei ihrer Kleinen hinten in der großen Laube, meinte Frau Sternfeldt; ob sie sie da nicht gesehen hätten. Sie waren aber zufällig dort nicht vorbeigekommen. Ich möchte sie wohl aufsuchen, sagte Margarete. Das machen Sie gut, trautste Frau. Bringen Sie sie nur mit. 17 Martha Scholz saß am Tisch in der breiten Laube. Große Folioblätter, leere und beschriebne, lagen vor ihr; links neben ihr eine Schicht kleinerer Papiere mit stenographischen Zeichen bedeckt. Nahe bei ihrem Stuhl, für die Hand erreichbar, stand der mit einem groben Schleiertuch verdeckte Kinder¬ wagen. Die Schreiberin bemerkte Margarete nicht eher, als bis sie dicht vor sich den Kies des Weges knirschen hörte. Überrascht blickte sie auf." Sie sollen mit mir kommen, liebe Frau Scholz. „Majestät hats gesagt. So nannten Sie sie ja wohl erst. Ja, antwortete die andre lächelnd, noch von der Pension her, wo sie immer die Größte und Stärkste war, und wir ihr alle gehorchen mußten. Ich soll kommen — ich kann aber noch nicht; ich muß noch hier — sie legte die Hand auf die Blätter. Darf man fragen, womit Sie so sehr beschäftigt sind? Mit Abschreiben, für meinen Mann. Das hier ist ein Entwurf, steno- graphirt; den schreibe ich ab. Dann liest er ihn und ändert, arbeitet aus; dann schreib ich ihn ins Reine.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/198>, abgerufen am 28.04.2024.