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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Im Gedenkjahr

cum wir heute auf die großen Tage des Jahres 1870 zurück¬
blicken, so schlägt dus Herz alleu Deutschen höher, mich denen,
die sonst vergrämt und enttäuscht zur Seite stehen. Wir em¬
pfinden wieder den heißen, den heiligen Zorn über die fremde
Herausforderung, der die Deutschen über Nacht zur Nation
werden ließ, und deu Jubel der tapfern Herzen, als in Eins der Würfel ge¬
fallen war. Bor unserm Auge steht das Rüster zum Kampfe, dem Ungedul¬
digen so langsam erscheinend und doch die wehrhafte Jugend mit der Sicher¬
heit eines Uhrwerks in unabsehbare, wohlgeordnete Heersäulen vereinigend,
der Abschied von Vater und Mutter, Bart und Schwester, dus Eintreffen
beim Regiment, dessen breite, nnn "kriegsstark" gewordnen Kolonnen im
Schmucke der Kriegsgarnitnr glänzen, die Fahrt nach der Westgrenze durch
die gesegnetsten Auen des Vaterlands, überall Tücherwehen und zärtlicher
Gruß ans schönen Augen, der Anblick des grünen Rheinstroms, dessen breiten
Rücken nun endlose Reihen von Helmspitzen und in der Morgensonne glitzernde
Bajonette überschreiten, heiße Märsche unter dem Gewicht des kriegsmäßig
gepackten Tornisters, verregnete Biwaks, die schönen neuen Röcke mit Pfälzi¬
schen Kot bedeckend und deu Humor der Truppe bis tief unter den Gefrier¬
punkt herabdrückend. Da, nuf dem Wege durch düstre, verreguete Waldthäler,
gnlvppirt der Oberst die Marschkolonnen entlang und verkündet die Sieges¬
nachricht von Weißenburg. Dicht vor der französischen Grenze überholt uns
das Große Hauptquartier, wir schauen in das milde Antlitz des ehrwürdigen
Königs, in Moltkes hartgemeißeltc Züge: unter solcher Führung kann es uns
nicht fehlen. Das erste französische Städtchen wimmelt von einen, unglaub-
lichen Gemisch deutscher Uniformen, zwischen ihnen scheu sich bewegend fran-


Grenzbote" III 1895 Lti



Im Gedenkjahr

cum wir heute auf die großen Tage des Jahres 1870 zurück¬
blicken, so schlägt dus Herz alleu Deutschen höher, mich denen,
die sonst vergrämt und enttäuscht zur Seite stehen. Wir em¬
pfinden wieder den heißen, den heiligen Zorn über die fremde
Herausforderung, der die Deutschen über Nacht zur Nation
werden ließ, und deu Jubel der tapfern Herzen, als in Eins der Würfel ge¬
fallen war. Bor unserm Auge steht das Rüster zum Kampfe, dem Ungedul¬
digen so langsam erscheinend und doch die wehrhafte Jugend mit der Sicher¬
heit eines Uhrwerks in unabsehbare, wohlgeordnete Heersäulen vereinigend,
der Abschied von Vater und Mutter, Bart und Schwester, dus Eintreffen
beim Regiment, dessen breite, nnn „kriegsstark" gewordnen Kolonnen im
Schmucke der Kriegsgarnitnr glänzen, die Fahrt nach der Westgrenze durch
die gesegnetsten Auen des Vaterlands, überall Tücherwehen und zärtlicher
Gruß ans schönen Augen, der Anblick des grünen Rheinstroms, dessen breiten
Rücken nun endlose Reihen von Helmspitzen und in der Morgensonne glitzernde
Bajonette überschreiten, heiße Märsche unter dem Gewicht des kriegsmäßig
gepackten Tornisters, verregnete Biwaks, die schönen neuen Röcke mit Pfälzi¬
schen Kot bedeckend und deu Humor der Truppe bis tief unter den Gefrier¬
punkt herabdrückend. Da, nuf dem Wege durch düstre, verreguete Waldthäler,
gnlvppirt der Oberst die Marschkolonnen entlang und verkündet die Sieges¬
nachricht von Weißenburg. Dicht vor der französischen Grenze überholt uns
das Große Hauptquartier, wir schauen in das milde Antlitz des ehrwürdigen
Königs, in Moltkes hartgemeißeltc Züge: unter solcher Führung kann es uns
nicht fehlen. Das erste französische Städtchen wimmelt von einen, unglaub-
lichen Gemisch deutscher Uniformen, zwischen ihnen scheu sich bewegend fran-


Grenzbote» III 1895 Lti
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[0209] [Abbildung] Im Gedenkjahr cum wir heute auf die großen Tage des Jahres 1870 zurück¬ blicken, so schlägt dus Herz alleu Deutschen höher, mich denen, die sonst vergrämt und enttäuscht zur Seite stehen. Wir em¬ pfinden wieder den heißen, den heiligen Zorn über die fremde Herausforderung, der die Deutschen über Nacht zur Nation werden ließ, und deu Jubel der tapfern Herzen, als in Eins der Würfel ge¬ fallen war. Bor unserm Auge steht das Rüster zum Kampfe, dem Ungedul¬ digen so langsam erscheinend und doch die wehrhafte Jugend mit der Sicher¬ heit eines Uhrwerks in unabsehbare, wohlgeordnete Heersäulen vereinigend, der Abschied von Vater und Mutter, Bart und Schwester, dus Eintreffen beim Regiment, dessen breite, nnn „kriegsstark" gewordnen Kolonnen im Schmucke der Kriegsgarnitnr glänzen, die Fahrt nach der Westgrenze durch die gesegnetsten Auen des Vaterlands, überall Tücherwehen und zärtlicher Gruß ans schönen Augen, der Anblick des grünen Rheinstroms, dessen breiten Rücken nun endlose Reihen von Helmspitzen und in der Morgensonne glitzernde Bajonette überschreiten, heiße Märsche unter dem Gewicht des kriegsmäßig gepackten Tornisters, verregnete Biwaks, die schönen neuen Röcke mit Pfälzi¬ schen Kot bedeckend und deu Humor der Truppe bis tief unter den Gefrier¬ punkt herabdrückend. Da, nuf dem Wege durch düstre, verreguete Waldthäler, gnlvppirt der Oberst die Marschkolonnen entlang und verkündet die Sieges¬ nachricht von Weißenburg. Dicht vor der französischen Grenze überholt uns das Große Hauptquartier, wir schauen in das milde Antlitz des ehrwürdigen Königs, in Moltkes hartgemeißeltc Züge: unter solcher Führung kann es uns nicht fehlen. Das erste französische Städtchen wimmelt von einen, unglaub- lichen Gemisch deutscher Uniformen, zwischen ihnen scheu sich bewegend fran- Grenzbote» III 1895 Lti

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/209>, abgerufen am 28.04.2024.