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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Im Gedenkjahr

zösische Leichtverwundete, wir hören zum erstenmale das (just in"1neur! der
Einwohner, die von dem Spaziergang nach Berlin geträumt hatten.

Aber weiter, unaufhaltsam weiter! Wir überschreite" die Mosel. Aus
dem Defiliren vor Prinz Friedrich Karl wird nichts -- es ist der 16. Angust,
und dringende Geschäfte haben ihn vorwärts gerufen. Wir klimmen bei
glühender Hitze einen Hügel hinauf und wolle" uns bei hereinbrechender
Nacht endlich auf einer Stoppel gütlich thun. Da tönt das Alarmsignal,
vorn ist etwas los gewesen, wir marschieren die ganze Nacht und halten
am Morgen vor Mars la Tour. Das ganze Korps marschiert auf, man sieht
nur noch den Himmel lind Soldaten. Am Ill. treten wir in Brigadefront
den Vormarsch um, die Glieder öffnen sich vor dem ersten Toten, einem bnnt-
betreßten Chasseur, dem ein deutscher Kürassiersäbel Haupt und Gesicht ge¬
spalten hat. Um die Mittagsstunde beginnt rechts von uns das dumpfe
Pochen der Geschütze, im blauen Äther entstehen plötzlich kleine Wölkchen, die
eine Feuergarbe entsenden und langsam verschwinden, französische Shrapnels.
Wir rücken an dem schönen Sommertag weiter durch herrliche, in feierlichem
Schweigen ausgebreitete Gefilde, aber bald fängt vor uns ein Graupelwcttcr
von Kleingewehrfeuer an, in das das Rrrr! der Mitrailleuseu und das Buen!
der Geschütze träge hiueiutöut. Wir überschreiten den Höhenkamm, vor uns
liegt der breit aufsteigende Rücken von Se. Privat, rechts unter Se. Marie,
vor ihm die Garde soeben zum blutigen Augriff ansetzend; die roten Röcke
der hinter dem Dorfe haltenden Gardehusaren leuchten meilenweit über das
von gelbem Dunst leicht umflorte Blachfeld. Der Hügelrücken vor uns ist
wie ein Schachbrett mit Kolonnen bedeckt, vor und zwischen ihnen die Pünkt¬
chen der einzelnen seuerndeu Schützen, dahinter die ruhig arbeitenden Geschütze.
Wir kommeu näher, mischen uns in die Reihen der Fechtenden, schon bricht
der Abend herein, da flammt der Kirchturm von Se. Privat wie eine gewal¬
tige Weihnachtspyramide auf, das Gewehrfeuer stirbt hin, das Dorf ist ge¬
räumt. Drüben von der Garde herüber klingt es: Nun danket alle Gott!
unsre Kapellen fallen ein, der Sieg ist unser! Die Gewehre werden zusammen¬
gesetzt, und alles flutet in das brennende Dorf, um einen Trunk lehmigen
Wassers für die verschmachteten Lippen zu erbeuten. Unter toten, sterbenden
und verwundeten Menschen und Pferden kampiren wir auf dem Schlachtfelde.

Wir dringen tiefer ins Land ein, die Stimmung der Bewohner wird
feindseliger, wir hören von Tücken einzelner blaublusiger Sabotträger. Ver¬
gebens laden wir durch einen Gruß aus unsern Feldgeschützen das feste Verdun
zur Übergabe ein. Dann auf einem der nächsten Märsche plötzlich ein langer
Halt, es heißt. Chcilons sei geräumt, wir biegen im rechten Winkel zu der
bisherigen Marschrichtung nach Norden ab, noch einige starke Märsche, und
wir begrüßen uns flüchtig mit den ersten Rothosen, heften uns im Angesicht
des plötzlich verlassenen französischen Zeltlagers bei Beaumont ernstlicher an


Im Gedenkjahr

zösische Leichtverwundete, wir hören zum erstenmale das (just in»1neur! der
Einwohner, die von dem Spaziergang nach Berlin geträumt hatten.

Aber weiter, unaufhaltsam weiter! Wir überschreite» die Mosel. Aus
dem Defiliren vor Prinz Friedrich Karl wird nichts — es ist der 16. Angust,
und dringende Geschäfte haben ihn vorwärts gerufen. Wir klimmen bei
glühender Hitze einen Hügel hinauf und wolle» uns bei hereinbrechender
Nacht endlich auf einer Stoppel gütlich thun. Da tönt das Alarmsignal,
vorn ist etwas los gewesen, wir marschieren die ganze Nacht und halten
am Morgen vor Mars la Tour. Das ganze Korps marschiert auf, man sieht
nur noch den Himmel lind Soldaten. Am Ill. treten wir in Brigadefront
den Vormarsch um, die Glieder öffnen sich vor dem ersten Toten, einem bnnt-
betreßten Chasseur, dem ein deutscher Kürassiersäbel Haupt und Gesicht ge¬
spalten hat. Um die Mittagsstunde beginnt rechts von uns das dumpfe
Pochen der Geschütze, im blauen Äther entstehen plötzlich kleine Wölkchen, die
eine Feuergarbe entsenden und langsam verschwinden, französische Shrapnels.
Wir rücken an dem schönen Sommertag weiter durch herrliche, in feierlichem
Schweigen ausgebreitete Gefilde, aber bald fängt vor uns ein Graupelwcttcr
von Kleingewehrfeuer an, in das das Rrrr! der Mitrailleuseu und das Buen!
der Geschütze träge hiueiutöut. Wir überschreiten den Höhenkamm, vor uns
liegt der breit aufsteigende Rücken von Se. Privat, rechts unter Se. Marie,
vor ihm die Garde soeben zum blutigen Augriff ansetzend; die roten Röcke
der hinter dem Dorfe haltenden Gardehusaren leuchten meilenweit über das
von gelbem Dunst leicht umflorte Blachfeld. Der Hügelrücken vor uns ist
wie ein Schachbrett mit Kolonnen bedeckt, vor und zwischen ihnen die Pünkt¬
chen der einzelnen seuerndeu Schützen, dahinter die ruhig arbeitenden Geschütze.
Wir kommeu näher, mischen uns in die Reihen der Fechtenden, schon bricht
der Abend herein, da flammt der Kirchturm von Se. Privat wie eine gewal¬
tige Weihnachtspyramide auf, das Gewehrfeuer stirbt hin, das Dorf ist ge¬
räumt. Drüben von der Garde herüber klingt es: Nun danket alle Gott!
unsre Kapellen fallen ein, der Sieg ist unser! Die Gewehre werden zusammen¬
gesetzt, und alles flutet in das brennende Dorf, um einen Trunk lehmigen
Wassers für die verschmachteten Lippen zu erbeuten. Unter toten, sterbenden
und verwundeten Menschen und Pferden kampiren wir auf dem Schlachtfelde.

Wir dringen tiefer ins Land ein, die Stimmung der Bewohner wird
feindseliger, wir hören von Tücken einzelner blaublusiger Sabotträger. Ver¬
gebens laden wir durch einen Gruß aus unsern Feldgeschützen das feste Verdun
zur Übergabe ein. Dann auf einem der nächsten Märsche plötzlich ein langer
Halt, es heißt. Chcilons sei geräumt, wir biegen im rechten Winkel zu der
bisherigen Marschrichtung nach Norden ab, noch einige starke Märsche, und
wir begrüßen uns flüchtig mit den ersten Rothosen, heften uns im Angesicht
des plötzlich verlassenen französischen Zeltlagers bei Beaumont ernstlicher an


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[0210] Im Gedenkjahr zösische Leichtverwundete, wir hören zum erstenmale das (just in»1neur! der Einwohner, die von dem Spaziergang nach Berlin geträumt hatten. Aber weiter, unaufhaltsam weiter! Wir überschreite» die Mosel. Aus dem Defiliren vor Prinz Friedrich Karl wird nichts — es ist der 16. Angust, und dringende Geschäfte haben ihn vorwärts gerufen. Wir klimmen bei glühender Hitze einen Hügel hinauf und wolle» uns bei hereinbrechender Nacht endlich auf einer Stoppel gütlich thun. Da tönt das Alarmsignal, vorn ist etwas los gewesen, wir marschieren die ganze Nacht und halten am Morgen vor Mars la Tour. Das ganze Korps marschiert auf, man sieht nur noch den Himmel lind Soldaten. Am Ill. treten wir in Brigadefront den Vormarsch um, die Glieder öffnen sich vor dem ersten Toten, einem bnnt- betreßten Chasseur, dem ein deutscher Kürassiersäbel Haupt und Gesicht ge¬ spalten hat. Um die Mittagsstunde beginnt rechts von uns das dumpfe Pochen der Geschütze, im blauen Äther entstehen plötzlich kleine Wölkchen, die eine Feuergarbe entsenden und langsam verschwinden, französische Shrapnels. Wir rücken an dem schönen Sommertag weiter durch herrliche, in feierlichem Schweigen ausgebreitete Gefilde, aber bald fängt vor uns ein Graupelwcttcr von Kleingewehrfeuer an, in das das Rrrr! der Mitrailleuseu und das Buen! der Geschütze träge hiueiutöut. Wir überschreiten den Höhenkamm, vor uns liegt der breit aufsteigende Rücken von Se. Privat, rechts unter Se. Marie, vor ihm die Garde soeben zum blutigen Augriff ansetzend; die roten Röcke der hinter dem Dorfe haltenden Gardehusaren leuchten meilenweit über das von gelbem Dunst leicht umflorte Blachfeld. Der Hügelrücken vor uns ist wie ein Schachbrett mit Kolonnen bedeckt, vor und zwischen ihnen die Pünkt¬ chen der einzelnen seuerndeu Schützen, dahinter die ruhig arbeitenden Geschütze. Wir kommeu näher, mischen uns in die Reihen der Fechtenden, schon bricht der Abend herein, da flammt der Kirchturm von Se. Privat wie eine gewal¬ tige Weihnachtspyramide auf, das Gewehrfeuer stirbt hin, das Dorf ist ge¬ räumt. Drüben von der Garde herüber klingt es: Nun danket alle Gott! unsre Kapellen fallen ein, der Sieg ist unser! Die Gewehre werden zusammen¬ gesetzt, und alles flutet in das brennende Dorf, um einen Trunk lehmigen Wassers für die verschmachteten Lippen zu erbeuten. Unter toten, sterbenden und verwundeten Menschen und Pferden kampiren wir auf dem Schlachtfelde. Wir dringen tiefer ins Land ein, die Stimmung der Bewohner wird feindseliger, wir hören von Tücken einzelner blaublusiger Sabotträger. Ver¬ gebens laden wir durch einen Gruß aus unsern Feldgeschützen das feste Verdun zur Übergabe ein. Dann auf einem der nächsten Märsche plötzlich ein langer Halt, es heißt. Chcilons sei geräumt, wir biegen im rechten Winkel zu der bisherigen Marschrichtung nach Norden ab, noch einige starke Märsche, und wir begrüßen uns flüchtig mit den ersten Rothosen, heften uns im Angesicht des plötzlich verlassenen französischen Zeltlagers bei Beaumont ernstlicher an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/210>, abgerufen am 12.05.2024.