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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

setzen durften, die Wermutstropfen uicht fehlten, und die Stellung inmitten
der Nation, die sie ihrer Bedeutung nach beanspruchen durften, haben sie
niemals gehabt. Es ist das freilich auch andern Künstlern so ergangen, und
eine Art Entschuldigung giebt es: die stark ausgeprägte Besonderheit der
Dichter. Dennoch wird mau mit den übelwollenden Gegnern namentlich
Hebbels noch einmal sehr scharf, schärfer als es Kuh gethan hat, ins Gericht zu
gehen haben, und die Nachwelt hat bei beiden sehr viel wieder gut zu machen,
soviel eben wieder gut zu machen ist.

Bisher hat sie das noch nicht in hohem Maße gethan, erst unsre Tage
machen den Anfang dazu. Als in den siebziger Jahren die Biographie Hebbels
von Kuh erschien, die das junge Deutschland und auch andre Dichter und
Schriftsteller nicht sehr sanft anfaßte, da gab es einen gewaltigen Sturm,
mau hätte Friedrich Hebbel gar zu gern aus der deutschen Litteraturgeschichte
hinausgeworfen. Aber das ging leider nicht, da er eine Gemeinde begeisterter
Anhänger hatte. Urteile über Friedrich Hebbel, die etwa im Geiste Heinrich
Laubes geschrieben sind, findet mau noch zuweilen in den Litteraturgeschichten,
wirkliche Kenner der gesamten Werke des Dichters sind immer noch nicht allzu
häufig; vor allem werden die alten böswilligen Anekdoten über den Dichter
stets noch gern kolportirt, ja sogar gelegentlich noch durch neue vermehrt, so
neuerdings noch durch Müller-Guttenbrunn in einem Aufsatze über Otto
Prechtler und nach diesem, der ja allerdings die rechte Autorität in Bezug
auf einen Mann wie Hebbel ist, durch Hanslick in seinen Lebenserinnerungen,
der zwar ein Verehrer Hebbels ist, aber das Wesen des Dichters als
Ganzes nicht richtig aufzufassen vermochte und daher aus Einzelheiten falsche
Schlüsse zog. Ludwig kommt im allgemeinen besser weg; er lebte in der
Einsamkeit und war in der That liebenswürdiger als Hebbel, sodaß sich Klatsch
und Anekdote nicht an seine Fersen heften konnten. Aber seine Werke wurden
von unsern Literarhistorikern auch nur selten uach Verdienst gewürdigt, von
seiner Entwicklung wußte man nichts, und seine Gesamterscheinung verstand
man nicht. Neuerdings wird das, wie gesagt, anders. Man braucht Leuten,
die über Hebbel und Ludwig sprechen oder gar schreiben, nicht so oft mehr
nachzuweisen, daß sie keinen von beiden gelesen haben, die seit einem Menschen¬
alter feststehenden Phrasen über beide reichen heutzutage wirklich nicht mehr
ans, die Jugend studirt die Dichter, zumal Hebbel, der schon in billigen Volks¬
ausgaben vorliegt, und selbst unsre philologische Welt hat bereits begriffen,
daß bei beiden Dichtern mehr Kärrnerarbeit zu thun ist als bei irgendeinem
andern nachklassischen Dichter. Zu ihrem vollen Recht verhelfen kann beiden
nur die Bühne; sie hat, namentlich mit Hebbel, den Anfang gemacht und wird
sicher auch fortfahren, denn unser klassisches Repertoire, selbst Kleist und Grill-
parzer schon eingeschlossen, bedarf dringend einer Erweiterung und Auffrischung,
und da bieten sich uur Hebbel und Ludwig. Die Surrogate Laubes und selbst


Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

setzen durften, die Wermutstropfen uicht fehlten, und die Stellung inmitten
der Nation, die sie ihrer Bedeutung nach beanspruchen durften, haben sie
niemals gehabt. Es ist das freilich auch andern Künstlern so ergangen, und
eine Art Entschuldigung giebt es: die stark ausgeprägte Besonderheit der
Dichter. Dennoch wird mau mit den übelwollenden Gegnern namentlich
Hebbels noch einmal sehr scharf, schärfer als es Kuh gethan hat, ins Gericht zu
gehen haben, und die Nachwelt hat bei beiden sehr viel wieder gut zu machen,
soviel eben wieder gut zu machen ist.

Bisher hat sie das noch nicht in hohem Maße gethan, erst unsre Tage
machen den Anfang dazu. Als in den siebziger Jahren die Biographie Hebbels
von Kuh erschien, die das junge Deutschland und auch andre Dichter und
Schriftsteller nicht sehr sanft anfaßte, da gab es einen gewaltigen Sturm,
mau hätte Friedrich Hebbel gar zu gern aus der deutschen Litteraturgeschichte
hinausgeworfen. Aber das ging leider nicht, da er eine Gemeinde begeisterter
Anhänger hatte. Urteile über Friedrich Hebbel, die etwa im Geiste Heinrich
Laubes geschrieben sind, findet mau noch zuweilen in den Litteraturgeschichten,
wirkliche Kenner der gesamten Werke des Dichters sind immer noch nicht allzu
häufig; vor allem werden die alten böswilligen Anekdoten über den Dichter
stets noch gern kolportirt, ja sogar gelegentlich noch durch neue vermehrt, so
neuerdings noch durch Müller-Guttenbrunn in einem Aufsatze über Otto
Prechtler und nach diesem, der ja allerdings die rechte Autorität in Bezug
auf einen Mann wie Hebbel ist, durch Hanslick in seinen Lebenserinnerungen,
der zwar ein Verehrer Hebbels ist, aber das Wesen des Dichters als
Ganzes nicht richtig aufzufassen vermochte und daher aus Einzelheiten falsche
Schlüsse zog. Ludwig kommt im allgemeinen besser weg; er lebte in der
Einsamkeit und war in der That liebenswürdiger als Hebbel, sodaß sich Klatsch
und Anekdote nicht an seine Fersen heften konnten. Aber seine Werke wurden
von unsern Literarhistorikern auch nur selten uach Verdienst gewürdigt, von
seiner Entwicklung wußte man nichts, und seine Gesamterscheinung verstand
man nicht. Neuerdings wird das, wie gesagt, anders. Man braucht Leuten,
die über Hebbel und Ludwig sprechen oder gar schreiben, nicht so oft mehr
nachzuweisen, daß sie keinen von beiden gelesen haben, die seit einem Menschen¬
alter feststehenden Phrasen über beide reichen heutzutage wirklich nicht mehr
ans, die Jugend studirt die Dichter, zumal Hebbel, der schon in billigen Volks¬
ausgaben vorliegt, und selbst unsre philologische Welt hat bereits begriffen,
daß bei beiden Dichtern mehr Kärrnerarbeit zu thun ist als bei irgendeinem
andern nachklassischen Dichter. Zu ihrem vollen Recht verhelfen kann beiden
nur die Bühne; sie hat, namentlich mit Hebbel, den Anfang gemacht und wird
sicher auch fortfahren, denn unser klassisches Repertoire, selbst Kleist und Grill-
parzer schon eingeschlossen, bedarf dringend einer Erweiterung und Auffrischung,
und da bieten sich uur Hebbel und Ludwig. Die Surrogate Laubes und selbst


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[0531] Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig setzen durften, die Wermutstropfen uicht fehlten, und die Stellung inmitten der Nation, die sie ihrer Bedeutung nach beanspruchen durften, haben sie niemals gehabt. Es ist das freilich auch andern Künstlern so ergangen, und eine Art Entschuldigung giebt es: die stark ausgeprägte Besonderheit der Dichter. Dennoch wird mau mit den übelwollenden Gegnern namentlich Hebbels noch einmal sehr scharf, schärfer als es Kuh gethan hat, ins Gericht zu gehen haben, und die Nachwelt hat bei beiden sehr viel wieder gut zu machen, soviel eben wieder gut zu machen ist. Bisher hat sie das noch nicht in hohem Maße gethan, erst unsre Tage machen den Anfang dazu. Als in den siebziger Jahren die Biographie Hebbels von Kuh erschien, die das junge Deutschland und auch andre Dichter und Schriftsteller nicht sehr sanft anfaßte, da gab es einen gewaltigen Sturm, mau hätte Friedrich Hebbel gar zu gern aus der deutschen Litteraturgeschichte hinausgeworfen. Aber das ging leider nicht, da er eine Gemeinde begeisterter Anhänger hatte. Urteile über Friedrich Hebbel, die etwa im Geiste Heinrich Laubes geschrieben sind, findet mau noch zuweilen in den Litteraturgeschichten, wirkliche Kenner der gesamten Werke des Dichters sind immer noch nicht allzu häufig; vor allem werden die alten böswilligen Anekdoten über den Dichter stets noch gern kolportirt, ja sogar gelegentlich noch durch neue vermehrt, so neuerdings noch durch Müller-Guttenbrunn in einem Aufsatze über Otto Prechtler und nach diesem, der ja allerdings die rechte Autorität in Bezug auf einen Mann wie Hebbel ist, durch Hanslick in seinen Lebenserinnerungen, der zwar ein Verehrer Hebbels ist, aber das Wesen des Dichters als Ganzes nicht richtig aufzufassen vermochte und daher aus Einzelheiten falsche Schlüsse zog. Ludwig kommt im allgemeinen besser weg; er lebte in der Einsamkeit und war in der That liebenswürdiger als Hebbel, sodaß sich Klatsch und Anekdote nicht an seine Fersen heften konnten. Aber seine Werke wurden von unsern Literarhistorikern auch nur selten uach Verdienst gewürdigt, von seiner Entwicklung wußte man nichts, und seine Gesamterscheinung verstand man nicht. Neuerdings wird das, wie gesagt, anders. Man braucht Leuten, die über Hebbel und Ludwig sprechen oder gar schreiben, nicht so oft mehr nachzuweisen, daß sie keinen von beiden gelesen haben, die seit einem Menschen¬ alter feststehenden Phrasen über beide reichen heutzutage wirklich nicht mehr ans, die Jugend studirt die Dichter, zumal Hebbel, der schon in billigen Volks¬ ausgaben vorliegt, und selbst unsre philologische Welt hat bereits begriffen, daß bei beiden Dichtern mehr Kärrnerarbeit zu thun ist als bei irgendeinem andern nachklassischen Dichter. Zu ihrem vollen Recht verhelfen kann beiden nur die Bühne; sie hat, namentlich mit Hebbel, den Anfang gemacht und wird sicher auch fortfahren, denn unser klassisches Repertoire, selbst Kleist und Grill- parzer schon eingeschlossen, bedarf dringend einer Erweiterung und Auffrischung, und da bieten sich uur Hebbel und Ludwig. Die Surrogate Laubes und selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/531>, abgerufen am 12.05.2024.