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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zum lvährungskampfe

zu fordern, daß sie im Kampfe ums Dasein mehr das Gemeinwohl als ihr
Interesse im Auge haben sollen. Aber auch die Landwirtschaft ist nur ein
Glied in der allgemeinen Kette, sie ist des Staates wegen da und darf nicht
beanspruchen, daß der Staat so auftrete, als wenn er nur ihretwegen dasei.
Was sie bedrückt, liegt in der Wirtschaftsordnung tief begründet, kann jedes
Gewerbe ebenso treffen wie sie und hat wohl auch im Lauf der Zeiten jedes
Gewerbe mehr oder weniger bedrängt. Wollen die Agrarier auf dem Boden
unsrer Wirtschaftsordnung stehen bleiben, so müssen sie die Landwirtschaft den
veränderten Verhültnisfen anpassen; undurchführbar ist ihr Bestreben, die be¬
stehende Wirtschaftsordnung, nur soweit sie ihren Besitz sichert, aufrecht zu er¬
halten, von der Ungunst des Wettbewerbs aber sich durch Staatshilse frei¬
zumachen. So wie sich die Volkswirtschaft der Welt entwickelt hat, ist das
wirtschaftliche Leben eines Volks und sein Reichtum, wenn wir von der hier
nicht weiter in Betracht kommenden Größe seiner Forderungen an das Aus¬
land ganz absehen, viel weniger von der Fülle seiner Produktion als von den
Preisen, die dafür erzielt werden, abhängig. Die Gebrauchswerte werden nur
als Mittel zum Zweck hergestellt, während die Arbeit der Kulturwelt recht
eigentlich die Bildung möglichst hoher Tauschwerte bezweckt. Soweit wir es
übersehen können, gehen alle sozialdemokratischen Lehren, einschließlich der
Theorien von Karl Marx, von der Betrachtung aus, daß unsre Wirtschafts¬
ordnung mit ihrer Tauschwertbildung falsch sein müsse, da wir überall ein
Übermaß von Gebranchswerten haben, und wo es fehlt, es uns bei der unend¬
lichen Ergiebigkeit vou Kraft und Stoff leicht verschaffen könnten, eine solche
Gebrauchswertbildnng sich aber unter dem freien Wettbewerb nicht entwickeln
könne, weil der Unternehmer, wenn er Gewinn erzielen und seine Arbeiter
bezahlen wolle, nicht auf möglichst viele Gebrauchswerte, sondern auf mög¬
lichst hohe Tauschwerte bedacht sein müsse und die Fülle der Gebrauchswerte
ihren Tauschwertpreis herunterdrückten. So könne es kommen, daß der
Arbeiter gerade dann brotlos werde, wenn infolge von Überproduktion
die Gebrauchswerte, die doch allein unmittelbar zur Befriedigung der mensch¬
lichen Bedürfnisse dienen, in zu großer Fülle vorhanden sind und zu Schleuder¬
preisen veräußert werden müssen. Der Wunsch, diesen Mängeln abzuhelfen,
die Gebrauchswerte in Hülle und Fülle nach den Bedürfnissen der Menschheit
herzustellen und sie allen zugänglich zu machen, ist wohl allgemein, aber mit
dem Wunsche ist es nicht abgethan, und das Mittel der Sozialdemokraten,
den Egoismus aus der Volkswirtschaft zu verbannen, sodaß es auf den Tausch¬
wert uicht mehr ankommen kann, ist unzweifelhaft verfehlt. Ebenso wie die
Sozialdemokraten, sehen auch die Agrarier in der Abhängigkeit von der Pro¬
duktion unter freiem Wettbewerb ein unerträgliches Übel, aber noch verwerf¬
licher als kommunistische Wirtschaft wäre es, wenn wir den Egoismus unsrer
Wirtschaftsordnung so weit übertreiben wollten, daß der Staat einzelnen Ge-


Zum lvährungskampfe

zu fordern, daß sie im Kampfe ums Dasein mehr das Gemeinwohl als ihr
Interesse im Auge haben sollen. Aber auch die Landwirtschaft ist nur ein
Glied in der allgemeinen Kette, sie ist des Staates wegen da und darf nicht
beanspruchen, daß der Staat so auftrete, als wenn er nur ihretwegen dasei.
Was sie bedrückt, liegt in der Wirtschaftsordnung tief begründet, kann jedes
Gewerbe ebenso treffen wie sie und hat wohl auch im Lauf der Zeiten jedes
Gewerbe mehr oder weniger bedrängt. Wollen die Agrarier auf dem Boden
unsrer Wirtschaftsordnung stehen bleiben, so müssen sie die Landwirtschaft den
veränderten Verhültnisfen anpassen; undurchführbar ist ihr Bestreben, die be¬
stehende Wirtschaftsordnung, nur soweit sie ihren Besitz sichert, aufrecht zu er¬
halten, von der Ungunst des Wettbewerbs aber sich durch Staatshilse frei¬
zumachen. So wie sich die Volkswirtschaft der Welt entwickelt hat, ist das
wirtschaftliche Leben eines Volks und sein Reichtum, wenn wir von der hier
nicht weiter in Betracht kommenden Größe seiner Forderungen an das Aus¬
land ganz absehen, viel weniger von der Fülle seiner Produktion als von den
Preisen, die dafür erzielt werden, abhängig. Die Gebrauchswerte werden nur
als Mittel zum Zweck hergestellt, während die Arbeit der Kulturwelt recht
eigentlich die Bildung möglichst hoher Tauschwerte bezweckt. Soweit wir es
übersehen können, gehen alle sozialdemokratischen Lehren, einschließlich der
Theorien von Karl Marx, von der Betrachtung aus, daß unsre Wirtschafts¬
ordnung mit ihrer Tauschwertbildung falsch sein müsse, da wir überall ein
Übermaß von Gebranchswerten haben, und wo es fehlt, es uns bei der unend¬
lichen Ergiebigkeit vou Kraft und Stoff leicht verschaffen könnten, eine solche
Gebrauchswertbildnng sich aber unter dem freien Wettbewerb nicht entwickeln
könne, weil der Unternehmer, wenn er Gewinn erzielen und seine Arbeiter
bezahlen wolle, nicht auf möglichst viele Gebrauchswerte, sondern auf mög¬
lichst hohe Tauschwerte bedacht sein müsse und die Fülle der Gebrauchswerte
ihren Tauschwertpreis herunterdrückten. So könne es kommen, daß der
Arbeiter gerade dann brotlos werde, wenn infolge von Überproduktion
die Gebrauchswerte, die doch allein unmittelbar zur Befriedigung der mensch¬
lichen Bedürfnisse dienen, in zu großer Fülle vorhanden sind und zu Schleuder¬
preisen veräußert werden müssen. Der Wunsch, diesen Mängeln abzuhelfen,
die Gebrauchswerte in Hülle und Fülle nach den Bedürfnissen der Menschheit
herzustellen und sie allen zugänglich zu machen, ist wohl allgemein, aber mit
dem Wunsche ist es nicht abgethan, und das Mittel der Sozialdemokraten,
den Egoismus aus der Volkswirtschaft zu verbannen, sodaß es auf den Tausch¬
wert uicht mehr ankommen kann, ist unzweifelhaft verfehlt. Ebenso wie die
Sozialdemokraten, sehen auch die Agrarier in der Abhängigkeit von der Pro¬
duktion unter freiem Wettbewerb ein unerträgliches Übel, aber noch verwerf¬
licher als kommunistische Wirtschaft wäre es, wenn wir den Egoismus unsrer
Wirtschaftsordnung so weit übertreiben wollten, daß der Staat einzelnen Ge-


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[0603] Zum lvährungskampfe zu fordern, daß sie im Kampfe ums Dasein mehr das Gemeinwohl als ihr Interesse im Auge haben sollen. Aber auch die Landwirtschaft ist nur ein Glied in der allgemeinen Kette, sie ist des Staates wegen da und darf nicht beanspruchen, daß der Staat so auftrete, als wenn er nur ihretwegen dasei. Was sie bedrückt, liegt in der Wirtschaftsordnung tief begründet, kann jedes Gewerbe ebenso treffen wie sie und hat wohl auch im Lauf der Zeiten jedes Gewerbe mehr oder weniger bedrängt. Wollen die Agrarier auf dem Boden unsrer Wirtschaftsordnung stehen bleiben, so müssen sie die Landwirtschaft den veränderten Verhültnisfen anpassen; undurchführbar ist ihr Bestreben, die be¬ stehende Wirtschaftsordnung, nur soweit sie ihren Besitz sichert, aufrecht zu er¬ halten, von der Ungunst des Wettbewerbs aber sich durch Staatshilse frei¬ zumachen. So wie sich die Volkswirtschaft der Welt entwickelt hat, ist das wirtschaftliche Leben eines Volks und sein Reichtum, wenn wir von der hier nicht weiter in Betracht kommenden Größe seiner Forderungen an das Aus¬ land ganz absehen, viel weniger von der Fülle seiner Produktion als von den Preisen, die dafür erzielt werden, abhängig. Die Gebrauchswerte werden nur als Mittel zum Zweck hergestellt, während die Arbeit der Kulturwelt recht eigentlich die Bildung möglichst hoher Tauschwerte bezweckt. Soweit wir es übersehen können, gehen alle sozialdemokratischen Lehren, einschließlich der Theorien von Karl Marx, von der Betrachtung aus, daß unsre Wirtschafts¬ ordnung mit ihrer Tauschwertbildung falsch sein müsse, da wir überall ein Übermaß von Gebranchswerten haben, und wo es fehlt, es uns bei der unend¬ lichen Ergiebigkeit vou Kraft und Stoff leicht verschaffen könnten, eine solche Gebrauchswertbildnng sich aber unter dem freien Wettbewerb nicht entwickeln könne, weil der Unternehmer, wenn er Gewinn erzielen und seine Arbeiter bezahlen wolle, nicht auf möglichst viele Gebrauchswerte, sondern auf mög¬ lichst hohe Tauschwerte bedacht sein müsse und die Fülle der Gebrauchswerte ihren Tauschwertpreis herunterdrückten. So könne es kommen, daß der Arbeiter gerade dann brotlos werde, wenn infolge von Überproduktion die Gebrauchswerte, die doch allein unmittelbar zur Befriedigung der mensch¬ lichen Bedürfnisse dienen, in zu großer Fülle vorhanden sind und zu Schleuder¬ preisen veräußert werden müssen. Der Wunsch, diesen Mängeln abzuhelfen, die Gebrauchswerte in Hülle und Fülle nach den Bedürfnissen der Menschheit herzustellen und sie allen zugänglich zu machen, ist wohl allgemein, aber mit dem Wunsche ist es nicht abgethan, und das Mittel der Sozialdemokraten, den Egoismus aus der Volkswirtschaft zu verbannen, sodaß es auf den Tausch¬ wert uicht mehr ankommen kann, ist unzweifelhaft verfehlt. Ebenso wie die Sozialdemokraten, sehen auch die Agrarier in der Abhängigkeit von der Pro¬ duktion unter freiem Wettbewerb ein unerträgliches Übel, aber noch verwerf¬ licher als kommunistische Wirtschaft wäre es, wenn wir den Egoismus unsrer Wirtschaftsordnung so weit übertreiben wollten, daß der Staat einzelnen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/603>, abgerufen am 11.05.2024.