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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Otto Ludwig
von Adolf Bartels 3

"Kenden wir uns nun der Betrachtung der Werke beider Dichter
zu. Als Ganzes treten uns die Werke Hebbels ohne Zweifel
stattlicher entgegen. Zu Gunsten Ludwigs kann man hier geltend
machen, daß sich dieser zuerst zum Musiker bestimmt glaubte;
doch war er als Thüringer auch unbedingt in mancher Beziehung
früher reif als der Dithmarse, der sich zu großer Produktion erst mit sechs¬
undzwanzig Jahren wandte, da aber auch sofort einen glänzenden Wurf that.
Vorher war ein lyrisches und episches Schaffen gegangen, und ein solches
leitet auch Ludwigs Dichterlaufbahn ein.

Ludwigs Lyrik will nicht allzuviel besagen, wenn sich auch in der von
Stern besorgten Auswahl in den Gesammelten Werken manches schöne Gedicht
findet. Die dichterische Physiognomie Ludwigs tritt aus ihnen nicht scharf
genug hervor, es mangelt die große Subjektivität, die allen Lyrikern ersten
Ranges, so auch Hebbel, eigen ist. Man wundre sich nicht, daß ich Hebbel
einen Lyriker ersten Ranges nenne; ich weiß sehr wohl, daß er nicht als solcher
geschätzt wird, daß, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, die Reflexion in seinen
Gedichten überwiegt. Dennoch sind etwa drei Dutzend Gedichte da, die in
ihrer eigentümlichen Größe, Tiefe, ja Schönheit und Innigkeit fast jeden Ver¬
gleich mit einem andern Lyriker abweisen; nur Mörike erreicht ähnliche Wir¬
kungen, ist freilich da meist frisch und hell, wo Hebbel herb und düster ist.
Von Goethe, Uhland, Heine rede ich hier nicht; ihre Lyrik ist ihr ganzes
Wesen und spiegelt eine Welt, während Hebbel und Mörike als Lyriker doch
nur ein beschränktes, freilich das geheimste Gebiet der Empfindungswelt ihr
eigen nennen, auf ihm aber auch unendlich stark sind. Ihre schönsten Gedichte
sind eine so innige Vermählung von Form und Empsindungsgehalt, daß sie
wie elementar erscheinen, nicht bloß, wie bei jedem guten Lyriker, das elementare
Gefühl ahnen lassen; sie scheinen oft unmittelbar aus jener Region zu stammen,
wo Natur und Mensch. Mensch und Gott (das sind hier selbstverständlich nur
andeutende Begriffe) zusammenfließen. Ludwigs Gedichte dagegen weisen zu




Friedrich Hebbel und Otto Ludwig
von Adolf Bartels 3

«Kenden wir uns nun der Betrachtung der Werke beider Dichter
zu. Als Ganzes treten uns die Werke Hebbels ohne Zweifel
stattlicher entgegen. Zu Gunsten Ludwigs kann man hier geltend
machen, daß sich dieser zuerst zum Musiker bestimmt glaubte;
doch war er als Thüringer auch unbedingt in mancher Beziehung
früher reif als der Dithmarse, der sich zu großer Produktion erst mit sechs¬
undzwanzig Jahren wandte, da aber auch sofort einen glänzenden Wurf that.
Vorher war ein lyrisches und episches Schaffen gegangen, und ein solches
leitet auch Ludwigs Dichterlaufbahn ein.

Ludwigs Lyrik will nicht allzuviel besagen, wenn sich auch in der von
Stern besorgten Auswahl in den Gesammelten Werken manches schöne Gedicht
findet. Die dichterische Physiognomie Ludwigs tritt aus ihnen nicht scharf
genug hervor, es mangelt die große Subjektivität, die allen Lyrikern ersten
Ranges, so auch Hebbel, eigen ist. Man wundre sich nicht, daß ich Hebbel
einen Lyriker ersten Ranges nenne; ich weiß sehr wohl, daß er nicht als solcher
geschätzt wird, daß, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, die Reflexion in seinen
Gedichten überwiegt. Dennoch sind etwa drei Dutzend Gedichte da, die in
ihrer eigentümlichen Größe, Tiefe, ja Schönheit und Innigkeit fast jeden Ver¬
gleich mit einem andern Lyriker abweisen; nur Mörike erreicht ähnliche Wir¬
kungen, ist freilich da meist frisch und hell, wo Hebbel herb und düster ist.
Von Goethe, Uhland, Heine rede ich hier nicht; ihre Lyrik ist ihr ganzes
Wesen und spiegelt eine Welt, während Hebbel und Mörike als Lyriker doch
nur ein beschränktes, freilich das geheimste Gebiet der Empfindungswelt ihr
eigen nennen, auf ihm aber auch unendlich stark sind. Ihre schönsten Gedichte
sind eine so innige Vermählung von Form und Empsindungsgehalt, daß sie
wie elementar erscheinen, nicht bloß, wie bei jedem guten Lyriker, das elementare
Gefühl ahnen lassen; sie scheinen oft unmittelbar aus jener Region zu stammen,
wo Natur und Mensch. Mensch und Gott (das sind hier selbstverständlich nur
andeutende Begriffe) zusammenfließen. Ludwigs Gedichte dagegen weisen zu


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[0378] [Abbildung] Friedrich Hebbel und Otto Ludwig von Adolf Bartels 3 «Kenden wir uns nun der Betrachtung der Werke beider Dichter zu. Als Ganzes treten uns die Werke Hebbels ohne Zweifel stattlicher entgegen. Zu Gunsten Ludwigs kann man hier geltend machen, daß sich dieser zuerst zum Musiker bestimmt glaubte; doch war er als Thüringer auch unbedingt in mancher Beziehung früher reif als der Dithmarse, der sich zu großer Produktion erst mit sechs¬ undzwanzig Jahren wandte, da aber auch sofort einen glänzenden Wurf that. Vorher war ein lyrisches und episches Schaffen gegangen, und ein solches leitet auch Ludwigs Dichterlaufbahn ein. Ludwigs Lyrik will nicht allzuviel besagen, wenn sich auch in der von Stern besorgten Auswahl in den Gesammelten Werken manches schöne Gedicht findet. Die dichterische Physiognomie Ludwigs tritt aus ihnen nicht scharf genug hervor, es mangelt die große Subjektivität, die allen Lyrikern ersten Ranges, so auch Hebbel, eigen ist. Man wundre sich nicht, daß ich Hebbel einen Lyriker ersten Ranges nenne; ich weiß sehr wohl, daß er nicht als solcher geschätzt wird, daß, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, die Reflexion in seinen Gedichten überwiegt. Dennoch sind etwa drei Dutzend Gedichte da, die in ihrer eigentümlichen Größe, Tiefe, ja Schönheit und Innigkeit fast jeden Ver¬ gleich mit einem andern Lyriker abweisen; nur Mörike erreicht ähnliche Wir¬ kungen, ist freilich da meist frisch und hell, wo Hebbel herb und düster ist. Von Goethe, Uhland, Heine rede ich hier nicht; ihre Lyrik ist ihr ganzes Wesen und spiegelt eine Welt, während Hebbel und Mörike als Lyriker doch nur ein beschränktes, freilich das geheimste Gebiet der Empfindungswelt ihr eigen nennen, auf ihm aber auch unendlich stark sind. Ihre schönsten Gedichte sind eine so innige Vermählung von Form und Empsindungsgehalt, daß sie wie elementar erscheinen, nicht bloß, wie bei jedem guten Lyriker, das elementare Gefühl ahnen lassen; sie scheinen oft unmittelbar aus jener Region zu stammen, wo Natur und Mensch. Mensch und Gott (das sind hier selbstverständlich nur andeutende Begriffe) zusammenfließen. Ludwigs Gedichte dagegen weisen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/378>, abgerufen am 28.04.2024.