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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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der Vergessenheit geriet oder sich in geschäftsmäßige Massenarbeit oder gar in
widerwärtige Manier verlor! Darum ist es jedenfalls sicherer, nicht die Rolle
des Propheten zu spielen. Oft nimmt die Entwicklung auch einen umgekehrten
Gang. So ist z. B. aus dem Düsseldorfer Historienmaler der alten Schule,
Hugo Vogel, ein realistischer Porträt- und Genremaler geworden, der trotz
mancher Abschweifungen in den Irrgarten des Naturalismus zu den charakter¬
vollsten Erscheinungen des Berliner Kunstlebens gehört, und der Bildnismaler
Max Koner, der jahrelang weiter nichts that, als Kaiserbildnisse in feierlicher
Repräsentation oder in mehr intimer Auffassung, meist nach bestimmten Auf¬
trägen, zu malen, hat sich mit großer Energie vor der Gefahr, ein Manierist
zu werden, geschützt und uns in seinen neuesten Bildnissen von Privatpersonen
durch eine Schärfe und Feinheit der Beobachtung überrascht, die uns die Hoff¬
nung einflößt, daß in Koner der Berliner Porträtmalerei wieder einmal ein
Talent von der Bedeutuug Gustav Richters erwachsen werde.

Wir lassen also alle Prophezeiungen. Wenn man aber alles zusammen
betrachtet, so hat die deutsche Kunst uicht die geringste Ursache, dem großen
Wettbewerb im nächsten Jahre mit Besorgnis entgegenzusehen. Sie kann es
mit der ganzen Welt aufnehmen. Nur müssen es die Leiter der Ausstellung
verstehen, Alte und Junge zu den höchsten Anstrengungen zu ermuntern und
sie nicht durch die klägliche Rücksicht auf die Ausländer abzuschrecken.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Meineidsprozesse. Wenn eine Angelegenheit, die zwar hochwichtig ist,
aber nicht unmittelbar den Geldbeutel irgend einer einflußreichen Klasse berührt,
heute noch die gebührende Beachtung fände, so würde der Essener Prozeß eine
großartige Bewegung für baldige Abschaffung des Zeugeneides oder wenigstens des
Voreides entfesseln, denn die unzähligemal, namentlich auch in den Grenzboten, ve-
sprochne Widersinnigkeit dieser Einrichtung ist darin aufs grellste hervorgetreten.
Schröder wird aus einer Versammlung christlicher Bergleute hinausgewiesen. Der
Gendarm Münter folgt ihm auf dem Fuße. Beim Ausgange fällt Schröder hin,
von Münter gestoßen, wie er selbst behauptet, wie dagegen Münter behauptet, weil
er in der Eile gestolpert ist oder betrunken war. Die Deutsche Berg- und Hütten¬
arbeiter-Zeitung erzählt den Vorgang nach Schröters Auffassung. Ihr Redakteur
wird angeklagt. Schröder und sechs Eideshelfer beschwören ihre Lesart, Münter,


der Vergessenheit geriet oder sich in geschäftsmäßige Massenarbeit oder gar in
widerwärtige Manier verlor! Darum ist es jedenfalls sicherer, nicht die Rolle
des Propheten zu spielen. Oft nimmt die Entwicklung auch einen umgekehrten
Gang. So ist z. B. aus dem Düsseldorfer Historienmaler der alten Schule,
Hugo Vogel, ein realistischer Porträt- und Genremaler geworden, der trotz
mancher Abschweifungen in den Irrgarten des Naturalismus zu den charakter¬
vollsten Erscheinungen des Berliner Kunstlebens gehört, und der Bildnismaler
Max Koner, der jahrelang weiter nichts that, als Kaiserbildnisse in feierlicher
Repräsentation oder in mehr intimer Auffassung, meist nach bestimmten Auf¬
trägen, zu malen, hat sich mit großer Energie vor der Gefahr, ein Manierist
zu werden, geschützt und uns in seinen neuesten Bildnissen von Privatpersonen
durch eine Schärfe und Feinheit der Beobachtung überrascht, die uns die Hoff¬
nung einflößt, daß in Koner der Berliner Porträtmalerei wieder einmal ein
Talent von der Bedeutuug Gustav Richters erwachsen werde.

Wir lassen also alle Prophezeiungen. Wenn man aber alles zusammen
betrachtet, so hat die deutsche Kunst uicht die geringste Ursache, dem großen
Wettbewerb im nächsten Jahre mit Besorgnis entgegenzusehen. Sie kann es
mit der ganzen Welt aufnehmen. Nur müssen es die Leiter der Ausstellung
verstehen, Alte und Junge zu den höchsten Anstrengungen zu ermuntern und
sie nicht durch die klägliche Rücksicht auf die Ausländer abzuschrecken.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Meineidsprozesse. Wenn eine Angelegenheit, die zwar hochwichtig ist,
aber nicht unmittelbar den Geldbeutel irgend einer einflußreichen Klasse berührt,
heute noch die gebührende Beachtung fände, so würde der Essener Prozeß eine
großartige Bewegung für baldige Abschaffung des Zeugeneides oder wenigstens des
Voreides entfesseln, denn die unzähligemal, namentlich auch in den Grenzboten, ve-
sprochne Widersinnigkeit dieser Einrichtung ist darin aufs grellste hervorgetreten.
Schröder wird aus einer Versammlung christlicher Bergleute hinausgewiesen. Der
Gendarm Münter folgt ihm auf dem Fuße. Beim Ausgange fällt Schröder hin,
von Münter gestoßen, wie er selbst behauptet, wie dagegen Münter behauptet, weil
er in der Eile gestolpert ist oder betrunken war. Die Deutsche Berg- und Hütten¬
arbeiter-Zeitung erzählt den Vorgang nach Schröters Auffassung. Ihr Redakteur
wird angeklagt. Schröder und sechs Eideshelfer beschwören ihre Lesart, Münter,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/445>, abgerufen am 27.04.2024.