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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr

as Dichterwort, daß sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krank¬
heit forterben, erfährt in neuester Zeit insofern eine Einschränkung,
als man gewisse Rechte, die sich nur als Vorrechte der Besitzenden
gegenüber den Besitzlosen darstellen und den Besitzlosen gerechten
Anlaß zur Unzufriedenheit geben, allmählich abschafft. Zwar
die große Neichsjustizgesetzgebung von 1879 und der erste Entwurf eines bürger¬
liche"? Gesetzbuchs für das deutsche Reich haben die notwendige Rücksicht auf
die große Klasse der Besitzlosen noch nicht gekannt. Aber der zweite Entwurf
des bürgerlichen Gesetzbuchs steht schon auf einem etwas andern Standpunkt,
obwohl auch hier noch vieles zu verbessern gewesen wäre. Es gilt das
namentlich von einem Vorrecht der Besitzenden, das in Gemeinschaft mit einem
durch die Reichskonkursordnung eingeführten Vorrecht gleicher Art die be¬
dauerlichsten Mißstände hervorruft.

Schon bei den Römern bestand das Gesetz, daß dein Vermieter wegen
aller Ansprüche aus dem Mietvertrag an der gesamten Habe des Mieters, so¬
weit diese in die Mietwohnung eingebracht war, ein Pfandrecht, also das Recht
zustehe, aus dieser Habe vor andern Gläubigen, des Mieters befriedigt zu
werden. Dieses Vorzugsrecht hat, als das römische Recht im Mittelalter in
Deutschland allgemeines Gesetz wurde, auch bei uns Eingang gefunden und
ist dann fast in alle Gesetzbücher der Einzelstaaten übergegangen. Auch der
erste Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs und ebenso -- allerdings mit einigen
Abschwächungen -- der jetzt vorliegende zweite Entwurf haben das Pfandrecht
des Vermieters übernommen. Jeder praktische Jurist weiß, zu welchen Un-
billigkeiten dieses Recht führt: es stellt es vielfach in die Willkür des Ver¬
mieters, ob andre Gläubiger des Mieters überhaupt einmal etwas von ihrem
Schuldner erhalten sollen. Nach dem bestehenden Recht kann der Vermieter,
sobald ein andrer Gläubiger die Habe des Mieters durch den Gerichtsvollzieher
Pfändet, zwar nicht die Aufhebung dieser Pfändung verlangen, wohl aber be¬
anspruchen, daß er wegen aller Forderungen aus dem Mietvertrnge, insbesondre
wegen des Mietzinses, vorzugsweise aus den Pfandstücken befriedigt werde,
gleichviel, ob diese Forderungen erst in Zukunft fällig werden oder rückständig
sind, auch wenn er für seine Ansprüche zur Genüge anderweite Sicherheit hat.




Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr

as Dichterwort, daß sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krank¬
heit forterben, erfährt in neuester Zeit insofern eine Einschränkung,
als man gewisse Rechte, die sich nur als Vorrechte der Besitzenden
gegenüber den Besitzlosen darstellen und den Besitzlosen gerechten
Anlaß zur Unzufriedenheit geben, allmählich abschafft. Zwar
die große Neichsjustizgesetzgebung von 1879 und der erste Entwurf eines bürger¬
liche»? Gesetzbuchs für das deutsche Reich haben die notwendige Rücksicht auf
die große Klasse der Besitzlosen noch nicht gekannt. Aber der zweite Entwurf
des bürgerlichen Gesetzbuchs steht schon auf einem etwas andern Standpunkt,
obwohl auch hier noch vieles zu verbessern gewesen wäre. Es gilt das
namentlich von einem Vorrecht der Besitzenden, das in Gemeinschaft mit einem
durch die Reichskonkursordnung eingeführten Vorrecht gleicher Art die be¬
dauerlichsten Mißstände hervorruft.

Schon bei den Römern bestand das Gesetz, daß dein Vermieter wegen
aller Ansprüche aus dem Mietvertrag an der gesamten Habe des Mieters, so¬
weit diese in die Mietwohnung eingebracht war, ein Pfandrecht, also das Recht
zustehe, aus dieser Habe vor andern Gläubigen, des Mieters befriedigt zu
werden. Dieses Vorzugsrecht hat, als das römische Recht im Mittelalter in
Deutschland allgemeines Gesetz wurde, auch bei uns Eingang gefunden und
ist dann fast in alle Gesetzbücher der Einzelstaaten übergegangen. Auch der
erste Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs und ebenso — allerdings mit einigen
Abschwächungen — der jetzt vorliegende zweite Entwurf haben das Pfandrecht
des Vermieters übernommen. Jeder praktische Jurist weiß, zu welchen Un-
billigkeiten dieses Recht führt: es stellt es vielfach in die Willkür des Ver¬
mieters, ob andre Gläubiger des Mieters überhaupt einmal etwas von ihrem
Schuldner erhalten sollen. Nach dem bestehenden Recht kann der Vermieter,
sobald ein andrer Gläubiger die Habe des Mieters durch den Gerichtsvollzieher
Pfändet, zwar nicht die Aufhebung dieser Pfändung verlangen, wohl aber be¬
anspruchen, daß er wegen aller Forderungen aus dem Mietvertrnge, insbesondre
wegen des Mietzinses, vorzugsweise aus den Pfandstücken befriedigt werde,
gleichviel, ob diese Forderungen erst in Zukunft fällig werden oder rückständig
sind, auch wenn er für seine Ansprüche zur Genüge anderweite Sicherheit hat.


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[0514] [Abbildung] Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr as Dichterwort, daß sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krank¬ heit forterben, erfährt in neuester Zeit insofern eine Einschränkung, als man gewisse Rechte, die sich nur als Vorrechte der Besitzenden gegenüber den Besitzlosen darstellen und den Besitzlosen gerechten Anlaß zur Unzufriedenheit geben, allmählich abschafft. Zwar die große Neichsjustizgesetzgebung von 1879 und der erste Entwurf eines bürger¬ liche»? Gesetzbuchs für das deutsche Reich haben die notwendige Rücksicht auf die große Klasse der Besitzlosen noch nicht gekannt. Aber der zweite Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs steht schon auf einem etwas andern Standpunkt, obwohl auch hier noch vieles zu verbessern gewesen wäre. Es gilt das namentlich von einem Vorrecht der Besitzenden, das in Gemeinschaft mit einem durch die Reichskonkursordnung eingeführten Vorrecht gleicher Art die be¬ dauerlichsten Mißstände hervorruft. Schon bei den Römern bestand das Gesetz, daß dein Vermieter wegen aller Ansprüche aus dem Mietvertrag an der gesamten Habe des Mieters, so¬ weit diese in die Mietwohnung eingebracht war, ein Pfandrecht, also das Recht zustehe, aus dieser Habe vor andern Gläubigen, des Mieters befriedigt zu werden. Dieses Vorzugsrecht hat, als das römische Recht im Mittelalter in Deutschland allgemeines Gesetz wurde, auch bei uns Eingang gefunden und ist dann fast in alle Gesetzbücher der Einzelstaaten übergegangen. Auch der erste Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs und ebenso — allerdings mit einigen Abschwächungen — der jetzt vorliegende zweite Entwurf haben das Pfandrecht des Vermieters übernommen. Jeder praktische Jurist weiß, zu welchen Un- billigkeiten dieses Recht führt: es stellt es vielfach in die Willkür des Ver¬ mieters, ob andre Gläubiger des Mieters überhaupt einmal etwas von ihrem Schuldner erhalten sollen. Nach dem bestehenden Recht kann der Vermieter, sobald ein andrer Gläubiger die Habe des Mieters durch den Gerichtsvollzieher Pfändet, zwar nicht die Aufhebung dieser Pfändung verlangen, wohl aber be¬ anspruchen, daß er wegen aller Forderungen aus dem Mietvertrnge, insbesondre wegen des Mietzinses, vorzugsweise aus den Pfandstücken befriedigt werde, gleichviel, ob diese Forderungen erst in Zukunft fällig werden oder rückständig sind, auch wenn er für seine Ansprüche zur Genüge anderweite Sicherheit hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/514>, abgerufen am 28.04.2024.