Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

So? sagte Margarete erstaunt und beunruhigt. Da ist etwas nicht in
Ordnung. Mama ist sicher krank; ich habe schon beinahe eine Woche keinen
Brief von ihr bekommen.

Lieber Fritz, schrieb der alte Herr, du thätest uns einen rechten Gefallen,
wenn du uns deine Frau auf ein paar Tage leihen wolltest. Mamachen ist
nicht ganz auf dem Posten --

Siehst du? rief Margarete erschrocken.

Hör nur weiter! -- Das heißt, sie ist schon in der Besserung, "kochte
aber Gretchen gern ein bischen nur sich haben. Es war ein gastrisches Fieber.
Aus dem Bett haben wir sie schon, aber auf dem Sofa muß sie noch bleiben.
Gretchen könnte sie dann, wenn sie wieder an die Luft darf, einfach mit
hinausnehmen, damit ihr mir sie da ein bische" zurechtflickt. Ich komme, sie
mir dann abzuholen. Laß uns bald hören, wann die Kleine kommt; lange
wollen wir sie dir ja nicht entziehen. Schönsten Gruß von deinem

alten Bater Heidenreich.

Also fährst du natürlich morgen früh, entschied Fritz, indem er das Blatt
zusammenfaltete.

Margarete sah ihn beklommen an. Könntest du nicht mit? bat sie
zaghaft.

Aber Kind, das fragst du mich doch nicht im Ernst. Ich kann doch
jetzt nicht weg, das weißt du. Vielleicht bist du in acht Tagen wieder da.
Also morgen mit dem Elfuhrzug. Hans soll dich bis Waren begleiten und
dir beim' Ansteigen behilflich sein. Geh jetzt schlafen, damit du nicht zu
müde bist zur Fahrt.

Gute Nacht. Sie hielt seine Hand sest. Du bist -- sehr verstimmt,
nicht wahr, Fritz?

Ja, sagte er nach kurzem Zögern. Der Abend war schließlich doch
nicht sehr hübsch. Aber wer konnte das vorher wissen?
Bist dn böse aus mich?

Nein, mein Kind, gar nicht, antwortete er freundlich. Geh aber jetzt
schlafen. Ich sehe noch die Briefe durch. Gute Nacht.

Er zog ihre Hand an seine Lippen und drückte eine" Kuß darauf.

Sie ging still hinaus. Auf der Treppe weinte sie leise vor sich hin.
Er schickt mich weg, hauchte sie durch ihre rinnenden Thränen. Er fragt
mich nichts mehr, er läßt mich einfach gehen; er denkt, diese Musik hätte
mich gerührt, er glaubt, ich dächte dabei an diesen -- an diesen erbärmlichen -
und damit schickt er mich weg, ohne ein Wort. Es ist alles aus, er hat
kein Vertrauen zu mir. Alles war umsonst!

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein Brief Gustav Freytags aus der Kriegszeit.

Als im August 1870
die Eisenbahnen viele Tausende unsrer wackern Soldaten über Leipzig nach dem


Grenzboten III I8SS 31
Maßgebliches und Unmaßgebliches

So? sagte Margarete erstaunt und beunruhigt. Da ist etwas nicht in
Ordnung. Mama ist sicher krank; ich habe schon beinahe eine Woche keinen
Brief von ihr bekommen.

Lieber Fritz, schrieb der alte Herr, du thätest uns einen rechten Gefallen,
wenn du uns deine Frau auf ein paar Tage leihen wolltest. Mamachen ist
nicht ganz auf dem Posten —

Siehst du? rief Margarete erschrocken.

Hör nur weiter! — Das heißt, sie ist schon in der Besserung, »kochte
aber Gretchen gern ein bischen nur sich haben. Es war ein gastrisches Fieber.
Aus dem Bett haben wir sie schon, aber auf dem Sofa muß sie noch bleiben.
Gretchen könnte sie dann, wenn sie wieder an die Luft darf, einfach mit
hinausnehmen, damit ihr mir sie da ein bische» zurechtflickt. Ich komme, sie
mir dann abzuholen. Laß uns bald hören, wann die Kleine kommt; lange
wollen wir sie dir ja nicht entziehen. Schönsten Gruß von deinem

alten Bater Heidenreich.

Also fährst du natürlich morgen früh, entschied Fritz, indem er das Blatt
zusammenfaltete.

Margarete sah ihn beklommen an. Könntest du nicht mit? bat sie
zaghaft.

Aber Kind, das fragst du mich doch nicht im Ernst. Ich kann doch
jetzt nicht weg, das weißt du. Vielleicht bist du in acht Tagen wieder da.
Also morgen mit dem Elfuhrzug. Hans soll dich bis Waren begleiten und
dir beim' Ansteigen behilflich sein. Geh jetzt schlafen, damit du nicht zu
müde bist zur Fahrt.

Gute Nacht. Sie hielt seine Hand sest. Du bist — sehr verstimmt,
nicht wahr, Fritz?

Ja, sagte er nach kurzem Zögern. Der Abend war schließlich doch
nicht sehr hübsch. Aber wer konnte das vorher wissen?
Bist dn böse aus mich?

Nein, mein Kind, gar nicht, antwortete er freundlich. Geh aber jetzt
schlafen. Ich sehe noch die Briefe durch. Gute Nacht.

Er zog ihre Hand an seine Lippen und drückte eine» Kuß darauf.

Sie ging still hinaus. Auf der Treppe weinte sie leise vor sich hin.
Er schickt mich weg, hauchte sie durch ihre rinnenden Thränen. Er fragt
mich nichts mehr, er läßt mich einfach gehen; er denkt, diese Musik hätte
mich gerührt, er glaubt, ich dächte dabei an diesen — an diesen erbärmlichen -
und damit schickt er mich weg, ohne ein Wort. Es ist alles aus, er hat
kein Vertrauen zu mir. Alles war umsonst!

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein Brief Gustav Freytags aus der Kriegszeit.

Als im August 1870
die Eisenbahnen viele Tausende unsrer wackern Soldaten über Leipzig nach dem


Grenzboten III I8SS 31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220575"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1035"> So? sagte Margarete erstaunt und beunruhigt. Da ist etwas nicht in<lb/>
Ordnung. Mama ist sicher krank; ich habe schon beinahe eine Woche keinen<lb/>
Brief von ihr bekommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1036"> Lieber Fritz, schrieb der alte Herr, du thätest uns einen rechten Gefallen,<lb/>
wenn du uns deine Frau auf ein paar Tage leihen wolltest. Mamachen ist<lb/>
nicht ganz auf dem Posten &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1037"> Siehst du? rief Margarete erschrocken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1038"> Hör nur weiter! &#x2014; Das heißt, sie ist schon in der Besserung, »kochte<lb/>
aber Gretchen gern ein bischen nur sich haben. Es war ein gastrisches Fieber.<lb/>
Aus dem Bett haben wir sie schon, aber auf dem Sofa muß sie noch bleiben.<lb/>
Gretchen könnte sie dann, wenn sie wieder an die Luft darf, einfach mit<lb/>
hinausnehmen, damit ihr mir sie da ein bische» zurechtflickt. Ich komme, sie<lb/>
mir dann abzuholen. Laß uns bald hören, wann die Kleine kommt; lange<lb/>
wollen wir sie dir ja nicht entziehen.  Schönsten Gruß von deinem</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1039"> alten Bater Heidenreich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1040"> Also fährst du natürlich morgen früh, entschied Fritz, indem er das Blatt<lb/>
zusammenfaltete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1041"> Margarete sah ihn beklommen an. Könntest du nicht mit? bat sie<lb/>
zaghaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1042"> Aber Kind, das fragst du mich doch nicht im Ernst. Ich kann doch<lb/>
jetzt nicht weg, das weißt du. Vielleicht bist du in acht Tagen wieder da.<lb/>
Also morgen mit dem Elfuhrzug. Hans soll dich bis Waren begleiten und<lb/>
dir beim' Ansteigen behilflich sein. Geh jetzt schlafen, damit du nicht zu<lb/>
müde bist zur Fahrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1043"> Gute Nacht. Sie hielt seine Hand sest. Du bist &#x2014; sehr verstimmt,<lb/>
nicht wahr, Fritz?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1044"> Ja, sagte er nach kurzem Zögern.  Der Abend war schließlich doch<lb/>
nicht sehr hübsch.  Aber wer konnte das vorher wissen?<lb/>
Bist dn böse aus mich?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1045"> Nein, mein Kind, gar nicht, antwortete er freundlich. Geh aber jetzt<lb/>
schlafen.  Ich sehe noch die Briefe durch.  Gute Nacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1046"> Er zog ihre Hand an seine Lippen und drückte eine» Kuß darauf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1047"> Sie ging still hinaus. Auf der Treppe weinte sie leise vor sich hin.<lb/>
Er schickt mich weg, hauchte sie durch ihre rinnenden Thränen. Er fragt<lb/>
mich nichts mehr, er läßt mich einfach gehen; er denkt, diese Musik hätte<lb/>
mich gerührt, er glaubt, ich dächte dabei an diesen &#x2014; an diesen erbärmlichen -<lb/>
und damit schickt er mich weg, ohne ein Wort. Es ist alles aus, er hat<lb/>
kein Vertrauen zu mir.  Alles war umsonst!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1048"> (Schluß folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Ein Brief Gustav Freytags aus der Kriegszeit.</head>
            <p xml:id="ID_1049" next="#ID_1050"> Als im August 1870<lb/>
die Eisenbahnen viele Tausende unsrer wackern Soldaten über Leipzig nach dem</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III I8SS 31</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] Maßgebliches und Unmaßgebliches So? sagte Margarete erstaunt und beunruhigt. Da ist etwas nicht in Ordnung. Mama ist sicher krank; ich habe schon beinahe eine Woche keinen Brief von ihr bekommen. Lieber Fritz, schrieb der alte Herr, du thätest uns einen rechten Gefallen, wenn du uns deine Frau auf ein paar Tage leihen wolltest. Mamachen ist nicht ganz auf dem Posten — Siehst du? rief Margarete erschrocken. Hör nur weiter! — Das heißt, sie ist schon in der Besserung, »kochte aber Gretchen gern ein bischen nur sich haben. Es war ein gastrisches Fieber. Aus dem Bett haben wir sie schon, aber auf dem Sofa muß sie noch bleiben. Gretchen könnte sie dann, wenn sie wieder an die Luft darf, einfach mit hinausnehmen, damit ihr mir sie da ein bische» zurechtflickt. Ich komme, sie mir dann abzuholen. Laß uns bald hören, wann die Kleine kommt; lange wollen wir sie dir ja nicht entziehen. Schönsten Gruß von deinem alten Bater Heidenreich. Also fährst du natürlich morgen früh, entschied Fritz, indem er das Blatt zusammenfaltete. Margarete sah ihn beklommen an. Könntest du nicht mit? bat sie zaghaft. Aber Kind, das fragst du mich doch nicht im Ernst. Ich kann doch jetzt nicht weg, das weißt du. Vielleicht bist du in acht Tagen wieder da. Also morgen mit dem Elfuhrzug. Hans soll dich bis Waren begleiten und dir beim' Ansteigen behilflich sein. Geh jetzt schlafen, damit du nicht zu müde bist zur Fahrt. Gute Nacht. Sie hielt seine Hand sest. Du bist — sehr verstimmt, nicht wahr, Fritz? Ja, sagte er nach kurzem Zögern. Der Abend war schließlich doch nicht sehr hübsch. Aber wer konnte das vorher wissen? Bist dn böse aus mich? Nein, mein Kind, gar nicht, antwortete er freundlich. Geh aber jetzt schlafen. Ich sehe noch die Briefe durch. Gute Nacht. Er zog ihre Hand an seine Lippen und drückte eine» Kuß darauf. Sie ging still hinaus. Auf der Treppe weinte sie leise vor sich hin. Er schickt mich weg, hauchte sie durch ihre rinnenden Thränen. Er fragt mich nichts mehr, er läßt mich einfach gehen; er denkt, diese Musik hätte mich gerührt, er glaubt, ich dächte dabei an diesen — an diesen erbärmlichen - und damit schickt er mich weg, ohne ein Wort. Es ist alles aus, er hat kein Vertrauen zu mir. Alles war umsonst! (Schluß folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Ein Brief Gustav Freytags aus der Kriegszeit. Als im August 1870 die Eisenbahnen viele Tausende unsrer wackern Soldaten über Leipzig nach dem Grenzboten III I8SS 31

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/249>, abgerufen am 28.04.2024.