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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Allgemeine zweijährige Dienstzeit

Auslandes waren. Sollte der Versuch nicht lohnen, dieses kostbare Material
dem Vaterlande zurückzugewinnen? Die deutsche Festfreude ist, wenn sie echt
ist, den Bußgedcmkeu allezeit nahe verwandt. Es ist der melancholische Zug
der germanischen Nationen, der ihren frohen Empfindungen auch die ernsten
und sinnigen Gedanken beigesellt. Gehen wir auch in dieser Festzeit in uns,
und fragen wir uns, ob wir, die wir uns durch höhere Bildung und ge¬
festigtere Lebensstellung zu Führern der Menge berufe" glauben, ob wir
wirklich gegen alle unsre Volksgenossen auch jederzeit unsre Schuldigkeit ge¬
than haben. Dieses unserm innersten Wesen fremde Element des Hasses gegen
das eigne Blut muß einmal hinweggethnn werden, die Versöhnung der ein¬
zelnen Volksschichten muß gelingen, wenn anders Deutschland auf die Dauer
die Errungenschaften von vor fünfundzwanzig Jahren behaupten will. Gern
lassen wir uns, weil wir hierzu zu mahnen nicht aufhören, der Schwäche zeihen.
Diese Schwäche, innige Teilnahme für die um Verbesserung ihrer Lage rin¬
genden Deutschen der untern Klassen, hindert uns nicht, stark und wahrhaft
national zu empfinden. Unter den alten Mitkämpfern von 70 und 71 wird
es wohl keinen geben, dem es uicht verdammt gleichgiltig wäre, wie die
Franzosen, die Russen, die Engländer und selbst unsre guten Freunde und
Alliirten über uns denken, und wie sie es in einem künftigen Kriege halten
wollen. Haben wir den innern Frieden erst wiedergefunden, so ziehen wir,
wenn es sein muß, ebenso ruhig ins Feld wie vor fünfundzwanzig Jahre",
voll Zuversicht, daß dem innerlich und äußerlich geeinten Deutschland selbst
eine Welt von Feinden nicht zu widerstehen vermag.




Allgemeine zweijährige Dienstzeit
(Schluß)

s bleibt nunmehr zu untersuchen, welche Wirkungen die allge¬
meine zweijährige Dienstzeit im einzelnen ans das bürgerliche
Leben und die militärische Ausbildung haben würde. Welche
Klassen der Bevölkerung würden von ihr berührt, welche ge¬
gebnen Falls durch sie geschädigt werden, und wie stellt sich die
Bilanz? Hierbei ist billigerweise zu berücksichtigen, was bei jeder Reform der
Fall zu sei" pflegt, daß sie am härteste" diejenigen treffen würde, in deren
Leben sie ändernd eingrifse. War eine Reform gut, so hat bereits die nächste


Allgemeine zweijährige Dienstzeit

Auslandes waren. Sollte der Versuch nicht lohnen, dieses kostbare Material
dem Vaterlande zurückzugewinnen? Die deutsche Festfreude ist, wenn sie echt
ist, den Bußgedcmkeu allezeit nahe verwandt. Es ist der melancholische Zug
der germanischen Nationen, der ihren frohen Empfindungen auch die ernsten
und sinnigen Gedanken beigesellt. Gehen wir auch in dieser Festzeit in uns,
und fragen wir uns, ob wir, die wir uns durch höhere Bildung und ge¬
festigtere Lebensstellung zu Führern der Menge berufe» glauben, ob wir
wirklich gegen alle unsre Volksgenossen auch jederzeit unsre Schuldigkeit ge¬
than haben. Dieses unserm innersten Wesen fremde Element des Hasses gegen
das eigne Blut muß einmal hinweggethnn werden, die Versöhnung der ein¬
zelnen Volksschichten muß gelingen, wenn anders Deutschland auf die Dauer
die Errungenschaften von vor fünfundzwanzig Jahren behaupten will. Gern
lassen wir uns, weil wir hierzu zu mahnen nicht aufhören, der Schwäche zeihen.
Diese Schwäche, innige Teilnahme für die um Verbesserung ihrer Lage rin¬
genden Deutschen der untern Klassen, hindert uns nicht, stark und wahrhaft
national zu empfinden. Unter den alten Mitkämpfern von 70 und 71 wird
es wohl keinen geben, dem es uicht verdammt gleichgiltig wäre, wie die
Franzosen, die Russen, die Engländer und selbst unsre guten Freunde und
Alliirten über uns denken, und wie sie es in einem künftigen Kriege halten
wollen. Haben wir den innern Frieden erst wiedergefunden, so ziehen wir,
wenn es sein muß, ebenso ruhig ins Feld wie vor fünfundzwanzig Jahre»,
voll Zuversicht, daß dem innerlich und äußerlich geeinten Deutschland selbst
eine Welt von Feinden nicht zu widerstehen vermag.




Allgemeine zweijährige Dienstzeit
(Schluß)

s bleibt nunmehr zu untersuchen, welche Wirkungen die allge¬
meine zweijährige Dienstzeit im einzelnen ans das bürgerliche
Leben und die militärische Ausbildung haben würde. Welche
Klassen der Bevölkerung würden von ihr berührt, welche ge¬
gebnen Falls durch sie geschädigt werden, und wie stellt sich die
Bilanz? Hierbei ist billigerweise zu berücksichtigen, was bei jeder Reform der
Fall zu sei» pflegt, daß sie am härteste» diejenigen treffen würde, in deren
Leben sie ändernd eingrifse. War eine Reform gut, so hat bereits die nächste


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[0215] Allgemeine zweijährige Dienstzeit Auslandes waren. Sollte der Versuch nicht lohnen, dieses kostbare Material dem Vaterlande zurückzugewinnen? Die deutsche Festfreude ist, wenn sie echt ist, den Bußgedcmkeu allezeit nahe verwandt. Es ist der melancholische Zug der germanischen Nationen, der ihren frohen Empfindungen auch die ernsten und sinnigen Gedanken beigesellt. Gehen wir auch in dieser Festzeit in uns, und fragen wir uns, ob wir, die wir uns durch höhere Bildung und ge¬ festigtere Lebensstellung zu Führern der Menge berufe» glauben, ob wir wirklich gegen alle unsre Volksgenossen auch jederzeit unsre Schuldigkeit ge¬ than haben. Dieses unserm innersten Wesen fremde Element des Hasses gegen das eigne Blut muß einmal hinweggethnn werden, die Versöhnung der ein¬ zelnen Volksschichten muß gelingen, wenn anders Deutschland auf die Dauer die Errungenschaften von vor fünfundzwanzig Jahren behaupten will. Gern lassen wir uns, weil wir hierzu zu mahnen nicht aufhören, der Schwäche zeihen. Diese Schwäche, innige Teilnahme für die um Verbesserung ihrer Lage rin¬ genden Deutschen der untern Klassen, hindert uns nicht, stark und wahrhaft national zu empfinden. Unter den alten Mitkämpfern von 70 und 71 wird es wohl keinen geben, dem es uicht verdammt gleichgiltig wäre, wie die Franzosen, die Russen, die Engländer und selbst unsre guten Freunde und Alliirten über uns denken, und wie sie es in einem künftigen Kriege halten wollen. Haben wir den innern Frieden erst wiedergefunden, so ziehen wir, wenn es sein muß, ebenso ruhig ins Feld wie vor fünfundzwanzig Jahre», voll Zuversicht, daß dem innerlich und äußerlich geeinten Deutschland selbst eine Welt von Feinden nicht zu widerstehen vermag. Allgemeine zweijährige Dienstzeit (Schluß) s bleibt nunmehr zu untersuchen, welche Wirkungen die allge¬ meine zweijährige Dienstzeit im einzelnen ans das bürgerliche Leben und die militärische Ausbildung haben würde. Welche Klassen der Bevölkerung würden von ihr berührt, welche ge¬ gebnen Falls durch sie geschädigt werden, und wie stellt sich die Bilanz? Hierbei ist billigerweise zu berücksichtigen, was bei jeder Reform der Fall zu sei» pflegt, daß sie am härteste» diejenigen treffen würde, in deren Leben sie ändernd eingrifse. War eine Reform gut, so hat bereits die nächste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/215>, abgerufen am 28.04.2024.