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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

zu erreichen, ist eine ungerechtfertigte Begünstigung einzelner. Die schädlichen
Folgen davon haben denn auch im Reichstage zu dem Antrag Anlaß gegeben,
das Zwangsvergleichsverfahren an erschwerende Voraussetzungen zu knüpfen.
Aber die gänzliche Beseitigung dieses Verfahrens würde der Gerechtigkeit am
meisten entsprechen.


Dr. Lügen I°sef


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
3, Das Jahr 1.370 (Schluß)

MW-i^WW^AA"eiterhin bemerkte dann Lämmer noch in demselben Schreiben, ich
könnte mich dem Widerruf der Striegauer anschließen, aber das
genüge nicht; ich müßte außerdem uoch dies und das hinzufügen.
Darauf fchrieb ich am 7. Mai ans Amt:

Durch gütige Benachrichtigung des Herrn Kanonikus Professor
Dr. Lämmer veranlaßt, lege Einem u. f. w. ich folgende Erklärung zur Einrückung
in die Schlesische Zeitung gehorsamst vor:

"In meiner Erklärung vom 22. April hat mir die Absicht einer Übertretung
der Fürstbischöflicheu Verordnungen vom 12. Dezember 1861 und vom 8. Januar
1865 sern gelegen; ich bedaure den durch meine Meinungsäußerung gegebnen
Anstoß und anerkenne es im Sinne des Infolge meiner Erklärung erlassenen^ hoch¬
amtlichen Zirkulars vom 27. April e. als meine Pflicht, die Entscheidungen des
unter dem Beistand des heiligen Geistes versammelten Konzils ehrfurchtsvoll ab¬
zuwarten. Wenn jemand in meiner Meinungsäußerung eine Jrreverenz gegen den
Nachfolger des heiligen Petrus gefunden hat, so versichere ich, daß diese Deutung
gegen meinen Willen ist; an den Sätzen der katholischen xro5<zssio liäsi halte ich
fest, und daß mein Urteil über gewisse in einzelnen Sullabussätzen hervortretende
Anschauungen für andre uicht maßgebend ist, versteht sich von selbst. Im übrigen
verwerfe ich, was die Kirche verwirft, glaube ich, was die Kirche glaubt, und
lehre ich, was die Kirche lehrt."

Herr!)>-. Lämmer heißt mich noch das Geständnis hinzufügen, daß ich Dogmen
und kirchenpvlitische Fragen vermengt hätte. Das kann ich unmöglich anerkennen.
Eden gegen die in solcher Vermengung liegende Gefahr glaubte ich mich erheben
zu müssen. Möchten die kirchenpolitischen Fragen doch immerhin in Rom gelöst
werden, wie sie wollen, wenn nur die Lösung nicht als Dogma proklamirt wird,
wie das in den Kvnzilsvorlngen und im Syllnbus zu geschehen scheint.

Ich bin ein friedlicher Mensch, der nichts andres wünscht, als in stiller Ver¬
borgenheit und in positiver Thätigkeit Gott und dem Nächsten zu dienen.
Ein u. s. w. Amt bitte ich recht inständig, mich recht bald aus meiner peinlichen
Lage zu befreien, ohne mir Unmögliches zuzumuten. Jasagen, wo mein ganzes
Innere ein vernehmliches "nein" schreit, kann ich nicht. Ich komme ja mit keinem


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

zu erreichen, ist eine ungerechtfertigte Begünstigung einzelner. Die schädlichen
Folgen davon haben denn auch im Reichstage zu dem Antrag Anlaß gegeben,
das Zwangsvergleichsverfahren an erschwerende Voraussetzungen zu knüpfen.
Aber die gänzliche Beseitigung dieses Verfahrens würde der Gerechtigkeit am
meisten entsprechen.


Dr. Lügen I°sef


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
3, Das Jahr 1.370 (Schluß)

MW-i^WW^AA»eiterhin bemerkte dann Lämmer noch in demselben Schreiben, ich
könnte mich dem Widerruf der Striegauer anschließen, aber das
genüge nicht; ich müßte außerdem uoch dies und das hinzufügen.
Darauf fchrieb ich am 7. Mai ans Amt:

Durch gütige Benachrichtigung des Herrn Kanonikus Professor
Dr. Lämmer veranlaßt, lege Einem u. f. w. ich folgende Erklärung zur Einrückung
in die Schlesische Zeitung gehorsamst vor:

„In meiner Erklärung vom 22. April hat mir die Absicht einer Übertretung
der Fürstbischöflicheu Verordnungen vom 12. Dezember 1861 und vom 8. Januar
1865 sern gelegen; ich bedaure den durch meine Meinungsäußerung gegebnen
Anstoß und anerkenne es im Sinne des Infolge meiner Erklärung erlassenen^ hoch¬
amtlichen Zirkulars vom 27. April e. als meine Pflicht, die Entscheidungen des
unter dem Beistand des heiligen Geistes versammelten Konzils ehrfurchtsvoll ab¬
zuwarten. Wenn jemand in meiner Meinungsäußerung eine Jrreverenz gegen den
Nachfolger des heiligen Petrus gefunden hat, so versichere ich, daß diese Deutung
gegen meinen Willen ist; an den Sätzen der katholischen xro5<zssio liäsi halte ich
fest, und daß mein Urteil über gewisse in einzelnen Sullabussätzen hervortretende
Anschauungen für andre uicht maßgebend ist, versteht sich von selbst. Im übrigen
verwerfe ich, was die Kirche verwirft, glaube ich, was die Kirche glaubt, und
lehre ich, was die Kirche lehrt."

Herr!)>-. Lämmer heißt mich noch das Geständnis hinzufügen, daß ich Dogmen
und kirchenpvlitische Fragen vermengt hätte. Das kann ich unmöglich anerkennen.
Eden gegen die in solcher Vermengung liegende Gefahr glaubte ich mich erheben
zu müssen. Möchten die kirchenpolitischen Fragen doch immerhin in Rom gelöst
werden, wie sie wollen, wenn nur die Lösung nicht als Dogma proklamirt wird,
wie das in den Kvnzilsvorlngen und im Syllnbus zu geschehen scheint.

Ich bin ein friedlicher Mensch, der nichts andres wünscht, als in stiller Ver¬
borgenheit und in positiver Thätigkeit Gott und dem Nächsten zu dienen.
Ein u. s. w. Amt bitte ich recht inständig, mich recht bald aus meiner peinlichen
Lage zu befreien, ohne mir Unmögliches zuzumuten. Jasagen, wo mein ganzes
Innere ein vernehmliches „nein" schreit, kann ich nicht. Ich komme ja mit keinem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/520>, abgerufen am 28.04.2024.