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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der erste Beste
Erzählung von Btto Verdeck (Fortsetzung)
12

cum nur der Anfang nicht gar so schwer wäre! Wenn man nur
schon den Anfang überwunden hätte! Margarete stand ratlos
mit fest zusammengefalteten Händen in ihrem Zimmer und >sah
sich um, als könne sie von den Wänden ablesen, was zu thun sei.

Das Frühstück zwischen ihr und Mamselling war ziemlich
still und eintönig verlaufen. Nachdem sich das Altchen über
Margaretens Wiederherstellung vergewissert hatte, war das Gespräch nicht über
Äußerlichkeiten hinausgediehen. Beide waren verlegen gewesen: die eine, weil
sie nicht wußte, wovon sie reden solle, um die junge Herrin zu unterhalten,
da der Fritz nicht da war, und "da es ja gar und gar nichts gab, was sie
gefreut hätte"; die andre, weil sie den Faden nicht fand, an dem sie sich
hätte weiterspinnen können. Zu sagen hätte sie dann ja genug gehabt. Nur
wie beginnen? Sie konnte doch unmöglich anfangen: Liebes Mamselling, ich
habe das bisher ganz verkehrt gemacht, ich will mich bessern, ich will mich
nützlich machen, helfen Sie mir. So durfte sie als Hausfrau doch nicht
sprechen, ohne sich etwas zu vergeben. Denn wenn auch dieses Mamselling
seist seit einem Menschenalter auf ihrem Posten stand -- eine Untergebne war
und blieb sie doch. Wollte ja auch nichts andres sein, trotz des gemüt¬
lichen Tones, in dem sie mit Fritz und Hans verkehrte. Eine Dienerin, die
in ihrer Treue an längstvergangne Zeiten gemahnte, die zugleich die beste
Freundin ihres Mannes war, aber immer doch eine Dienerin. Und sich der
auf Gnade und Ungnade mit allen Selbstvorwürfen überantworten? Deren
Kritik herausfordern? Deren Belehrung erbitten? O nein!

Aber wie denn? Waren die klugen, grauen Augen, die so manchmal
vom untern Tischende her forschend auf ihr geruht hatten, nicht schon längst
selbst mit ihrem Urteil fertig? Hatten die das Margretchen nicht schon längst
durchschaut? Würden die etwa heute erstaunt blinzeln, wenn sie daherkäme
und sagte: Ich sehe nämlich ein, und so weiter? Würden die nicht am Ende
in all ihrer klugen Güte blinken und winken: Wohl, wohl, aber wir haben
ja noch Zeit? Und war dies in Treuen ergraute Haar, waren diese in un-




Der erste Beste
Erzählung von Btto Verdeck (Fortsetzung)
12

cum nur der Anfang nicht gar so schwer wäre! Wenn man nur
schon den Anfang überwunden hätte! Margarete stand ratlos
mit fest zusammengefalteten Händen in ihrem Zimmer und >sah
sich um, als könne sie von den Wänden ablesen, was zu thun sei.

Das Frühstück zwischen ihr und Mamselling war ziemlich
still und eintönig verlaufen. Nachdem sich das Altchen über
Margaretens Wiederherstellung vergewissert hatte, war das Gespräch nicht über
Äußerlichkeiten hinausgediehen. Beide waren verlegen gewesen: die eine, weil
sie nicht wußte, wovon sie reden solle, um die junge Herrin zu unterhalten,
da der Fritz nicht da war, und „da es ja gar und gar nichts gab, was sie
gefreut hätte"; die andre, weil sie den Faden nicht fand, an dem sie sich
hätte weiterspinnen können. Zu sagen hätte sie dann ja genug gehabt. Nur
wie beginnen? Sie konnte doch unmöglich anfangen: Liebes Mamselling, ich
habe das bisher ganz verkehrt gemacht, ich will mich bessern, ich will mich
nützlich machen, helfen Sie mir. So durfte sie als Hausfrau doch nicht
sprechen, ohne sich etwas zu vergeben. Denn wenn auch dieses Mamselling
seist seit einem Menschenalter auf ihrem Posten stand — eine Untergebne war
und blieb sie doch. Wollte ja auch nichts andres sein, trotz des gemüt¬
lichen Tones, in dem sie mit Fritz und Hans verkehrte. Eine Dienerin, die
in ihrer Treue an längstvergangne Zeiten gemahnte, die zugleich die beste
Freundin ihres Mannes war, aber immer doch eine Dienerin. Und sich der
auf Gnade und Ungnade mit allen Selbstvorwürfen überantworten? Deren
Kritik herausfordern? Deren Belehrung erbitten? O nein!

Aber wie denn? Waren die klugen, grauen Augen, die so manchmal
vom untern Tischende her forschend auf ihr geruht hatten, nicht schon längst
selbst mit ihrem Urteil fertig? Hatten die das Margretchen nicht schon längst
durchschaut? Würden die etwa heute erstaunt blinzeln, wenn sie daherkäme
und sagte: Ich sehe nämlich ein, und so weiter? Würden die nicht am Ende
in all ihrer klugen Güte blinken und winken: Wohl, wohl, aber wir haben
ja noch Zeit? Und war dies in Treuen ergraute Haar, waren diese in un-


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[0052] [Abbildung] Der erste Beste Erzählung von Btto Verdeck (Fortsetzung) 12 cum nur der Anfang nicht gar so schwer wäre! Wenn man nur schon den Anfang überwunden hätte! Margarete stand ratlos mit fest zusammengefalteten Händen in ihrem Zimmer und >sah sich um, als könne sie von den Wänden ablesen, was zu thun sei. Das Frühstück zwischen ihr und Mamselling war ziemlich still und eintönig verlaufen. Nachdem sich das Altchen über Margaretens Wiederherstellung vergewissert hatte, war das Gespräch nicht über Äußerlichkeiten hinausgediehen. Beide waren verlegen gewesen: die eine, weil sie nicht wußte, wovon sie reden solle, um die junge Herrin zu unterhalten, da der Fritz nicht da war, und „da es ja gar und gar nichts gab, was sie gefreut hätte"; die andre, weil sie den Faden nicht fand, an dem sie sich hätte weiterspinnen können. Zu sagen hätte sie dann ja genug gehabt. Nur wie beginnen? Sie konnte doch unmöglich anfangen: Liebes Mamselling, ich habe das bisher ganz verkehrt gemacht, ich will mich bessern, ich will mich nützlich machen, helfen Sie mir. So durfte sie als Hausfrau doch nicht sprechen, ohne sich etwas zu vergeben. Denn wenn auch dieses Mamselling seist seit einem Menschenalter auf ihrem Posten stand — eine Untergebne war und blieb sie doch. Wollte ja auch nichts andres sein, trotz des gemüt¬ lichen Tones, in dem sie mit Fritz und Hans verkehrte. Eine Dienerin, die in ihrer Treue an längstvergangne Zeiten gemahnte, die zugleich die beste Freundin ihres Mannes war, aber immer doch eine Dienerin. Und sich der auf Gnade und Ungnade mit allen Selbstvorwürfen überantworten? Deren Kritik herausfordern? Deren Belehrung erbitten? O nein! Aber wie denn? Waren die klugen, grauen Augen, die so manchmal vom untern Tischende her forschend auf ihr geruht hatten, nicht schon längst selbst mit ihrem Urteil fertig? Hatten die das Margretchen nicht schon längst durchschaut? Würden die etwa heute erstaunt blinzeln, wenn sie daherkäme und sagte: Ich sehe nämlich ein, und so weiter? Würden die nicht am Ende in all ihrer klugen Güte blinken und winken: Wohl, wohl, aber wir haben ja noch Zeit? Und war dies in Treuen ergraute Haar, waren diese in un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/52>, abgerufen am 28.04.2024.