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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

wißheit erlangt, daß Sie noch immer den Standpunkt des Rheinischen Merkur
festhalten, den Boden der kirchlichen Autorität verlassen und Papst und
Bischöfen gegenüber die Sprache Luthers führen. Sie sind leidenschaftlich
erregt, daher ihre geistige Verwirrung. Sie huldigen einem schrankenlosen
Subjektivismus und scheinen dabei keine Ahnung von der Gefahr zu haben,
in der Sie schweben. Gerade weil ich Sie lieb habe, sage ich Ihnen dies
offen, ohne Gehässigkeit, und werde nicht aufhören, Ihrer im Gebet eingedenk
zu bleiben."




Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig
von Adolf Bartels 4

i <Ms totÄ al"z vurrens porvsnit, s.et vöspizruiri, satis sse. Diesen
Ausspruch Petrarcas hat Emil Kuh als Motto über das letzte
Buch seiner Biographie Hebbels gesetzt. Sowohl von Hebbel
Wie von Ludwig gilt das totg. al"z ourrons im allerhöchsten und
tiefsten Sinne, ihr ganzes Leben war ein unermüdliches Ringen
nach dem, was sie als echte Kunst erkannt hatten, und der Tod hat ihnen die
Feder wirklich aus der Hemd genommen; denn Hebbel schrieb noch auf dem
Sterbelager am "Demetrius," und Ludwig schuf noch in den Wochen vor
seinem Tode den ersten Akt seines "Tiberius Gracchus" mit jenen ergreifenden
Abschiedsworten des Helden, die so schön wohl nur noch in Byrons "Man¬
fred" zu finden sind. Hebbels Abend war freundlich, der bedeutende Bühnen¬
erfolg seiner "Nibelungen" und ihre Auszeichnung durch den Schillerpreis
(den Ludwig nachträglich auch für die "Makkabäer" erhielt) wirft einen ver¬
söhnenden Glanz über das Ende dieses Dichterlebens, das so reich an An¬
fechtung und Kränkung war, der Dichter wird zum Schlich doch mit dem
wohlverdienten Lorber gekrönt und darf so sterben; Ludwigs Abend aber war
trübe, auch die Sorge stand an dem Lager des Dulders, und an frische Lorbeer-
krünze dachte schon lange niemand mehr. Im ganzen hat das deutsche Volk
bei beiden Dichtern keine besondre Veranlassung, der Todestage mit dem Ge¬
fühl der Erhebung im Bewußtsein erfüllter Pflicht zu gedenken, die Litteratur¬
welt aber noch viel weniger; es ist immer dafür gesorgt worden, daß dem
kargen Trunk Wein, den Hebbel und Ludwig hin und wieder an die Lippen


Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

wißheit erlangt, daß Sie noch immer den Standpunkt des Rheinischen Merkur
festhalten, den Boden der kirchlichen Autorität verlassen und Papst und
Bischöfen gegenüber die Sprache Luthers führen. Sie sind leidenschaftlich
erregt, daher ihre geistige Verwirrung. Sie huldigen einem schrankenlosen
Subjektivismus und scheinen dabei keine Ahnung von der Gefahr zu haben,
in der Sie schweben. Gerade weil ich Sie lieb habe, sage ich Ihnen dies
offen, ohne Gehässigkeit, und werde nicht aufhören, Ihrer im Gebet eingedenk
zu bleiben."




Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig
von Adolf Bartels 4

i <Ms totÄ al«z vurrens porvsnit, s.et vöspizruiri, satis sse. Diesen
Ausspruch Petrarcas hat Emil Kuh als Motto über das letzte
Buch seiner Biographie Hebbels gesetzt. Sowohl von Hebbel
Wie von Ludwig gilt das totg. al«z ourrons im allerhöchsten und
tiefsten Sinne, ihr ganzes Leben war ein unermüdliches Ringen
nach dem, was sie als echte Kunst erkannt hatten, und der Tod hat ihnen die
Feder wirklich aus der Hemd genommen; denn Hebbel schrieb noch auf dem
Sterbelager am „Demetrius," und Ludwig schuf noch in den Wochen vor
seinem Tode den ersten Akt seines „Tiberius Gracchus" mit jenen ergreifenden
Abschiedsworten des Helden, die so schön wohl nur noch in Byrons „Man¬
fred" zu finden sind. Hebbels Abend war freundlich, der bedeutende Bühnen¬
erfolg seiner „Nibelungen" und ihre Auszeichnung durch den Schillerpreis
(den Ludwig nachträglich auch für die „Makkabäer" erhielt) wirft einen ver¬
söhnenden Glanz über das Ende dieses Dichterlebens, das so reich an An¬
fechtung und Kränkung war, der Dichter wird zum Schlich doch mit dem
wohlverdienten Lorber gekrönt und darf so sterben; Ludwigs Abend aber war
trübe, auch die Sorge stand an dem Lager des Dulders, und an frische Lorbeer-
krünze dachte schon lange niemand mehr. Im ganzen hat das deutsche Volk
bei beiden Dichtern keine besondre Veranlassung, der Todestage mit dem Ge¬
fühl der Erhebung im Bewußtsein erfüllter Pflicht zu gedenken, die Litteratur¬
welt aber noch viel weniger; es ist immer dafür gesorgt worden, daß dem
kargen Trunk Wein, den Hebbel und Ludwig hin und wieder an die Lippen


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[0530] Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig wißheit erlangt, daß Sie noch immer den Standpunkt des Rheinischen Merkur festhalten, den Boden der kirchlichen Autorität verlassen und Papst und Bischöfen gegenüber die Sprache Luthers führen. Sie sind leidenschaftlich erregt, daher ihre geistige Verwirrung. Sie huldigen einem schrankenlosen Subjektivismus und scheinen dabei keine Ahnung von der Gefahr zu haben, in der Sie schweben. Gerade weil ich Sie lieb habe, sage ich Ihnen dies offen, ohne Gehässigkeit, und werde nicht aufhören, Ihrer im Gebet eingedenk zu bleiben." Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig von Adolf Bartels 4 i <Ms totÄ al«z vurrens porvsnit, s.et vöspizruiri, satis sse. Diesen Ausspruch Petrarcas hat Emil Kuh als Motto über das letzte Buch seiner Biographie Hebbels gesetzt. Sowohl von Hebbel Wie von Ludwig gilt das totg. al«z ourrons im allerhöchsten und tiefsten Sinne, ihr ganzes Leben war ein unermüdliches Ringen nach dem, was sie als echte Kunst erkannt hatten, und der Tod hat ihnen die Feder wirklich aus der Hemd genommen; denn Hebbel schrieb noch auf dem Sterbelager am „Demetrius," und Ludwig schuf noch in den Wochen vor seinem Tode den ersten Akt seines „Tiberius Gracchus" mit jenen ergreifenden Abschiedsworten des Helden, die so schön wohl nur noch in Byrons „Man¬ fred" zu finden sind. Hebbels Abend war freundlich, der bedeutende Bühnen¬ erfolg seiner „Nibelungen" und ihre Auszeichnung durch den Schillerpreis (den Ludwig nachträglich auch für die „Makkabäer" erhielt) wirft einen ver¬ söhnenden Glanz über das Ende dieses Dichterlebens, das so reich an An¬ fechtung und Kränkung war, der Dichter wird zum Schlich doch mit dem wohlverdienten Lorber gekrönt und darf so sterben; Ludwigs Abend aber war trübe, auch die Sorge stand an dem Lager des Dulders, und an frische Lorbeer- krünze dachte schon lange niemand mehr. Im ganzen hat das deutsche Volk bei beiden Dichtern keine besondre Veranlassung, der Todestage mit dem Ge¬ fühl der Erhebung im Bewußtsein erfüllter Pflicht zu gedenken, die Litteratur¬ welt aber noch viel weniger; es ist immer dafür gesorgt worden, daß dem kargen Trunk Wein, den Hebbel und Ludwig hin und wieder an die Lippen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/530>, abgerufen am 28.04.2024.