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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Alte Leute

Verdienste, wo sie nach Lage der Sache erwähnt werden mußten, betrübte ihn.
Je weniger er, aus Stolz, nicht aus Bescheidenheit, von seinem Wirken öffentlich
Aufhebens machte, desto berechtigter glaubte er sich, in der Öffentlichkeit nicht
von andern übergangen zu werden. Jeder, auch der Edelste und Uneigen¬
nützigste, wird so fühlen; auch Vismarck hat bekannt, daß er "Wert auf eine
gute Grabschrift lege" und sich über jedes Zeugnis freue, das ihm beweise,
daß er seine Sache den Menschen zu Danke gemacht habe. Und es ist ja
auch im Interesse der Menschheit selbst, zu zeigen, daß sie anerkennt, was einer
für sie thut.

(Schluß folgt)




Alte Leute
von Wilhelm Berger

s ist sonderbar, daß niemand gern etwas vom Alter hören mag,
sogar der kaum, der das Glück hat, alt geworden zu sein. Und
doch möchte jeder alt werden, und wer es ist, möchte es in den
meisten Fällen noch recht lange bleiben.

Am wenigsten ist es der Jugend zu verdenken, wenn sie es
durchaus ablehnt, sich vorzustellen, wie ihr einst im Schnee des Alters zu
Mute sein möchte. Auch würde das ein vergebliches Bemühen sein: kein
Zwanzigjähriger kann das Wesen eines Siebzigjährigen ergründen. In den
fünfzig Jahren, die zwischen beiden liegen, vollzieht sich ein vollständiger
Wechsel der Beweggründe, aus denen die Handlungen entspringen. Und noch
weit mehr: in dieser langen Zeit haben sich die Fäden, die der Geist aus den
Eindrücken von außen spinnt, und woraus er, stets geschäftig, das Gewebe
seiner Weltanschauung herstellt, dermaßen vervielfältigt und verfeinert, daß
zwar das Muster deutlich bleibt, aber die Art seiner Entstehung nicht durch
das schärfste Mikroskop nachweisbar sein würde. Des Jünglings Ansichten
und Meinungen waren wie eine Schrift auf der Gehirntafel, die sich ändern,
die sich löschen ließ; man konnte sast immer erkennen, wer sie geschrieben
hatte. Ganz anders die des Greises: sie stehen wie in Stein gemeißelt; sie
liegen über dem Mark wie die Borke um einen alten Stamm. Woher sie
ihm gekommen sind, vermag er nicht zu sagen, er empfindet sie nur noch als
die seinigen; wer sie antastet, befehdet feine Persönlichkeit, bestreitet seine Da¬
seinsberechtigung.


Alte Leute

Verdienste, wo sie nach Lage der Sache erwähnt werden mußten, betrübte ihn.
Je weniger er, aus Stolz, nicht aus Bescheidenheit, von seinem Wirken öffentlich
Aufhebens machte, desto berechtigter glaubte er sich, in der Öffentlichkeit nicht
von andern übergangen zu werden. Jeder, auch der Edelste und Uneigen¬
nützigste, wird so fühlen; auch Vismarck hat bekannt, daß er „Wert auf eine
gute Grabschrift lege" und sich über jedes Zeugnis freue, das ihm beweise,
daß er seine Sache den Menschen zu Danke gemacht habe. Und es ist ja
auch im Interesse der Menschheit selbst, zu zeigen, daß sie anerkennt, was einer
für sie thut.

(Schluß folgt)




Alte Leute
von Wilhelm Berger

s ist sonderbar, daß niemand gern etwas vom Alter hören mag,
sogar der kaum, der das Glück hat, alt geworden zu sein. Und
doch möchte jeder alt werden, und wer es ist, möchte es in den
meisten Fällen noch recht lange bleiben.

Am wenigsten ist es der Jugend zu verdenken, wenn sie es
durchaus ablehnt, sich vorzustellen, wie ihr einst im Schnee des Alters zu
Mute sein möchte. Auch würde das ein vergebliches Bemühen sein: kein
Zwanzigjähriger kann das Wesen eines Siebzigjährigen ergründen. In den
fünfzig Jahren, die zwischen beiden liegen, vollzieht sich ein vollständiger
Wechsel der Beweggründe, aus denen die Handlungen entspringen. Und noch
weit mehr: in dieser langen Zeit haben sich die Fäden, die der Geist aus den
Eindrücken von außen spinnt, und woraus er, stets geschäftig, das Gewebe
seiner Weltanschauung herstellt, dermaßen vervielfältigt und verfeinert, daß
zwar das Muster deutlich bleibt, aber die Art seiner Entstehung nicht durch
das schärfste Mikroskop nachweisbar sein würde. Des Jünglings Ansichten
und Meinungen waren wie eine Schrift auf der Gehirntafel, die sich ändern,
die sich löschen ließ; man konnte sast immer erkennen, wer sie geschrieben
hatte. Ganz anders die des Greises: sie stehen wie in Stein gemeißelt; sie
liegen über dem Mark wie die Borke um einen alten Stamm. Woher sie
ihm gekommen sind, vermag er nicht zu sagen, er empfindet sie nur noch als
die seinigen; wer sie antastet, befehdet feine Persönlichkeit, bestreitet seine Da¬
seinsberechtigung.


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[0286] Alte Leute Verdienste, wo sie nach Lage der Sache erwähnt werden mußten, betrübte ihn. Je weniger er, aus Stolz, nicht aus Bescheidenheit, von seinem Wirken öffentlich Aufhebens machte, desto berechtigter glaubte er sich, in der Öffentlichkeit nicht von andern übergangen zu werden. Jeder, auch der Edelste und Uneigen¬ nützigste, wird so fühlen; auch Vismarck hat bekannt, daß er „Wert auf eine gute Grabschrift lege" und sich über jedes Zeugnis freue, das ihm beweise, daß er seine Sache den Menschen zu Danke gemacht habe. Und es ist ja auch im Interesse der Menschheit selbst, zu zeigen, daß sie anerkennt, was einer für sie thut. (Schluß folgt) Alte Leute von Wilhelm Berger s ist sonderbar, daß niemand gern etwas vom Alter hören mag, sogar der kaum, der das Glück hat, alt geworden zu sein. Und doch möchte jeder alt werden, und wer es ist, möchte es in den meisten Fällen noch recht lange bleiben. Am wenigsten ist es der Jugend zu verdenken, wenn sie es durchaus ablehnt, sich vorzustellen, wie ihr einst im Schnee des Alters zu Mute sein möchte. Auch würde das ein vergebliches Bemühen sein: kein Zwanzigjähriger kann das Wesen eines Siebzigjährigen ergründen. In den fünfzig Jahren, die zwischen beiden liegen, vollzieht sich ein vollständiger Wechsel der Beweggründe, aus denen die Handlungen entspringen. Und noch weit mehr: in dieser langen Zeit haben sich die Fäden, die der Geist aus den Eindrücken von außen spinnt, und woraus er, stets geschäftig, das Gewebe seiner Weltanschauung herstellt, dermaßen vervielfältigt und verfeinert, daß zwar das Muster deutlich bleibt, aber die Art seiner Entstehung nicht durch das schärfste Mikroskop nachweisbar sein würde. Des Jünglings Ansichten und Meinungen waren wie eine Schrift auf der Gehirntafel, die sich ändern, die sich löschen ließ; man konnte sast immer erkennen, wer sie geschrieben hatte. Ganz anders die des Greises: sie stehen wie in Stein gemeißelt; sie liegen über dem Mark wie die Borke um einen alten Stamm. Woher sie ihm gekommen sind, vermag er nicht zu sagen, er empfindet sie nur noch als die seinigen; wer sie antastet, befehdet feine Persönlichkeit, bestreitet seine Da¬ seinsberechtigung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/286>, abgerufen am 28.04.2024.