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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Das medizinische Studium

aufrecht erhielt, indem man "Gewehr beim Fuß" stand, war auf die Dauer
nicht durchzuführen; schon der Selbsterhaltungstrieb zwang zu einer bestimmten
Parteinahme, und die von Anfang des Bürgerkrieges an ziemlich eifrig in
deutschen Kreisen vorgenommnen Sammlungen für das sxöreitv lidsrt^avr
zeigten, daß die Sympathien mehr nach der Seite der Revolutionäre neigten.
Der Austritt der Castilhisten aus den Kolonievereinen beschleunigte den Über¬
gang zu den Föderalisten, was nur bedauert werden kann, da es vorher dank
der Einigkeit der Deutschen gelungen war, ein ganzes Jahr lang die Neutralität
ihrer Provinzen aufrecht zu erhalten.

Nach all diesen Betrachtungen leuchtet es wohl ein, daß die Deutsch¬
brasilianer jetzt in einer Zeit kraftvollen Aufstrebens leben, das politische Selbst¬
bewußtsein ist erwacht, man hat begonnen, sich zur Wahrung seiner Interessen
zu verbinden, und daher scheint mir jetzt der Zeitpunkt besonders günstig zu
sein, unsre Volksgenossen in diesem Streben zu unterstützen, indem das deutsche
Reich seine Machtstellung in die Wagschnle wirft, um die Störung dieser Ent¬
wicklung zu hindern und den Brüdern in der Fremde neue Mitstreiter zuzu¬
führen. Man sollte endlich den Grundsatz anerkennen, daß eine deutsche Ko-
lonialpolitik ohne eine thatkräftige, planvolle Auswanderungspvlitik niemals
dem Ziele zuzuführen ist, das doch erreicht werden soll und muß: ein erd¬
umfassendes Deutschland zu schassen.


L, O. Brandt


Das medizinische Studium
Von Lrnst Gystrow

in ärztlichen Stande ist seit einigen Jahren eine Überfüllung
eingetreten, die schwere Gefahren für alle Mediziner in sich birgt.
In ärztlichen Zeitschriften und Broschüren ist versucht worden,
zunächst einmal die Wurzel des Übels zu finden und dann Vor¬
schläge zur Heilung zu machen. Dabei ist vielerlei beschuldigt
worden, nicht zum wenigsten die soziale Gesetzgebung. Aber so einig alle über
die Schäden sind, so verschieden sind die Ansichten über die Mittel zur Hei¬
lung -- natürlich, weil bei jedem persönliche, gesellschaftliche, ja selbst poli¬
tische Ansichten mitspielen, die ihn die Sache von dieser oder jener Seite
sehen lassen.


Das medizinische Studium

aufrecht erhielt, indem man „Gewehr beim Fuß" stand, war auf die Dauer
nicht durchzuführen; schon der Selbsterhaltungstrieb zwang zu einer bestimmten
Parteinahme, und die von Anfang des Bürgerkrieges an ziemlich eifrig in
deutschen Kreisen vorgenommnen Sammlungen für das sxöreitv lidsrt^avr
zeigten, daß die Sympathien mehr nach der Seite der Revolutionäre neigten.
Der Austritt der Castilhisten aus den Kolonievereinen beschleunigte den Über¬
gang zu den Föderalisten, was nur bedauert werden kann, da es vorher dank
der Einigkeit der Deutschen gelungen war, ein ganzes Jahr lang die Neutralität
ihrer Provinzen aufrecht zu erhalten.

Nach all diesen Betrachtungen leuchtet es wohl ein, daß die Deutsch¬
brasilianer jetzt in einer Zeit kraftvollen Aufstrebens leben, das politische Selbst¬
bewußtsein ist erwacht, man hat begonnen, sich zur Wahrung seiner Interessen
zu verbinden, und daher scheint mir jetzt der Zeitpunkt besonders günstig zu
sein, unsre Volksgenossen in diesem Streben zu unterstützen, indem das deutsche
Reich seine Machtstellung in die Wagschnle wirft, um die Störung dieser Ent¬
wicklung zu hindern und den Brüdern in der Fremde neue Mitstreiter zuzu¬
führen. Man sollte endlich den Grundsatz anerkennen, daß eine deutsche Ko-
lonialpolitik ohne eine thatkräftige, planvolle Auswanderungspvlitik niemals
dem Ziele zuzuführen ist, das doch erreicht werden soll und muß: ein erd¬
umfassendes Deutschland zu schassen.


L, O. Brandt


Das medizinische Studium
Von Lrnst Gystrow

in ärztlichen Stande ist seit einigen Jahren eine Überfüllung
eingetreten, die schwere Gefahren für alle Mediziner in sich birgt.
In ärztlichen Zeitschriften und Broschüren ist versucht worden,
zunächst einmal die Wurzel des Übels zu finden und dann Vor¬
schläge zur Heilung zu machen. Dabei ist vielerlei beschuldigt
worden, nicht zum wenigsten die soziale Gesetzgebung. Aber so einig alle über
die Schäden sind, so verschieden sind die Ansichten über die Mittel zur Hei¬
lung — natürlich, weil bei jedem persönliche, gesellschaftliche, ja selbst poli¬
tische Ansichten mitspielen, die ihn die Sache von dieser oder jener Seite
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[0421] Das medizinische Studium aufrecht erhielt, indem man „Gewehr beim Fuß" stand, war auf die Dauer nicht durchzuführen; schon der Selbsterhaltungstrieb zwang zu einer bestimmten Parteinahme, und die von Anfang des Bürgerkrieges an ziemlich eifrig in deutschen Kreisen vorgenommnen Sammlungen für das sxöreitv lidsrt^avr zeigten, daß die Sympathien mehr nach der Seite der Revolutionäre neigten. Der Austritt der Castilhisten aus den Kolonievereinen beschleunigte den Über¬ gang zu den Föderalisten, was nur bedauert werden kann, da es vorher dank der Einigkeit der Deutschen gelungen war, ein ganzes Jahr lang die Neutralität ihrer Provinzen aufrecht zu erhalten. Nach all diesen Betrachtungen leuchtet es wohl ein, daß die Deutsch¬ brasilianer jetzt in einer Zeit kraftvollen Aufstrebens leben, das politische Selbst¬ bewußtsein ist erwacht, man hat begonnen, sich zur Wahrung seiner Interessen zu verbinden, und daher scheint mir jetzt der Zeitpunkt besonders günstig zu sein, unsre Volksgenossen in diesem Streben zu unterstützen, indem das deutsche Reich seine Machtstellung in die Wagschnle wirft, um die Störung dieser Ent¬ wicklung zu hindern und den Brüdern in der Fremde neue Mitstreiter zuzu¬ führen. Man sollte endlich den Grundsatz anerkennen, daß eine deutsche Ko- lonialpolitik ohne eine thatkräftige, planvolle Auswanderungspvlitik niemals dem Ziele zuzuführen ist, das doch erreicht werden soll und muß: ein erd¬ umfassendes Deutschland zu schassen. L, O. Brandt Das medizinische Studium Von Lrnst Gystrow in ärztlichen Stande ist seit einigen Jahren eine Überfüllung eingetreten, die schwere Gefahren für alle Mediziner in sich birgt. In ärztlichen Zeitschriften und Broschüren ist versucht worden, zunächst einmal die Wurzel des Übels zu finden und dann Vor¬ schläge zur Heilung zu machen. Dabei ist vielerlei beschuldigt worden, nicht zum wenigsten die soziale Gesetzgebung. Aber so einig alle über die Schäden sind, so verschieden sind die Ansichten über die Mittel zur Hei¬ lung — natürlich, weil bei jedem persönliche, gesellschaftliche, ja selbst poli¬ tische Ansichten mitspielen, die ihn die Sache von dieser oder jener Seite sehen lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/421>, abgerufen am 28.04.2024.