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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der achte deutsche Handwerkertag

Die Erregung, mit der auf dem letzte" Handwerkertage wieder die alten,
bekannten Forderungen der Handwerker ausgesprochen worden sind, macht
die Versammlung bemerkenswert, fordert aber auch zu einer kritischen Be¬
trachtung auf, und gerade wir, die wir jederzeit für den Schutz der pro¬
duktiven Arbeit eingetreten sind, wollen mit dieser Kritik nicht zurückhalten.

Einer der Abgeordneten ging scharf gegen die Gewerbeordnung von 1869
vor, forderte die Zwcmgsinnung, den Befähigungsnachweis und Beseitigung
der übergroßen Konkurrenz durch ein Verbot überflüssiger Maschinen. Schon
diese Ausführungen enthielten gerade genug Übertreibungen.

Als das Zeitalter der Maschine begann, glaubte man zunächst, daß eine
Zeit ungeahnter Entwicklung und grenzenlosen Glücks für die ganze Mensch¬
heit angebrochen sei. Nun, diese ungeahnte Entwicklung ist in der That ge¬
kommen, aber das Glück, das man hoffte, ist ausgeblieben. Ist daran die
Erfindung und Anwendung der Maschine schuld? Nein und abermals nein.
Es ist eine Verblendung, heute die Zurückdämmuug des Maschinenwesens zu
fordern und einer Entwicklung Einhalt thun zu wollen, die ungeheuer segens¬
reich gewesen ist, und deren Schäden nur aus der mangelhaften Organisation
unsrer Wirtschaft stammen. Außerdem: wie soll man es anfangen, die not¬
wendigen von den überflüssigen Maschinen zu scheiden?

Was hat denn nun die liberale Gesetzgebung mit dieser Entwicklung zu thun?
Daß die Produktion von den Fesseln, die den alten Handwerksbetrieb banden, be¬
freit werden mußte, wird niemand leugnen wollen. Der schwere Fehler, der mit
der Einführung der Gewerbefreiheit gemacht wurde, bestand darin, daß man nicht
nur die unnötigen und schädlichen Beschränkungen, sondern alle beseitigte auf
Grund der falschesten Theorie, die jemals die Menschen beherrscht hat, nämlich
der von der Notwendigkeit des freien Spiels der Kräfte. Statt zu entwickeln,
zerstörte man. Aber soweit das Handwerk lebensunfähig geworden ist durch das
Aufblühen der Maschinenindustrie, hat die Gewerbefreiheit keine Schuld an seiner
schlimmen Lage. Der Kampf zwischen dem Großbetriebe und dem handwerks¬
mäßigen wäre ausgefochten worden, auch wenn die Gewerbefreiheit nicht in
dieser Form bestanden hätte. Keine Macht der Welt kann es verhindern, daß
das Handwerk überall da untergeht, wo der Großbetrieb fähig ist, Ware von
derselben Güte wie die, die bisher das Handwerk erzeugt hat, mit der größern
Leistungsfähigkeit der Maschine herzustellen. Daher ist auch eine ganze Reihe
von Handwerkszweigen schon verschwunden, ganz stillschweigend untergegangen.
Der technisch vollkommnere und leistungsfähigere Betrieb schlägt mit Natur¬
notwendigkeit den unvollkommnern. Im Verkehrswesen war es ebenso. Der
Verfasser dieses Aufsatzes lebt in einer Stadt am Fuße des Thüringer Waldes,
wo eine alte, ehemals reichbelebte Handelsstraße vorüberführt, die Leipzig mit
Nürnberg verband. Hier und in der Umgegend gab es früher Fuhrleute, die
dreißig Paar Pferde im Stalle stehen hatten. Diese ganze blühende Verkehrs-


Der achte deutsche Handwerkertag

Die Erregung, mit der auf dem letzte» Handwerkertage wieder die alten,
bekannten Forderungen der Handwerker ausgesprochen worden sind, macht
die Versammlung bemerkenswert, fordert aber auch zu einer kritischen Be¬
trachtung auf, und gerade wir, die wir jederzeit für den Schutz der pro¬
duktiven Arbeit eingetreten sind, wollen mit dieser Kritik nicht zurückhalten.

Einer der Abgeordneten ging scharf gegen die Gewerbeordnung von 1869
vor, forderte die Zwcmgsinnung, den Befähigungsnachweis und Beseitigung
der übergroßen Konkurrenz durch ein Verbot überflüssiger Maschinen. Schon
diese Ausführungen enthielten gerade genug Übertreibungen.

Als das Zeitalter der Maschine begann, glaubte man zunächst, daß eine
Zeit ungeahnter Entwicklung und grenzenlosen Glücks für die ganze Mensch¬
heit angebrochen sei. Nun, diese ungeahnte Entwicklung ist in der That ge¬
kommen, aber das Glück, das man hoffte, ist ausgeblieben. Ist daran die
Erfindung und Anwendung der Maschine schuld? Nein und abermals nein.
Es ist eine Verblendung, heute die Zurückdämmuug des Maschinenwesens zu
fordern und einer Entwicklung Einhalt thun zu wollen, die ungeheuer segens¬
reich gewesen ist, und deren Schäden nur aus der mangelhaften Organisation
unsrer Wirtschaft stammen. Außerdem: wie soll man es anfangen, die not¬
wendigen von den überflüssigen Maschinen zu scheiden?

Was hat denn nun die liberale Gesetzgebung mit dieser Entwicklung zu thun?
Daß die Produktion von den Fesseln, die den alten Handwerksbetrieb banden, be¬
freit werden mußte, wird niemand leugnen wollen. Der schwere Fehler, der mit
der Einführung der Gewerbefreiheit gemacht wurde, bestand darin, daß man nicht
nur die unnötigen und schädlichen Beschränkungen, sondern alle beseitigte auf
Grund der falschesten Theorie, die jemals die Menschen beherrscht hat, nämlich
der von der Notwendigkeit des freien Spiels der Kräfte. Statt zu entwickeln,
zerstörte man. Aber soweit das Handwerk lebensunfähig geworden ist durch das
Aufblühen der Maschinenindustrie, hat die Gewerbefreiheit keine Schuld an seiner
schlimmen Lage. Der Kampf zwischen dem Großbetriebe und dem handwerks¬
mäßigen wäre ausgefochten worden, auch wenn die Gewerbefreiheit nicht in
dieser Form bestanden hätte. Keine Macht der Welt kann es verhindern, daß
das Handwerk überall da untergeht, wo der Großbetrieb fähig ist, Ware von
derselben Güte wie die, die bisher das Handwerk erzeugt hat, mit der größern
Leistungsfähigkeit der Maschine herzustellen. Daher ist auch eine ganze Reihe
von Handwerkszweigen schon verschwunden, ganz stillschweigend untergegangen.
Der technisch vollkommnere und leistungsfähigere Betrieb schlägt mit Natur¬
notwendigkeit den unvollkommnern. Im Verkehrswesen war es ebenso. Der
Verfasser dieses Aufsatzes lebt in einer Stadt am Fuße des Thüringer Waldes,
wo eine alte, ehemals reichbelebte Handelsstraße vorüberführt, die Leipzig mit
Nürnberg verband. Hier und in der Umgegend gab es früher Fuhrleute, die
dreißig Paar Pferde im Stalle stehen hatten. Diese ganze blühende Verkehrs-


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[0066] Der achte deutsche Handwerkertag Die Erregung, mit der auf dem letzte» Handwerkertage wieder die alten, bekannten Forderungen der Handwerker ausgesprochen worden sind, macht die Versammlung bemerkenswert, fordert aber auch zu einer kritischen Be¬ trachtung auf, und gerade wir, die wir jederzeit für den Schutz der pro¬ duktiven Arbeit eingetreten sind, wollen mit dieser Kritik nicht zurückhalten. Einer der Abgeordneten ging scharf gegen die Gewerbeordnung von 1869 vor, forderte die Zwcmgsinnung, den Befähigungsnachweis und Beseitigung der übergroßen Konkurrenz durch ein Verbot überflüssiger Maschinen. Schon diese Ausführungen enthielten gerade genug Übertreibungen. Als das Zeitalter der Maschine begann, glaubte man zunächst, daß eine Zeit ungeahnter Entwicklung und grenzenlosen Glücks für die ganze Mensch¬ heit angebrochen sei. Nun, diese ungeahnte Entwicklung ist in der That ge¬ kommen, aber das Glück, das man hoffte, ist ausgeblieben. Ist daran die Erfindung und Anwendung der Maschine schuld? Nein und abermals nein. Es ist eine Verblendung, heute die Zurückdämmuug des Maschinenwesens zu fordern und einer Entwicklung Einhalt thun zu wollen, die ungeheuer segens¬ reich gewesen ist, und deren Schäden nur aus der mangelhaften Organisation unsrer Wirtschaft stammen. Außerdem: wie soll man es anfangen, die not¬ wendigen von den überflüssigen Maschinen zu scheiden? Was hat denn nun die liberale Gesetzgebung mit dieser Entwicklung zu thun? Daß die Produktion von den Fesseln, die den alten Handwerksbetrieb banden, be¬ freit werden mußte, wird niemand leugnen wollen. Der schwere Fehler, der mit der Einführung der Gewerbefreiheit gemacht wurde, bestand darin, daß man nicht nur die unnötigen und schädlichen Beschränkungen, sondern alle beseitigte auf Grund der falschesten Theorie, die jemals die Menschen beherrscht hat, nämlich der von der Notwendigkeit des freien Spiels der Kräfte. Statt zu entwickeln, zerstörte man. Aber soweit das Handwerk lebensunfähig geworden ist durch das Aufblühen der Maschinenindustrie, hat die Gewerbefreiheit keine Schuld an seiner schlimmen Lage. Der Kampf zwischen dem Großbetriebe und dem handwerks¬ mäßigen wäre ausgefochten worden, auch wenn die Gewerbefreiheit nicht in dieser Form bestanden hätte. Keine Macht der Welt kann es verhindern, daß das Handwerk überall da untergeht, wo der Großbetrieb fähig ist, Ware von derselben Güte wie die, die bisher das Handwerk erzeugt hat, mit der größern Leistungsfähigkeit der Maschine herzustellen. Daher ist auch eine ganze Reihe von Handwerkszweigen schon verschwunden, ganz stillschweigend untergegangen. Der technisch vollkommnere und leistungsfähigere Betrieb schlägt mit Natur¬ notwendigkeit den unvollkommnern. Im Verkehrswesen war es ebenso. Der Verfasser dieses Aufsatzes lebt in einer Stadt am Fuße des Thüringer Waldes, wo eine alte, ehemals reichbelebte Handelsstraße vorüberführt, die Leipzig mit Nürnberg verband. Hier und in der Umgegend gab es früher Fuhrleute, die dreißig Paar Pferde im Stalle stehen hatten. Diese ganze blühende Verkehrs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/66>, abgerufen am 13.05.2024.