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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der achte deutsche Handwerkertag

or kurzem ging durch die Zeitungen die Nachricht, daß es der
Kaiser abgelehnt habe, eine Abordnung der Handwerker zu em¬
pfangen, die ihm über ihre Wünsche und Hoffnungen berichten
wollte. Es muß das befremden, da der Kaiser den achten
Handwerkertag sympathisch begrüßt hatte, und da andre der¬
artige Abordnungen, z. B. die des "Bundes der Landwirte," empfangen worden
sind. Die Gründe der Ablehnung liegen, das ist wohl klar, in dem Verlaufe
des letzten Handwerkertags, der die Haltung der Regierung gegenüber den Be¬
strebungen des Handwerks mit einer bis dahin unerhörten Heftigkeit kritisirt
und seine Forderungen mit Erregung und Schärfe zum Ausdruck gebracht
hat. Tiefe Erregung war das charakteristische Zeichen aller Verhandlungen
jener Tage.

Wenn aber die Handwerker mit dem Vorgehen der Regierung nicht ein¬
verstanden sind, so sind sie sehr im Rechte, denn wäre ans seiten der Regierung
auch nur das geringste Entgegenkommen zu bemerken gewesen, die Bewegung
würde nie die Formen angenommen haben, über die man jetzt am grünen
Tisch erstaunt ist. Hätte die Regierung die einzelnen Forderungen der Hand¬
werker ernst geprüft, die richtigen anerkannt und die falschen bestimmt zurück¬
gewiesen, so würde die Bewegung auch nicht so blind und einseitig geworden
sein, wie sie es heute thatsächlich ist. Man hat aber den Handwerkern mit
leeren Redensarten und Versprechungen, die in einer Form gemacht wurden,
daß man sofort wußte, sie würden nicht gehalten werden, den Mund zu stopfen
versucht. Daß die Regierung den Handwerkern nicht helfen will, weil sie
ihnen mit der Erfüllung ihrer Hauptforderung, der des Befähigungsnachweises,
nicht helfen kann, ist klar. Warum wird das nicht offen und ehrlich aus¬
gesprochen?


Grenzboten III 189S 8


Der achte deutsche Handwerkertag

or kurzem ging durch die Zeitungen die Nachricht, daß es der
Kaiser abgelehnt habe, eine Abordnung der Handwerker zu em¬
pfangen, die ihm über ihre Wünsche und Hoffnungen berichten
wollte. Es muß das befremden, da der Kaiser den achten
Handwerkertag sympathisch begrüßt hatte, und da andre der¬
artige Abordnungen, z. B. die des „Bundes der Landwirte," empfangen worden
sind. Die Gründe der Ablehnung liegen, das ist wohl klar, in dem Verlaufe
des letzten Handwerkertags, der die Haltung der Regierung gegenüber den Be¬
strebungen des Handwerks mit einer bis dahin unerhörten Heftigkeit kritisirt
und seine Forderungen mit Erregung und Schärfe zum Ausdruck gebracht
hat. Tiefe Erregung war das charakteristische Zeichen aller Verhandlungen
jener Tage.

Wenn aber die Handwerker mit dem Vorgehen der Regierung nicht ein¬
verstanden sind, so sind sie sehr im Rechte, denn wäre ans seiten der Regierung
auch nur das geringste Entgegenkommen zu bemerken gewesen, die Bewegung
würde nie die Formen angenommen haben, über die man jetzt am grünen
Tisch erstaunt ist. Hätte die Regierung die einzelnen Forderungen der Hand¬
werker ernst geprüft, die richtigen anerkannt und die falschen bestimmt zurück¬
gewiesen, so würde die Bewegung auch nicht so blind und einseitig geworden
sein, wie sie es heute thatsächlich ist. Man hat aber den Handwerkern mit
leeren Redensarten und Versprechungen, die in einer Form gemacht wurden,
daß man sofort wußte, sie würden nicht gehalten werden, den Mund zu stopfen
versucht. Daß die Regierung den Handwerkern nicht helfen will, weil sie
ihnen mit der Erfüllung ihrer Hauptforderung, der des Befähigungsnachweises,
nicht helfen kann, ist klar. Warum wird das nicht offen und ehrlich aus¬
gesprochen?


Grenzboten III 189S 8
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[0065] [Abbildung] Der achte deutsche Handwerkertag or kurzem ging durch die Zeitungen die Nachricht, daß es der Kaiser abgelehnt habe, eine Abordnung der Handwerker zu em¬ pfangen, die ihm über ihre Wünsche und Hoffnungen berichten wollte. Es muß das befremden, da der Kaiser den achten Handwerkertag sympathisch begrüßt hatte, und da andre der¬ artige Abordnungen, z. B. die des „Bundes der Landwirte," empfangen worden sind. Die Gründe der Ablehnung liegen, das ist wohl klar, in dem Verlaufe des letzten Handwerkertags, der die Haltung der Regierung gegenüber den Be¬ strebungen des Handwerks mit einer bis dahin unerhörten Heftigkeit kritisirt und seine Forderungen mit Erregung und Schärfe zum Ausdruck gebracht hat. Tiefe Erregung war das charakteristische Zeichen aller Verhandlungen jener Tage. Wenn aber die Handwerker mit dem Vorgehen der Regierung nicht ein¬ verstanden sind, so sind sie sehr im Rechte, denn wäre ans seiten der Regierung auch nur das geringste Entgegenkommen zu bemerken gewesen, die Bewegung würde nie die Formen angenommen haben, über die man jetzt am grünen Tisch erstaunt ist. Hätte die Regierung die einzelnen Forderungen der Hand¬ werker ernst geprüft, die richtigen anerkannt und die falschen bestimmt zurück¬ gewiesen, so würde die Bewegung auch nicht so blind und einseitig geworden sein, wie sie es heute thatsächlich ist. Man hat aber den Handwerkern mit leeren Redensarten und Versprechungen, die in einer Form gemacht wurden, daß man sofort wußte, sie würden nicht gehalten werden, den Mund zu stopfen versucht. Daß die Regierung den Handwerkern nicht helfen will, weil sie ihnen mit der Erfüllung ihrer Hauptforderung, der des Befähigungsnachweises, nicht helfen kann, ist klar. Warum wird das nicht offen und ehrlich aus¬ gesprochen? Grenzboten III 189S 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/65>, abgerufen am 28.04.2024.