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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zum Währungskampfe

Goldwährung noch gar nicht ermessen konnten, welchen Gefahren wir dadurch
entgangen sind. Die außerordentlich gesteigerte Silbergewinnuug hätte uns
entweder wirtschaftlich vernichtet oder uns genötigt, später unter viel größern
Opfern zur Goldwährung überzugehen. In den zehn Jahren von 1884 bis
1893 hatten wir eine durchschnittliche Jahreserzeugung von 384088 Kilo
Silber. Der Wert dieser Silbergewinnuug ist auf die Hälfte gesunken, die
Preishebung aber, die erreichbar wäre, würde durch den Ziusverlust, den wir
bei der Entwertung unsers teuer erkauften Goldgeldes von 3 Milliarden all¬
jährlich zu erleiden hätten, mehr als ausgeglichen werden. So bedauerlich
es auch ist, deu Ertrag unsrer Silberminen, also einen Teil unsrer eignen
Produktion entwertet zu sehen, so wäre es doch eine verblendete Wirtschafts¬
politik, wenn wir uns den Gefahren der freien Silberprügung selbst bei einem
annehmbaren Wertverhältnis zum Golde freiwillig aussetzen wollten. Freilich
regt sich auch in andern europäischen Ländern, die keine Silberminen haben,
also an der Hebung des Silberpreises noch weniger interessirt sind als wir,
die Agitation für den Bimetallismus. Es ist aber wohl kein unbegrün¬
deter Verdacht, daß dieser erkünstelten Begeisterung in dem einen und dem
andern Lande schlaue Spekulationen zu Grunde liegen. Es ist jenen Ländern
viel mehr darum zu thun, ihre großen Silbervorräte günstig abzustoßen, als
neue Silbermünzen aufzunehmen und auszuprägen. Uns aber schützt vor den
Nachteilen des Bimetallismus vorläufig uicht unsre eigne Einsicht, sondern
die Eifersucht Englands, das lieber große Verluste als die Abhängigkeit von
den Silberkönigen Amerikas ertragen will. Hohe Zeit ist es aber, bei uns
in den breiten Massen der ehrlich und einfach denkenden Menschen der Er¬
kenntnis Eingang zu schaffen, daß der Bimetallismus zu jenen wirtschaftlichen
Bestrebungen gehört, die auf Kosten der Allgemeinheit Sonderinteressen ver¬
folgen. Wirtschaftliche Sonderinteressen widerstreiten einander und müssen ein¬
ander widerstreiten, ohne Opferwilligkeit läßt sich kaum eine einzige wirtschaft¬
liche Maßregel, keine einzige Steuer durchsetzen. Nach Verfassung und Recht
soll deshalb jeder Abgeordnete und jeder Reichstagsbote ein Vertreter des ge¬
samten Volks, nicht bloß ein Vertreter seiner Wähler mit ihren wirtschaft¬
lichen Sonderinteressen sein. Diesem idealen Gedanken widerspricht der Rat,
wirtschaftliche Parteien zu bilden, er bedeutet nichts andres, als die Aus-
antwortung der Fürsorge für das Gesamtwohl an die unvereinbarer und ein¬
ander widerstreitenden Sonderinteressen einzelner Bevölkerungsklassen. Das
Volk aber muß wissen, daß die Beschlüsse solcher Parteien nicht einmal von
dem guten Willen, das öffentliche Wohl zu fördern,- erfüllt sind.

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So manchem, der nicht unzugänglich für die Notlage unsrer Landwirt¬
schaft ist, wird es als eine zu starke Zumutung erscheinen, von den Agrariern


Zum Währungskampfe

Goldwährung noch gar nicht ermessen konnten, welchen Gefahren wir dadurch
entgangen sind. Die außerordentlich gesteigerte Silbergewinnuug hätte uns
entweder wirtschaftlich vernichtet oder uns genötigt, später unter viel größern
Opfern zur Goldwährung überzugehen. In den zehn Jahren von 1884 bis
1893 hatten wir eine durchschnittliche Jahreserzeugung von 384088 Kilo
Silber. Der Wert dieser Silbergewinnuug ist auf die Hälfte gesunken, die
Preishebung aber, die erreichbar wäre, würde durch den Ziusverlust, den wir
bei der Entwertung unsers teuer erkauften Goldgeldes von 3 Milliarden all¬
jährlich zu erleiden hätten, mehr als ausgeglichen werden. So bedauerlich
es auch ist, deu Ertrag unsrer Silberminen, also einen Teil unsrer eignen
Produktion entwertet zu sehen, so wäre es doch eine verblendete Wirtschafts¬
politik, wenn wir uns den Gefahren der freien Silberprügung selbst bei einem
annehmbaren Wertverhältnis zum Golde freiwillig aussetzen wollten. Freilich
regt sich auch in andern europäischen Ländern, die keine Silberminen haben,
also an der Hebung des Silberpreises noch weniger interessirt sind als wir,
die Agitation für den Bimetallismus. Es ist aber wohl kein unbegrün¬
deter Verdacht, daß dieser erkünstelten Begeisterung in dem einen und dem
andern Lande schlaue Spekulationen zu Grunde liegen. Es ist jenen Ländern
viel mehr darum zu thun, ihre großen Silbervorräte günstig abzustoßen, als
neue Silbermünzen aufzunehmen und auszuprägen. Uns aber schützt vor den
Nachteilen des Bimetallismus vorläufig uicht unsre eigne Einsicht, sondern
die Eifersucht Englands, das lieber große Verluste als die Abhängigkeit von
den Silberkönigen Amerikas ertragen will. Hohe Zeit ist es aber, bei uns
in den breiten Massen der ehrlich und einfach denkenden Menschen der Er¬
kenntnis Eingang zu schaffen, daß der Bimetallismus zu jenen wirtschaftlichen
Bestrebungen gehört, die auf Kosten der Allgemeinheit Sonderinteressen ver¬
folgen. Wirtschaftliche Sonderinteressen widerstreiten einander und müssen ein¬
ander widerstreiten, ohne Opferwilligkeit läßt sich kaum eine einzige wirtschaft¬
liche Maßregel, keine einzige Steuer durchsetzen. Nach Verfassung und Recht
soll deshalb jeder Abgeordnete und jeder Reichstagsbote ein Vertreter des ge¬
samten Volks, nicht bloß ein Vertreter seiner Wähler mit ihren wirtschaft¬
lichen Sonderinteressen sein. Diesem idealen Gedanken widerspricht der Rat,
wirtschaftliche Parteien zu bilden, er bedeutet nichts andres, als die Aus-
antwortung der Fürsorge für das Gesamtwohl an die unvereinbarer und ein¬
ander widerstreitenden Sonderinteressen einzelner Bevölkerungsklassen. Das
Volk aber muß wissen, daß die Beschlüsse solcher Parteien nicht einmal von
dem guten Willen, das öffentliche Wohl zu fördern,- erfüllt sind.

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So manchem, der nicht unzugänglich für die Notlage unsrer Landwirt¬
schaft ist, wird es als eine zu starke Zumutung erscheinen, von den Agrariern


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[0602] Zum Währungskampfe Goldwährung noch gar nicht ermessen konnten, welchen Gefahren wir dadurch entgangen sind. Die außerordentlich gesteigerte Silbergewinnuug hätte uns entweder wirtschaftlich vernichtet oder uns genötigt, später unter viel größern Opfern zur Goldwährung überzugehen. In den zehn Jahren von 1884 bis 1893 hatten wir eine durchschnittliche Jahreserzeugung von 384088 Kilo Silber. Der Wert dieser Silbergewinnuug ist auf die Hälfte gesunken, die Preishebung aber, die erreichbar wäre, würde durch den Ziusverlust, den wir bei der Entwertung unsers teuer erkauften Goldgeldes von 3 Milliarden all¬ jährlich zu erleiden hätten, mehr als ausgeglichen werden. So bedauerlich es auch ist, deu Ertrag unsrer Silberminen, also einen Teil unsrer eignen Produktion entwertet zu sehen, so wäre es doch eine verblendete Wirtschafts¬ politik, wenn wir uns den Gefahren der freien Silberprügung selbst bei einem annehmbaren Wertverhältnis zum Golde freiwillig aussetzen wollten. Freilich regt sich auch in andern europäischen Ländern, die keine Silberminen haben, also an der Hebung des Silberpreises noch weniger interessirt sind als wir, die Agitation für den Bimetallismus. Es ist aber wohl kein unbegrün¬ deter Verdacht, daß dieser erkünstelten Begeisterung in dem einen und dem andern Lande schlaue Spekulationen zu Grunde liegen. Es ist jenen Ländern viel mehr darum zu thun, ihre großen Silbervorräte günstig abzustoßen, als neue Silbermünzen aufzunehmen und auszuprägen. Uns aber schützt vor den Nachteilen des Bimetallismus vorläufig uicht unsre eigne Einsicht, sondern die Eifersucht Englands, das lieber große Verluste als die Abhängigkeit von den Silberkönigen Amerikas ertragen will. Hohe Zeit ist es aber, bei uns in den breiten Massen der ehrlich und einfach denkenden Menschen der Er¬ kenntnis Eingang zu schaffen, daß der Bimetallismus zu jenen wirtschaftlichen Bestrebungen gehört, die auf Kosten der Allgemeinheit Sonderinteressen ver¬ folgen. Wirtschaftliche Sonderinteressen widerstreiten einander und müssen ein¬ ander widerstreiten, ohne Opferwilligkeit läßt sich kaum eine einzige wirtschaft¬ liche Maßregel, keine einzige Steuer durchsetzen. Nach Verfassung und Recht soll deshalb jeder Abgeordnete und jeder Reichstagsbote ein Vertreter des ge¬ samten Volks, nicht bloß ein Vertreter seiner Wähler mit ihren wirtschaft¬ lichen Sonderinteressen sein. Diesem idealen Gedanken widerspricht der Rat, wirtschaftliche Parteien zu bilden, er bedeutet nichts andres, als die Aus- antwortung der Fürsorge für das Gesamtwohl an die unvereinbarer und ein¬ ander widerstreitenden Sonderinteressen einzelner Bevölkerungsklassen. Das Volk aber muß wissen, daß die Beschlüsse solcher Parteien nicht einmal von dem guten Willen, das öffentliche Wohl zu fördern,- erfüllt sind. 3 So manchem, der nicht unzugänglich für die Notlage unsrer Landwirt¬ schaft ist, wird es als eine zu starke Zumutung erscheinen, von den Agrariern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/602>, abgerufen am 28.04.2024.