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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Otto Ludwig

einem großen Teil auf bestimmte Muster hin, und die, die es nicht thun,
bringen doch kaum einen wesentlichen neuen Zug zu dem Bilde des Dichters.
Eine bestimmte Begabung hatte Ludwig für die Romanze, wie Hebbel für die
Ballade, doch Meisterwerke wie "Der Heideknabe," "Der dithmarscher Bauer."
"Die heilige Drei" finden sich unter Ludwigs Romanzen nicht.

Als Epiker dagegen steht unzweifelhaft Ludwig höher. Hebbels Erzäh¬
lungen, die meist auf das Vorbild Kleists und E. T. A. Hoffmanns, teil¬
weise auch Jean Pauls zurückzuführen sind, lassen zwar immer und überall
auch die Persönlichkeit des Dichters zu Tage treten, und manche kleinen
Stücke können vielleicht noch heute als Muster realistischer Nachtstücke gelten;
doch sind schon Ludwigs frühere Erzählungen, die "Wahrhafte Geschichte
von den drei Wünschen" und "Maria" nicht nur liebenswürdiger, sondern
auch bedeutender, sie verraten ein viel größeres Erzählungstalent, und neben
seinen spätern Hauptwerken, vor allem "Zwischen Himmel und Erde," darf
man Hebbels beste Sachen kaum nennen, selbst wenn sich die Grundstimmung
in den erzählenden Werken beider hin und wieder berühren sollte. "Zwischen
Himmel und Erde" und auch die "Heiterethei" stehen meiner Ansicht nach
in der deutschen Litteratur einzig da, und auch die seither auf verwandten
Gebieten unzweifelhaft sehr fruchtbaren und erfolgreichen Fremden haben völlig
gleiches, eine so innige Vereinigung psychologischer Meisterschaft und rea¬
listischer Darstellungskraft, die bei allem Wurzeln im Heimatboden doch das
Ganze in das Gebiet des Allgemeinmenschlichen emporzuheben vermag, nicht
aufzuweisen. Dabei verkenne ich die Schwächen beider Werke nicht, halte
z. B. den Schluß von "Himmel und Erde" trotz Ludwigs Verteidigung immer
noch für verfehlt. Für den Epiker Hebbel hat man allerdings noch das Epos
"Mutter und Kind" in die Wagschale zu werfen, das auch Ludwig anerkannte,
und mit dem er beweisen wollte, daß Hebbel eigentlich zum Epiker berufen sei;
aber auch dieses Werk, das vielleicht die beste selbständige Dichtung im Stil
von "Hermann und Dorothea" ist, hebt den Vorzug, den Ludwig als Epiker
hat, nicht auf. Daß Hebbel wie Ludwig nur als Dramatiker steht oder sällt,
ist trotz ihrer sonstigen Leistungen doch sicher.

Hebbel ist mit einem Dutzend Dramen, darunter einer Trilogie, vor das
Publikum getreten, Ludwig nur mit zwei. Aus seinem Nachlaß sind dazu
weitere vier gekommen, und endlich hat man noch eine ganze Anzahl größerer
oder kleinerer Bruchstücke veröffentlicht. Auch von Hebbel giebt es eine Reihe
von Bruchstücken, und wenn man aus den Tagebüchern die Dramenstoffe, mit
denen er sich beschäftigte, zusammenstellte, so würde man eine kaum weniger
stattliche Anzahl geplanter Werke erhalten als bei Ludwig, nur daß dieser
immer gleich die Feder zur Hand hatte, wo Hebbel nur im Kopfe gestaltete.
Der Beweis, daß der innere Reichtum beider Dichter gleich groß war, wäre
jedenfalls nicht schwer zu führen. Vergleicht man nun die Reihe der Hebbel-


Friedrich Hebbel und Otto Ludwig

einem großen Teil auf bestimmte Muster hin, und die, die es nicht thun,
bringen doch kaum einen wesentlichen neuen Zug zu dem Bilde des Dichters.
Eine bestimmte Begabung hatte Ludwig für die Romanze, wie Hebbel für die
Ballade, doch Meisterwerke wie „Der Heideknabe," „Der dithmarscher Bauer."
„Die heilige Drei" finden sich unter Ludwigs Romanzen nicht.

Als Epiker dagegen steht unzweifelhaft Ludwig höher. Hebbels Erzäh¬
lungen, die meist auf das Vorbild Kleists und E. T. A. Hoffmanns, teil¬
weise auch Jean Pauls zurückzuführen sind, lassen zwar immer und überall
auch die Persönlichkeit des Dichters zu Tage treten, und manche kleinen
Stücke können vielleicht noch heute als Muster realistischer Nachtstücke gelten;
doch sind schon Ludwigs frühere Erzählungen, die „Wahrhafte Geschichte
von den drei Wünschen" und „Maria" nicht nur liebenswürdiger, sondern
auch bedeutender, sie verraten ein viel größeres Erzählungstalent, und neben
seinen spätern Hauptwerken, vor allem „Zwischen Himmel und Erde," darf
man Hebbels beste Sachen kaum nennen, selbst wenn sich die Grundstimmung
in den erzählenden Werken beider hin und wieder berühren sollte. „Zwischen
Himmel und Erde" und auch die „Heiterethei" stehen meiner Ansicht nach
in der deutschen Litteratur einzig da, und auch die seither auf verwandten
Gebieten unzweifelhaft sehr fruchtbaren und erfolgreichen Fremden haben völlig
gleiches, eine so innige Vereinigung psychologischer Meisterschaft und rea¬
listischer Darstellungskraft, die bei allem Wurzeln im Heimatboden doch das
Ganze in das Gebiet des Allgemeinmenschlichen emporzuheben vermag, nicht
aufzuweisen. Dabei verkenne ich die Schwächen beider Werke nicht, halte
z. B. den Schluß von „Himmel und Erde" trotz Ludwigs Verteidigung immer
noch für verfehlt. Für den Epiker Hebbel hat man allerdings noch das Epos
„Mutter und Kind" in die Wagschale zu werfen, das auch Ludwig anerkannte,
und mit dem er beweisen wollte, daß Hebbel eigentlich zum Epiker berufen sei;
aber auch dieses Werk, das vielleicht die beste selbständige Dichtung im Stil
von „Hermann und Dorothea" ist, hebt den Vorzug, den Ludwig als Epiker
hat, nicht auf. Daß Hebbel wie Ludwig nur als Dramatiker steht oder sällt,
ist trotz ihrer sonstigen Leistungen doch sicher.

Hebbel ist mit einem Dutzend Dramen, darunter einer Trilogie, vor das
Publikum getreten, Ludwig nur mit zwei. Aus seinem Nachlaß sind dazu
weitere vier gekommen, und endlich hat man noch eine ganze Anzahl größerer
oder kleinerer Bruchstücke veröffentlicht. Auch von Hebbel giebt es eine Reihe
von Bruchstücken, und wenn man aus den Tagebüchern die Dramenstoffe, mit
denen er sich beschäftigte, zusammenstellte, so würde man eine kaum weniger
stattliche Anzahl geplanter Werke erhalten als bei Ludwig, nur daß dieser
immer gleich die Feder zur Hand hatte, wo Hebbel nur im Kopfe gestaltete.
Der Beweis, daß der innere Reichtum beider Dichter gleich groß war, wäre
jedenfalls nicht schwer zu führen. Vergleicht man nun die Reihe der Hebbel-


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[0379] Friedrich Hebbel und Otto Ludwig einem großen Teil auf bestimmte Muster hin, und die, die es nicht thun, bringen doch kaum einen wesentlichen neuen Zug zu dem Bilde des Dichters. Eine bestimmte Begabung hatte Ludwig für die Romanze, wie Hebbel für die Ballade, doch Meisterwerke wie „Der Heideknabe," „Der dithmarscher Bauer." „Die heilige Drei" finden sich unter Ludwigs Romanzen nicht. Als Epiker dagegen steht unzweifelhaft Ludwig höher. Hebbels Erzäh¬ lungen, die meist auf das Vorbild Kleists und E. T. A. Hoffmanns, teil¬ weise auch Jean Pauls zurückzuführen sind, lassen zwar immer und überall auch die Persönlichkeit des Dichters zu Tage treten, und manche kleinen Stücke können vielleicht noch heute als Muster realistischer Nachtstücke gelten; doch sind schon Ludwigs frühere Erzählungen, die „Wahrhafte Geschichte von den drei Wünschen" und „Maria" nicht nur liebenswürdiger, sondern auch bedeutender, sie verraten ein viel größeres Erzählungstalent, und neben seinen spätern Hauptwerken, vor allem „Zwischen Himmel und Erde," darf man Hebbels beste Sachen kaum nennen, selbst wenn sich die Grundstimmung in den erzählenden Werken beider hin und wieder berühren sollte. „Zwischen Himmel und Erde" und auch die „Heiterethei" stehen meiner Ansicht nach in der deutschen Litteratur einzig da, und auch die seither auf verwandten Gebieten unzweifelhaft sehr fruchtbaren und erfolgreichen Fremden haben völlig gleiches, eine so innige Vereinigung psychologischer Meisterschaft und rea¬ listischer Darstellungskraft, die bei allem Wurzeln im Heimatboden doch das Ganze in das Gebiet des Allgemeinmenschlichen emporzuheben vermag, nicht aufzuweisen. Dabei verkenne ich die Schwächen beider Werke nicht, halte z. B. den Schluß von „Himmel und Erde" trotz Ludwigs Verteidigung immer noch für verfehlt. Für den Epiker Hebbel hat man allerdings noch das Epos „Mutter und Kind" in die Wagschale zu werfen, das auch Ludwig anerkannte, und mit dem er beweisen wollte, daß Hebbel eigentlich zum Epiker berufen sei; aber auch dieses Werk, das vielleicht die beste selbständige Dichtung im Stil von „Hermann und Dorothea" ist, hebt den Vorzug, den Ludwig als Epiker hat, nicht auf. Daß Hebbel wie Ludwig nur als Dramatiker steht oder sällt, ist trotz ihrer sonstigen Leistungen doch sicher. Hebbel ist mit einem Dutzend Dramen, darunter einer Trilogie, vor das Publikum getreten, Ludwig nur mit zwei. Aus seinem Nachlaß sind dazu weitere vier gekommen, und endlich hat man noch eine ganze Anzahl größerer oder kleinerer Bruchstücke veröffentlicht. Auch von Hebbel giebt es eine Reihe von Bruchstücken, und wenn man aus den Tagebüchern die Dramenstoffe, mit denen er sich beschäftigte, zusammenstellte, so würde man eine kaum weniger stattliche Anzahl geplanter Werke erhalten als bei Ludwig, nur daß dieser immer gleich die Feder zur Hand hatte, wo Hebbel nur im Kopfe gestaltete. Der Beweis, daß der innere Reichtum beider Dichter gleich groß war, wäre jedenfalls nicht schwer zu führen. Vergleicht man nun die Reihe der Hebbel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/379>, abgerufen am 14.05.2024.